Was macht Israel besser als die EU?
Impfstoffe. Bundeskanzler Sebastian Kurz beschwert sich über Verzögerungen in der EU, deren Impfstrategie seine Regierung einst mitentschieden und mitgetragen hat. Stattdessen will er künftig mit Ländern wie Israel zusammenarbeiten.
Israels Strategie und wie Kanzler Kurz mit dem Land nun kooperieren will.
Wien/Brüssel. Die von Bundeskanzler Sebastian Kurz angekündigte Kooperation mit Israel und seine Kritik an der EU-Impfstrategie dürften Österreichs Abkehr von der engen Kooperation in Europa in diesem Politikfeld einläuten. Sie ist für die Zukunft angedacht, nicht für die erste Welle an Impfungen.
Noch im November hatte sich Kurz bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dafür bedankt, dass sie „einen wirklich guten Beschaffungsprozess aufgestellt hat“. Die türkis-grüne Regierung trug damals das längere Genehmigungsverfahren über die Europäische Arzneimittelagentur EMA mit. Nun hinkt das Land mit einer Impfquote von rund sieben Prozent sogar vielen EUPartnern hinterher. Die Ungeduld steigt. Es dominieren der öffentlich geäußerte Ärger über Lieferengpässe in der EU und lange EMA-Verfahren. Ist die Kooperation mit Israel der erhoffte Ausweg? Eine Übersicht:
1 Was bezweckt Bundeskanzler Kurz mit seiner Kooperation mit Israel?
Kurz tauscht sich regelmäßig mit Regierungschefs von Ländern aus, die zumindest zu Beginn der Coronapandemie schnell reagiert haben. Zu dieser Gruppe der sogenannten „First Mover“zählen neben Israel und Dänemark auch Norwegen, Griechenland, Tschechien, Neuseeland, Australien und Singapur. Der Bundeskanzler und seine dänische Amtskollegin, Mette Frederiksen, reisen am Donnerstag für eine Stippvisite nach Israel, weil sie sich an dem Beschaffungs- und Produktionsprojekt – ebenso wie Bahrain – beteiligen wollen. Auch bei der Forschung und Anti-Corona-Medikamenten ist an eine Kooperation angedacht. Am Dienstag besprach er im Kanzleramt mit Pharmavertretern Möglichkeiten, auch in Österreich Produktionskapazitäten aufzubauen. Der Kanzler zeigt sich enttäuscht von den Lieferengpässen, den schleppenden Impffortschritten, den „zu langsamen“Zulassungsver
fahren in der EU. „Wir sollten bei der Produktion von Impfungen der zweiten Generation künftig nicht mehr nur von der EU abhängig sein“, erklärte er.
2 Warum ist die israelische Regierung schneller als die EU mit ihrer Impfstrategie?
Israel liegt mit einer Impfquote von 93,5 von 100 Einwohnern, die zumindest eine Dosis erhalten haben, weit vor der EU mit 7,43 pro 100 Einwohner. Das hat mehrere Gründe. Israel war bereit, mit den Impfherstellern – allen voran Pfizer – eng zu kooperieren und für die bestellten Impfdosen einen deutlich höheren Preis zu bezahlen als die EU-Länder. Laut mehreren Berichten soll Israel mit rund 30 Euro pro Dosis einen mehr als doppelt so hohen Preis akzeptiert haben als die EU mit kolportierten 12,7 Euro pro Dosis. Zudem wurden vonseiten Israels mit dem Hersteller alle verfügbaren Daten ausgetauscht, wodurch das knapp neun Millionen Einwohner zählende Land zu einem idealen Beobachtungsfeld für das Pharmaunternehmen wurde. Profitiert haben dadurch beide Seiten. Pfizer konnte seine Datensammlung erweitern, Israel hatte früher als andere seinen Impfstoff.
