Wem der freie Sonntag heilig ist
Ruhetag. Dass am Sonntag nicht gearbeitet wird, hat eine lange Tradition. Gerade in Krisenzeiten dürfe daran nicht gerüttelt werden, betont die Gewerkschaft.
Wien. Die Geschichte des freien Sonntags geht zurück aufs antike Rom. Dort machte Kaiser Konstantin, der als Wegbereiter des Christentums gilt, im Jahr 321 den Sonntag zum Feiertag. Alle Bürger des römischen Reiches – mit Ausnahme der Sklaven freilich – sollten an diesem Tag die Arbeit niederlegen. Am 3. März ist es 1700 Jahre her, dass der römische Herrscher ein entsprechendes Edikt unterzeichnet hat. Kaum ein gesetzlich verankerter Gesellschaftsvertrag hat eine längere Tradition als der freie Sonntag. Immer wieder wurde seither diskutiert, ob man den religiösen Ruhetag nicht etwas aufweichen könnte, für die allermeisten gilt er in unseren Breitengraden aber noch heute. Ausnahmen gibt es noch immer: An die Stelle der Sklaven rückten die Systemerhalter, die mit ihrer Sonntagsarbeit dafür sorgen, dass das System nicht Woche für Woche zusammenbricht.
Auch wenn der sonntägliche Einkaufsbummel in anderen Ländern längst Usus ist, wehrten Gewerkschaften und Arbeitnehmerverbände die Forderungen nach Sonntagsöffnungen hierzulande bisher erfolgreich ab. Dafür machen sie sich gern mit der Kirche gemein. Vor 20 Jahren vereinte sich die Allianz für den freien Sonntag, ein Bündnis aus vorwiegend kirchlichen und gewerkschaftlichen Vertretern.
Öffnung würde vor allem Frauen treffen
Am Montag präsentierte die Allianz eine Umfrage, in der sie erfragte, wie die Menschen in Zeiten der Krise zu Sonntagsöffnungen stehen. Sechs von zehn Österreichern geben an, am Sonntag nicht arbeiten zu wollen. Das entspricht in etwa dem Wert der vergangenen Jahre. Vor allem bei Frauen mit Kindern ist die Ablehnung am größten. Drei Viertel von ihnen können sich nicht vorstellen, regelmäßig an Sonntagen zu arbeiten. Laut AK-Präsidentin Renate Anderl ein klares Indiz dafür, dass Frauen in der Kinderbetreuung immer noch die Hauptlast tragen. Sie wären auch von einer Sonntagsöffnung des Handels am stärksten betroffen, so Anderl: „Man muss sich dann fragen, wohin mit den Kindern? In weiterer Folge müssten auch Betreuungseinrichtungen am Sonntag öffnen.“In Zeiten von Home-Office, in denen Beruf und Privatleben immer mehr verschwimmen, brauche es den freien Sonntag als klar regulierte Abgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit „mehr denn je“, betont Philipp Kuhlmann, gewerkschaftlicher Sprecher des Bündnisses. Viele haben derzeit aber ohnehin andere Sorgen, als sich über Sonntagsöffnungszeiten den Kopf zu zerbrechen. Das gilt gleichermaßen für Arbeitnehmer wie für Arbeitgeber.
Zwar poppt die Diskussion um den freien Sonntag verlässlich jedes Jahr auf, normalerweise ist es aber die Wirtschaftsseite, die Sonntagsöffnungen ins Spiel bringt. Umso überraschender ist es, dass es diesmal die Arbeitnehmerseite ist, die den Sonntag wieder zum Thema macht – zumal es zuletzt auch aus Wirtschaftskreisen diesbezüglich eher ruhig geworden ist. In der aktuellen Situation sind die meisten Händler ohnehin froh, überhaupt wieder geöffnet zu haben.
WKO-Forderungen zurückgewiesen
Hört man sich in Händlerkreisen um, spielt die Sonntagsöffnung derzeit kaum eine Rolle. Die letzte dahingehende Forderung datiert kurz nach Ende des zweiten harten Lockdowns, Anfang Dezember. Damals war es WKO-Chef Harald Mahrer, der in der Vorweihnachtszeit eine Handelsöffnung an den Adventsonntagen forderte. Die Situation damals war ohnehin eine andere, der Vorschlag sollte in erster Linie dazu dienen, die Kundenströme zu entzerren, so der WKOChef damals. Durchgesetzt hat er sich mit seinem Vorstoß nicht. Die sofortige empörte Zurückweisung der Arbeitnehmervertreter machte einmal mehr deutlich, wie heilig ihnen der freie Sonntag ist.
Auch Bischof Alois Schwarz, kirchlicher Sprecher der Sonntagsallianz, rief dazu auf, „dieses Kulturgut der Menschheit“zu hüten. Für ihn habe der Sonntag eine wichtige gesellschaftliche Funktion, um einen synchronisierten Rhythmus zwischen Arbeit und Leben zu erhalten: „Der Sonntag ist ein Tag gegen die Versklavung und die Ausbeutung des Menschen.“Dem hätte sich wohl auch sein römischer Glaubensgenosse Kaiser Konstantin angeschlossen – auch wenn die Zeit damals eine völlig andere war.