,,Brifr Seiten schreien laut"
An Nachhaltigkeit kann man nur scheitern, sagt Cornelia Diesenreiter. Und plädiert dafür, zwischen Moralisten und Leugnern die Freude zu suchen.
Cornelia Diesenreiter war acht, als sie im Fernsehen das „Schweinchen namens Babe“sah, das unbedingt Hirtenschwein werden wollte, um nicht geschlachtet zu werden. Ab da wollte Diesenreiter keine Tiere mehr essen. Der Vorsatz hielt zwei Tage – die gefüllte Kalbsbrust ihrer Großmutter zu Weihnachten war einfach zu gut.
Es brauchte dann noch ein blutiges Grillhendl, um aus Diesenreiter wirklich eine Vegetarierin zu machen. Niemand, weder Mensch, Tier noch Umwelt, solle wegen ihr leiden müssen, fand sie – und begann, Dinge auf eine imaginäre Nachhaltigkeits-To-do-Liste zu setzen. Damals, in den Neunzigern, ging das. Biomilch, Fair-Trade-Kaffee. Recyclinghefte. Keine Spraydosen.
Eine Lehre, drei abgeschlossene Studien und eine Unternehmensgründung später sagt Cornelia Diesenreiter: „Nachhaltig gibt’s nicht.“Denn: Je mehr man sich damit beschäftigt, desto komplizierter wird es. Das fängt schon an mit dem Begriff. Wofür steht er überhaupt? Diesenreiter selbst beruft sich auf das „Drei-Säulen- Modell“: Angesichts der begrenzten Ressourcen des Planeten sei nachhaltige Entwicklung nur möglich, wenn ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele gleichzeitig und gleichberechtigt umgesetzt werden. Was aber, wenn die einzelnen Ziele sich gegenseitig im Weg stehen? Wenn man daran ver
zweifelt, was alles zu berücksichtigen wäre? Und wenn sich dann auch noch „How dare you?“-Moralisten und Klimawandelleugner den Krieg erklären?
Hippie oder Topmanagerin?
Diese beiden Gruppen seien sich im Übrigen gar nicht unähnlich. „Die, die erkannt haben, erklären den anderen von oben herab die Welt. Beide Seiten schreien extrem laut und sorgen für eine extrem negative Dynamik“, kritisiert Diesenreiter. „Ich glaube aber, dass der Großteil der Menschen da dazwischen liegt, zwischen diesen beiden Extremen.“Nicht zuletzt für jene hat sie ihr Buch geschrieben.
Erzählt ist das pragmatische Werk mit viel Verständnis für psychologische Mechanismen und anhand ihres eigenen Werdegangs. Begonnen hatte Diesenreiter ihren Weg mit einer Kochlehre – die Schnitzel kamen fertig paniert und tiefgekühlt. Als Nächstes studierte sie Jus und Wirtschaft. Bei Letzterem, sagt sie, „ist es nur ums Geldmachen gegangen, wir haben nur gehört, wir würden Topmanager werden und super verdienen“. Desillusioniert flüchtete sie nach Portugal ins Selbstversorger-Dorf – um sich nach sechs Wochen einzugestehen, dass ihr der gewohnte Lebensstandard fehlte und ihr der Aussteiger-Mikrokosmos nicht reichen würde: „Die Welt rundherum fällt trotzdem auseinander, auch wenn ich mich verstecke. Und es ist nicht massentauglich, dass wir alle so leben – was ich total nachvollziehen kann.“
Als „richtig schön“empfand sie dann das Umwelt- und Bioressourcenmanagement-Studium an der Boku, „weil ich gelernt habe, was es bedeutet, wenn man das Thema Nachhaltigkeit wissenschaftlich fundiert angeht“. Die Augen geöffnet habe ihr auch ein stipendienfinanziertes Studium für nachhaltiges Produktdesign in London, wo ihr bewusst wurde, „an was für Teil
aspekte man denken muss“. So gerüstet – fand sie keinen Job. Also gründete sie mit „Unverschwendet“ihr eigenes Unternehmen. Aus überschüssigen Marillen nachhaltig Marmelade zu kochen – das, dachte sie, würde einfach sein. Und musste feststellen, dass sie sich geirrt hatte. „Allein die Frage, wie lang man sich mit einem Deckel beschäftigen kann, ist unglaublich.“
„Viel Hadern, viel Frustration“, sagt die 33-Jährige heute über jene Zeit, in der sie versuchte, wenigstens ihr eigenes Verhalten zu optimieren. „Schon seit ich die Milchindustrie verstanden habe, und auch, weil es vom CO2-Ausstoß irrsinnig viel bringen würde, wollte ich auf Milch verzichten.“Die Monate als Veganerin, ohne die geliebte Käsepizza, wurden zum Desaster. „Ich war total unglücklich. Da habe ich schauen müssen: Wo ist meine persönliche Grenze?“
Aus dem heraus entwickelte Diesenreiter aber auch ihren neuen Zugang. „Ich glaube“, sagt sie, „dass Nachhaltigkeit etwas hoch Individuelles ist. Und alles, was wir tun, hat Konsequenzen. Das kann befreiend sein – wenn man erkennt, dass man überall ansetzen kann.“Wenn viele Menschen kleine Schritte tun, käme man weiter als mit Perfektionismus. Seither will sie vor allem Lust machen. „Ich habe das Gefühl, dass der Nachhaltigkeit ein riesiges Potenzial von Freude innewohnt. Menschen wollen ja generell Gutes tun und Leid vermeiden. Genau das ist Nachhaltigkeit, und da kann man sehr viele kleine Erfolgserlebnisse im eigenen Alltag etablieren.“Im Bewusstsein, dass Glas nicht immer gut und Plastik nicht immer böse ist – und Nachhaltigkeit ein Prozess, „bei dem noch ganz viel Innovation notwendig ist“.