Covid: Wie man Überleben und Tod vorhersagt
Test. Mediziner der Med-Uni Wien entwickelten einen Test, mit dem man seit Kurzem die Überlebenswahrscheinlichkeit von Covid-Patienten berechnen kann. Das Modell beruht auf einer Zufallsbeobachtung des Physiologen Stefan Heber.
Die Presse: Wie sicher kann man mit Ihrem Modell den Verlauf der Erkrankung vorhersagen? Stefan Heber: Im Wesentlichen geht es darum vorherzusagen, ob jemand stirbt oder nicht, wobei wir das Überleben besser vorhersagen können als den Tod. Ein Überleben können wir sehr sicher vorhersagen, umgekehrt ist aber eine hohe Sterbewahrscheinlichkeit noch kein Todesurteil.
Warum ist das so?
Das liegt an der Datenmenge. Wir hatten einfach mehr Leute, die überlebt haben als gestorben sind, und daher mehr Daten aus der ersten Gruppe.
Wie sind Sie überhaupt auf die Idee zu dem Test gekommen?
Ich mache für Kollegen oft statistische Analysen, weil mir das Spaß macht. In diesem Fall habe ich das für eine Kollegin (Anm.: Alice Assinger) getan, die an Coronaproben forscht und mit Thrombozyten arbeitet. Sie wollte eigentlich etwas anderes wissen, mir ist aber aufgefallen, dass die Anzahl der Blutplättchen bei jenen, die überleben, in den ersten Tagen des Krankenhausaufenthalts ansteigt, während sie bei jenen, die später sterben, eine sinkende Tendenz hat. Eine Erklärung könnte sein, dass sich bei schweren Covidfällen Mikrothromben (Anm.: kleine Blutpfropfen) bilden können. Es könnte sein, dass wir bei jenen, die sterben, weniger Thrombozyten im Blut finden, weil diese in diesen Thromben stecken – und die gehen eben nicht in die Nadel hinein. Aber komplett verstehen wir es noch nicht.
Wie und wo wird der Test angewendet?
Im Spital. Idealerweise nimmt man fünf Tage hintereinander Blutproben, d. h. am Tag der Aufnahme in das Krankenhaus und an den vier darauffolgenden Tagen. Der Test funktioniert jedoch auch, wenn nur zwei Blutproben innerhalb der ersten fünf Tage verfügbar sind. Es wäre natürlich schön, wenn ein einziger Test am Aufnahmetag reichen würde, aber der Unterschied bei Entwicklung der Blutplättchen zeigt sich erst in den ersten drei, vier Tagen. Der Test berechnet die Steigung der ersten fünf Tage und verwendet diese für eine Vorhersage. Insgesamt nutzen wir nur Parameter, die sowieso bei jeder Blutabnahme routinemäßig erhoben werden wie: Blutplättchen, CRP (Anm.: Entzündungswert) oder Kreatinin (Anm.: Nierenwert). Man gibt diese Werte in den frei verfügbaren Online-Kalkulator ein und bekommt eine Überlebenswahrscheinlichkeit. Uns war wichtig, ein Modell zu bauen, das nicht auf ausgefallenen Laboruntersuchungen beruht, und daher möglichst überall verwendet werden kann. Das ginge theoretisch auch in einem Entwicklungsland. Jedoch ist zu beachten, dass ein Vorhersagemodell nicht notwendigerweise überall gleich gut funktioniert und in verschiedenen Regionen überprüft werden sollte. Das könnte daran liegen, dass sich z. B. Bevölkerungsstrukturen, Gesundheitssysteme und Virusstämme unterscheiden können. Aktuell basiert das Modell auf österreichischen Daten. Wir verfeinern allerdings laufend das Modell. Einerseits, damit wir noch verlässlichere Vorhersagen machen können. Andererseits besteht wegen der Veränderungen des Virus die Gefahr, dass das Modell „schlecht“wird. Um gegenzusteuern, brauchen wir deshalb möglichst viele Daten. Darf ich daher einen kleinen Aufruf starten? Wir suchen im In- und Ausland Spitäler als Kooperationspartner, die uns Blutprobendaten zukommen lassen.
Der vorrangige Zweck Ihres Tests ist es, das Spital zu entlasten. Wieso gerade das?
Covid fängt nicht wie eine Influenza an. Man ist nicht schnell sehr krank, sondern die Krankheit entwickelt sich langsam und wechselhaft, eine akute Verschlechterung sieht man oft erst zwischen dem siebenten und zehnten Tag. Das heißt, wenn jemand ins Spital kommt, will man den vor sieben Tagen nicht heimschicken, auch wenn es ihm eigentlich nicht schlecht geht. Für das Personal sind Covid-Patienten aber auch dann belastend, wenn sie medizinisch nicht viel brauchen: Man muss immer Schutzkleidung anlegen, alles desinfizieren etc. Unser Modell würde erlauben, jene mit einer guten Prognose nach vier Tagen Aufenthalt (Anm.: plus der Tag der Aufnahme) zu entlassen. Wobei ich nicht dafür wäre, das zu tun, solang die Kapazitäten reichen. Erst wenn andere Spitalspatienten beginnen, unter der Ressourcenbindung zu leiden, sollte man jene mit einer sehr hohen Überlebenswahrscheinlichkeit entlassen, sofern sie einverstanden sind. Je mehr Abstriche man allerdings bei der Überlebenswahrscheinlichkeit macht, desto höher wird das Risiko, dass man auch Patienten entlässt, die dann doch sterben. Die Entscheidung trifft aber immer der Arzt, das Modell ist nur ein weiteres Entscheidungskriterium, es ist kein Automatismus und sicher nicht gedacht, um die Verantwortung abzugeben.
Kann Ihr Modell auch feiner differenzieren – zwischen vermutetem leichten, mittleren und schweren Verlauf?
Nein.
Das heißt, auf die Behandlung hat der Test keinen Einfluss? Überhaupt nicht. Die Sicht der Statistik ist hier sehr streng: Ein Modell wird für einen Zweck entwickelt und darf nur zu diesem verwendet werden. Und auch nur auf die Gruppe, für die es entwickelt wurde.
Entwickelt wurde es für Spitalspatienten. Heißt das, der Hausarzt soll den Kalkulator nicht verwenden? Denn der könnte doch einen Patienten auch fünf Tage nacheinander ein Blutbild machen lassen.
Keinesfalls.
Aber das wäre doch praktisch, oder?
Aber für diese Gruppe wurde es nicht getestet. Es gibt nämlich wahrscheinlich Unterschiede zwischen jenen Menschen, die wegen Covid ins Spital kommen, und jenen, die das nicht tun. Man könnte natürlich eine neue Studie für Hausarztpatienten machen. Es würde mich auch nicht wundern, wenn es funktioniert, ich würde es sogar erwarten. Aber ich weiß es eben vorher nicht, und das ist der Punkt.