So berühmt kann ein erfundenes Wort machen
Etymologie. Einst waren Neologismen verpönt, heute werden ihre Schöpfer gepriesen. Aber erst dank der Digitalisierung lassen sich die Urheber zweifelsfrei klären. Ralph Keyes geht ihren verblüffenden Geschichten in einem neuen Buch nach.
Im Bett, im Auto, in der Badewanne: Allerorten und monatelang grübelte der Physiker John Wheeler, wie er seine Theorie über sterbende Sterne mit kollabierter Schwerkraft in eine griffige Phrase packen könnte. Als er während eines Vortrags sein Leid klagte, rief jemand aus dem Publikum: „Wie wär’s mit SCHWARZES LOCH?“Perfekt war es, wurde weltweit übersetzt. Nur nicht ins Russische, wo es „gefrorener Stern“heißt. Denn das „schwarze Loch“war dort schon als vulgärer Ausdruck für die Vagina belegt.
Auf solch verblüffende Fährten führt der US-Publizist Ralph Keyes mit seinem soeben in der Oxford Press erschienenen Buch „The Hidden History of Coined Words“. Dass Neologismen nicht vom Himmel fallen, war uns klar. Aber erst durch die digitale Erfassung fast aller Druckwerke können Etymologen heute rückverfolgen, von wem sie stammen. Ihre Urheber werden als Helden gefeiert, wie Keyes anhand der Titel von Nachrufen auf Psychologen zeigt: Von ihnen bleibt, dass sie so tolle Wörter wie WORKAHOLIC, BURN-OUT oder HOMOPHOBIE erfunden haben.
Was für ein Wandel: In alten Zeiten waren neue Wörter gar nicht geschätzt. Horaz kämpfte um sein Recht als Dichter, das Latein-Wörterbuch um ein paar Ausdrücke zu erweitern. Flaubert klagte, Neologismen seien „der Ruin der französischen Sprache“. Dass man ihnen heute applaudiert, liegt wohl am raschen Wandel aller sozialen Strukturen – was nach immer neuen Begriffen heischt. Die dann oft hoch politisch sind, wenn auch erst auf den zweiten Blick.
Den KLIMAWANDEL etwa hat ein republikanischer Meinungsforscher zu verantworten, der das Weiße Haus beriet, als dort George W. Bush residierte. Er empfahl den neuen Ausdruck, weil er einer Fokusgruppe viel weniger Angst einflößte als die schon damals gebräuchliche „Erderwärmung“. 2019 entschuldigte sich der Mann für die Verharmlosung vor einem Senatsausschuss. Mittlerweile hatte man ja die KIPPPUNKTE entdeckt, die den Treibhauseffekt beschleunigen. Ursprünglich kommen sie aus der Rassismusforschung und beschreiben jenen Punkt, an dem Weiße ein Stadtviertel verlassen, weil ihnen zu viele Schwarze zuziehen. Rassismus gibt es nicht, alles FAKE
NEWS, hätte Trump gepoltert – und damit eine Phrase vereinnahmt, die vom Gegner stammt: Ein linker kanadischer Journalist wollte damit 2014 rechte Schauergeschichten anprangern. Und die Coronakrise? Sie hat uns wenige neue Wörter beschert, aber viele bisher obskure in ein grelles Licht gerückt. Ausdrücke wie „Kontaktverfolgung“oder „Massentest“hätte man noch vor gut einem Jahr in einem dystopischen Roman über eine totalitäre Zukunft verortet. Schon länger vertraut ist uns die damit verbundene BÜRO
KRATIE. Der bretonische Marquis de Gournay predigte als Ökonom das LAISSEZ-FAIRE, sah sich aber als Handelsbeauftragter mit zu vielen Vorschriften konfrontiert, verwaltet von Beamten, in einer – voil`a – „Herrschaft der Schreibtische“. Immer noch besser als eine BANANENREPUBLIK? Sie kreierte ein literarisch versierter Gauner: William Sidney Porter veruntreute Gelder, floh nach Honduras und schrieb dort unter Pseudonym Geschichten über einen fiktiven Staat, in dem sich alles um Bananen dreht. Ihr nettestes Antlitz zeigt die Politik im TEDDYBÄREN. USPräsident Theodore Roosevelt weigerte sich auf einer Jagd, einen angebundenen Bären
zu erschießen. Das inspirierte die Frau eines New Yorker Zuckerlhändlers. Sie nähte für die Auslage einen „Teddy’s Bear“und durfte ihn später mit präsidialer Erlaubnis vermarkten. Einer Gattin mit sprachlichen Gaben verdanken wir übrigens auch das TELEFON – seinem Erfinder Graham Bell hätte „sprechender Telegraf“viel besser gefallen.
Gewiss: In einem englischsprachigen Buch wimmelt es von Anglizismen. Aber das ist „fair enough“. Amerikas Eliteuniversitäten sind nun einmal die Quelle von so geläufigen Wörtern wie ALPHAMÄNNCHEN, MID
LIFE CRISIS oder NULLSUMMENSPIEL. Auch der NARZISSMUS lässt sich leider nicht dem Wiener Freud zuschreiben – der englische Dichter Coleridge war schneller. Ein paar Körner streut man immerhin dem norwegischen Zoologen Thorleif Schjelderup-Ebbe hin: Er entdeckte schon als Kind beim Beobachten von Hühnern die HACKORDNUNG.
Freilich: Nicht alles ist so wissenschaftlich, wie es wirkt. Dass Ureinwohner der Südsee am Lagerfeuer zum Gaudium aller nachstellten, welche Art von Geschlechtsverkehr ihnen die christlichen Glaubensboten empfahlen, ist wohl erfunden – was dem Erfolg des Begriffs MISSIONARSSTELLUNG keinen Abbruch tat. Der SATELLIT als Ding, das um die Erde kreist, ist der Fantasie Jules Vernes entsprungen. Und der Prager Dramatiker Karel Cˇapek sah eine Zukunft voraus, in der nur noch menschenähnliche Maschinen schuften – genannt „ROBOTA“, tschechisch für Zwangsarbeiter. Aber es gibt auch Spielehersteller mit poetischer Ader. Ein solcher in London schuf für Tischtennis die lautmalerische Alliteration von PING
PONG – viel besser als die Alternativen Whiff Waff, Pim-Pam und Tennis de Salon.
Zuweilen aber kommt der Erfolg eines Neologismus für seinen Schöpfer unerwünscht. Der Astronom Sir Fred Hoyle wollte sich in einer Radiosendung nur über Kollegen lustig machen, die glaubten, das Universum sei durch so etwas wie einen UR
KNALL entstanden. Aber sein Bild vom „Big Bang“machte Furore. Bis zu seinem Lebensende war er überzeugt, seine eigene Erklärung für einen sich ausdehnenden Kosmos hätte sich durchgesetzt, wäre ihm dafür bloß ein ähnlich knalliges Wort eingefallen.
Und dann wäre da noch Bayer. Der deutsche Pharmakonzern propagierte im späten 19. Jahrhundert ein Schmerzmittel, auch für Kinder, das er irrtümlich für nicht süchtig machend hielt. Aber wie es nennen? Die Probanden fühlten sich nach der Einnahme wie Helden. Da haben wir’s: HEROIN!