„Pleite beginnt oft in der Chefetage“
Insolvenzrecht. Für Clemens Mitterlehner, Chef der Schuldnerberatungen, sind Firmenpleiten per se nicht häufiger auf redliches Scheitern zurückzuführen als Privatkonkurse.
Linz. Das neue Insolvenz- und Restrukturierungsrecht ist wenige Tage in Begutachtung und wirbelt bereits viel Staub auf. Kreditschützer stoßen sich vor allem am Umstand, dass die verkürzte Entschuldung nicht nur für Unternehmer, sondern auch für Private gelten soll. Bekanntlich soll das Insolvenzverfahren künftig drei statt fünf Jahre dauern. „Wir fördern dadurch die Verantwortungslosigkeit“, sagte Ricardo-Jose´ Vybiral, Chef des Kreditschutzverbandes von 1870, zur „Presse“.
Dem widerspricht nun Clemens Mitterlehner energisch. Er ist Geschäftsführer der Dachorganisation der staatlich anerkannten Schuldnerberatungen. Er hält nichts davon, „Schuldnergruppen festzulegen und ehemalige Selbstständige grundsätzlich besserzustellen“. „90 Prozent der Firmenpleiten nehmen ihren Ausgang in der Chefetage“, sagt Mitterlehner. Ein Selbstständiger, der sich zuallererst ein „fettes Auto“kauft, sei um keinen Deut besser als einer, der auf Pump in den Urlaub fährt.
Tatsächlich erfolgt die Reform auf Druck der EU. Die Schuldenregelung soll EU-weit möglichst einheitlich sein. Unternehmer sollen den Firmensitz nicht nach dem vorteilhaftesten Insolvenzrecht wählen. Während die Reform der Unternehmensinsolvenz verpflichtend bis Sommer umgesetzt werden muss, gibt es in puncto Privatkonkurs nur eine Empfehlung.
Redlich scheitern wird belohnt
Die Empfehlung soll nun in Österreich umgesetzt werden. Die Optik sei fatal, kritisiert KSV-Chef Vybiral und meint: „Schuldenmachen wird geradezu verniedlicht.“Diese Befürchtung hat man in der Schuldnerberatung nicht. Denn der Entwurf sieht bei einem Privatkonkurs nur dann ein dreijähriges Abschöpfungsverfahren vor, wenn der Schuldner „einen erhöhten Redlichkeitsmaßstab erfüllt“, sagt Mitterlehner. Im Justizministerium rechne man damit, dass lediglich 25 Prozent der Privatkonkurse tatsächlich diese Kriterien erfüllen werden. Der Großteil der Verfahren werde also wie bisher fünf Jahre dauern.
2020 gab es rund 7300 Privatkonkurse. 2019 waren es noch etwa 9500. Die Coronakrise habe dazu beigetragen, dass die Zahl massiv gesunken ist. Kein gutes Zeichen, meint Mitterlehner. Denn eigentlich solle die Gesellschaft danach trachten, so wenig überschuldete Menschen wie möglich zu haben. „Menschen mit Schulden tragen weniger zum Wirtschaftskreislauf bei, haben Probleme bei der Arbeitssuche“, sagt Mitterlehner und betont: „Das vergangene Jahr widerspiegelt die Entwicklung der privaten Schulden nicht.“
Denn trotz Krise werden weiterhin viele Konsumkredite vergeben. „Mit normalen Krediten ist relativ wenig zu verdienen, deshalb engagieren sich Banken stärker in der Konsumkreditfinanzierung.“Für viele Menschen beginnt damit ein Teufelskreis. „Konsumkredite und Kontoüberziehung sind die Einstiegsdrogen in die Überschuldung“, sagt Mitterlehner. Leute, die sich an die Schuldnerberatung wenden, haben ein überzogenes Konto und mindestens einen Konsumkredit. Oft wurden damit Möbel oder Elektrogeräte finanziert. Bei 20 bis 30 Prozent der Kunden sei ihr „problematischer Umgang mit Geld“Ursache für die Überschuldung.
Was ist das beste Mittel gegen Schulden? „Bildung“, sagt Mitterlehner, sie schütze am besten vor Überschuldung und Armut.
Es gehe bei der Finanzbildung nicht darum, den Unterschied zwischen Aktie und Anleihe zu kennen oder Inflation zu definieren. „Die Lebensrealität eines 19-Jährigen sieht anders aus. Er muss wissen, warum ein Null-Euro-Handy nicht gratis ist, warum es gefährlich ist, das Konto zu überziehen, und was ein Raten- oder Leasinggeschäft ist“, sagt Mitterlehner.
Wer sucht Hilfe bei der Schuldnerberatung? „Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, vom Hilfsarbeiter bis zum Akademiker, vom Einzelunternehmer bis zum ehemaligen Chef einer 100 Personen großen Firma“, sagt Mitterlehner. Drei Prozent der Überschuldeten seien Akademiker, obwohl diese 15 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Aber 42 Prozent der Überschuldeten haben nur Pflichtschulabschluss, diese Gruppe macht 25 Prozent der Bevölkerung aus.
Nun melden sich mehr Arbeitslose und Menschen in Kurzarbeit bei der Schuldnerberatung. „Für jene, die mit ihrem Einkommen gerade über die Runden gekommen sind, ist Kurzarbeit schon ein Problem“, sagt Mitterlehner.