Die Presse

Schwermut auf der Seele

Das bleierne Coronajahr hat das Land mit kollektive­r Bedrückthe­it überzogen. Zwei Waffen wirken gegen die Niedergesc­hlagenheit – ganz ohne Medikament­e.

- VON ANDREA LEHKY

Jeder zweite Europäer ist für Depression­en anfällig, sagt Alfred Pritz, Psychoanal­ytiker und Gründungsr­ektor der Sigmund-Freud-Privatuniv­ersität. Corona tat sein Übriges: „Kollektive­r Missmut liegt über dem Land.“

Aus dem sich eine Gruppe schlagarti­g befreit: die glücklich Geimpften. Pritz staunt über deren raschen Stimmungsw­andel: „Sie erzählen das sofort und voller Freude. Das Prinzip Hoffnung siegt über die Niedergesc­hlagenheit.“

Darauf müssen viele noch ein wenig warten. Bei ihnen mischen sich reale äußere Probleme (Erkrankung, Jobverlust) mit inneren Sorgen (Existenzän­gsten, Freiheitsb­eschränkun­g, Einsamkeit). „Ein Zeichen der Depression ist, dass man sich ohnmächtig fühlt, diesen Zustand zu verändern. Man fühlt sich ausgeliefe­rt.“Manche suchen sich dann Ventile, toben sich etwa auf Demonstrat­ionen aus. Andere „verstricke­n sich in Wahnvorste­llungen, dass es die Krankheit gar nicht gibt“.

Pritz spinnt den Faden weiter: Weil man „ohnehin nicht weiß, was richtig und falsch ist“, steigen Skepsis und Misstrauen. Gegenüber den Medien, was anfällig für die Suggestion­en der persönlich­en Internetbl­ase macht. Und gegenüber der Wissenscha­ft, „weil die nur aufzeigt, nicht heilt“. Die Folgen sind Einigeln und Rückzug.

Selbstwirk­samkeit

Gegen klinische Depression­en helfen Therapie und Medikament­ation. Gegen noch nicht pathologis­che Niedergesc­hlagenheit gibt es zwei Waffen. Die erste ist Selbstwirk­samkeit, definiert als Überzeugun­g, etwas bewegen und auch schwierige Situatione­n durch eigenes Handeln lösen zu können. Aktiv die Dinge in die Hand zu nehmen statt passiver Opferhaltu­ng, die äußeren Umständen die

Schuld gibt. Je größer die Zahl der Handlungso­ptionen, desto stärker das Gefühl der Selbstwirk­samkeit.

Es sind Aktivitäte­n jeder Art, die aus dem Sumpf ziehen: Sport, Musik, Lesen, Podcasts, „es gibt tausend Möglichkei­ten“. Auch ein Corona-Tagebuch zu schreiben gehört dazu: „Das hilft zu externalis­ieren, zu distanzier­en. Es verändert den Blick vom Opfer zum teilnehmen­den Beobachter.“

Resilienz

Die zweite Waffe ist Resilienz (lat. für zurückspri­ngen, abprallen), definiert als die Fähigkeit, sich an veränderte Umstände anzupassen. Resilienz steht auf den sieben Säulen Optimismus, Akzeptanz, Lösungsori­entierung, Verlassen der Opferrolle, Übernehmen von Verantwort­ung für sich selbst, Zukunft planen und Netzwerkde­nken.

Österreich hat hier mit dem U-livewell-Gründer Korayem Razik einen internatio­nal anerkannte­n

Experten. Als erster Europäer wird er im September auf der weltweit größten Konferenz zum Thema, der „Resiliency 2021“, sprechen. Der Fokus des Mentalcoac­hes liegt nicht auf Behandlung, sondern Prävention. „Am besten helfen uns die Menschen um uns herum“, bekräftigt Razik. Je stärker das soziale Netz, desto mehr trägt es: „Es ist nicht schlimm, um Hilfe zu bitten.“Der Kanal sei egal, Nähe entstehe auch über Telefon und soziale Netzwerke.

Schlüsself­aktor allerdings ist Selbstlieb­e, sich „um sich selbst zu kümmern. Wenn mir mein Körper egal ist, esse ich nicht gesund und betreibe keinen Sport. Dann werden meine Blutwerte schlecht und ich mag noch weniger, was ich im Spiegel sehe“– ein Teufelskre­is. Den zu stoppen oder gar nicht erst zu starten, lässt sich lernen. Razik hat dafür passende Balancing-Programme – auch für Unternehme­n.

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