3 Wurde in Israel eine eigene Produktion von Impfstoff aufgebaut?
Bisher nicht. Israel ist auf absehbare Zeit komplett abhängig von Produktionsstandorten in Europa und anderswo. Israels Premier Benjamin Netanjahu, dem übrigens am 23. März Parlamentswahlen ins Haus stehen, ließ am Sonntag mit einer Idee aufhorchen. Er will künftig nicht nur Millionen Dosen Impfstoff kaufen, sondern gemeinsam mit den US-Firmen Moderna und Pfizer eine Fabrik in Israel errichten, um auch in den kommenden Jahren gegen Coronamutationen gewappnet zu sein. Auf die Erfüllung solcher Wahlkampfversprechen muss man in Europa nicht warten: Der deutsche PfizerPartner Biontech hat vor zwei Wochen einen neuen Standort im hessischen Marburg eröffnet, der allein im heurigen ersten Halbjahr eine Viertelmilliarde Impfdosen herstellen soll. Und auch die Europäische Kommission hat erkannt, dass der Aufbau pharmazeutischer Produktionskapazitäten für die dauerhafte Überwindung der Seuche entscheidend ist.
Thierry Breton, Kommissar für Binnenmarkt, leitet seit Anfang Februar eine Arbeitsgruppe, die Engstellen in den europäischen Produktions- und Lieferketten aufspüren und gemeinsam mit den Unternehmen beseitigen soll. Mittelfristig hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Breton ein ehrgeiziges Ziel vorgegeben: Sie wünscht sich ein Netzwerk aus jederzeit aktivierbaren, flexiblen biomedizinischen und pharmazeutischen Produktionsanlagen, die beim Auftreten neuer Pandemien rasch hochgefahren werden können, um akute Mängel an Medikamenten und medizinischem Material zu beseitigen.
4 Ist die EU bei der Zulassung von Impfstoffen zu langsam gegenüber anderen Ländern?
Die EU und Israel verfolgen bei der Zulassung der Impfstoffe gänzlich andere Wege: Die EU-Regierungen – auch Österreich – haben sich im vergangenen Sommer auf ein zentrales Genehmigungsverfahren durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) geeinigt. Im Bewusstsein einer hohen Impfskepsis in der Bevölkerung und einer sonst notwendigen Staatshaftung bei Sicherheitsproblemen wurde eine Notfallzulassung, wie sie in den USA oder Großbritannien vollzogen wurde, ausgeschlossen.
Israel verließ sich bei seinem bisher wichtigsten Impfstoff von Pfizer großteils auf die Zulassung durch die amerikanische Behörde Food and Drug Administration (FDA) und hatte dadurch einen zeitlichen Startvorteil gegenüber der EU. Die EMA vergibt als Vorsichtsmaßnahme nur eine „bedingte Zulassung“für ein beschleunigtes Verfahren, das länger dauert als eine solche Notzulassung. Wobei die EMA regelmäßig die Produktionsqualität kontrolliert und eine Datenbank zu Nebenwirkungen aufgebaut hat. Israel vertraut hingegen bei der Qualitätssicherung auf die enge Kooperation mit den Herstellern.
5 Können Nationalstaaten effizienter agieren als die EU mit ihren 27 Mitgliedstaaten?
Man muss hier zwei Fragen unterscheiden: jene nach der Bestellung der Impfstoffe und jene nach ihrer Verimpfung. Gewiss wäre es für große, reiche Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich schneller möglich gewesen, für sich selbst Verträge mit den Herstellern abzuschließen. Gemeinsam mit den Niederlanden und Italien hatten sie bereits vor dem Sommer 2020 begonnen, solche Verhandlungen zu lancieren. Diese wurden dann im Juni von der Kommission übernommen. Ob kleine Staaten wie Österreich das auch könnten, ist fraglich. Es hätte ähnlich wie Israel auf höhere Preise und Sonderkonditionen für Hersteller setzen müssen.
Was das Verimpfen der erworbenen Dosen betrifft, zeigt sich: Je kleiner ein Land ist und je zentraler es regiert wird, desto schneller schreitet es voran – siehe Malta, mit der höchsten Impfrate in der EU (18 %), oder eben Israel. Je größer und föderaler ein Land strukturiert ist, desto eher droht die Impfstrategie im institutionellen Hickhack stecken zu bleiben – siehe Deutschland (7,4 %). Allerdings gibt es auch Aspekte, die nichts damit zu tun haben, wie groß oder wie föderal organisiert ein Land ist: etwa die Frage, wer impfen darf. Frankreich zum Beispiel wird demnächst auch Apothekern und Hebammen erlauben, die Covid-Impfungen zu verabreichen, und erhöht damit das Tempo. In Österreich und anderen EU-Ländern ist das einstweilen nicht vorgesehen.