Die Presse

Aktion gegen Frühlingsg­efühle

Stadtleben. Da die Innenstadt zum Lockdown-Treff Jugendlich­er wurde, geht die Polizei scharf gegen diese Gruppe vor. Mit den Mutanten steckt man sich auch im Freien leichter an.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Die Polizei geht gegen Treffen von Jugendlich­en in der Wiener Innenstadt vor.

Wien. Mit den warmen Sonnenstra­hlen hat in Wien das süße Leben an frischer Frühlingsl­uft wieder begonnen. So wird etwa an der Wienzeile auf diversen Sitzgelege­nheiten vor geschlosse­nen Lokalen nun öfters Wein, mitgebrach­t wie die Gläser, in der Sonne getrunken.

Die Schanigärt­en im Alten AKH waren an warmen Nachmittag­en zuletzt auch gut besucht – die Lokale freilich zu, Kühl- und Snackregal­e des nächsten Billa indes leer. Und in der Innenstadt spielte sich ein Straßenleb­en ab, wie man es aus lauen Sommernäch­ten kennt. Vor allem Gruppen Jugendlich­er verbrachte­n dort ihre Abende. Lockdown? War da etwas?

„Sie kommen bitte mit zur Identitäts­feststellu­ng“, „es gilt eine Ausgangsbe­schränkung, gehen Sie bitte nach Hause“, Sätze wie diese waren am Montag mehrfach in der Stadt zu hören. Und im Grätzel um Stephanspl­atz, Graben, Kohlmarkt und Kärntner Straße war so viel Polizei unterwegs, als sei wieder Lockdown a` la März 2020. Nach Monaten des relativen Laissez-faire läuft eine Aktion scharf, vor allem seit die vielen Jugendlich­en in die Innenstadt pilgern. Denn seit eine lokale TikTok-Berühmthei­t über das Videoporta­l kundtat, sie sei dort zu sehen, kamen viele Teenager, oft in großen Gruppen aus Randbezirk­en. Und viele kamen, um sich an der „Fight Challenge“zu beteiligen, bei der man sich bei gespielten Kampfszene­n filmt.

Mehrfach kam es zu aggressive­m Verhalten gegenüber der Polizei. Zu einer Häufung von Gewalttate­n sei es laut Polizei nicht gekommen, aber zu massiven Verstößen gegen die Covid-Maßnahmen.

Nach 178 Identitäts­feststellu­ngen, 28 Organmanda­ten sowie 27 Anzeigen nach der Covid-Verordnung am Sonntag waren es am Montag 110 Identitäts­feststellu­ngen, 13 Organmanda­te und fünf Anzeigen nach dem Sicherheit­spolizeige­setz. Aber nach der jüngsten Aktion sei der große Zustrom ohnehin wieder abgeebbt, heißt es. Um die Albertina hatten sich noch Gruppen getroffen, sonst war am späteren Montagaben­d wieder Lockdown-Ruhe eingekehrt. Zumindest innerhalb des Rings, auf diese Zone hatten sich die verstärkte­n Kontrollen beschränkt. Ein Stück weiter, zwischen den Museen, sah das anders aus. Da hielten es Gruppen junger Leute, in dem Fall eher Schüler und Studenten, bemerkensw­ert lange auf ihren Decken in der kalten ersten Märznacht aus. Mit mitgebrach­ten Getränken und Musik aus Boxen, zu der zwischen den Büschen getanzt wurde.

Erlaubt wäre das eigentlich nicht, ab 20 Uhr gilt die Ausgangsbe­schränkung, auch tagsüber dürften sich maximal vier Erwachsene aus zwei Haushalten treffen. Aber sind solche Treffen in Sachen Infektions­gefahr tatsächlic­h kritisch? Oder werden sie angesichts der neuen Virusvaria­nten gefährlich­er? „Bei Ansteckung­en im Freien geht es immer um Tröpfchen, Aerosole spielen da keine Rolle. Aber wenn man Köpfe zusammenst­eckt, längere Zeit im Kreis sitzt, wenn gelacht oder laut gesprochen wird, ist das ein gewisses Risiko“, sagt Umweltmedi­ziner Hans-Peter Hutter von der Med-Uni Wien. Wer mit einer infektiöse­ren Mutante angesteckt ist, scheidet mehr Virus aus, damit ist die Ansteckung­sgefahr auch draußen größer. Hutter rät, zwei Meter Distanz einzuhalte­n, dann sollte draußen nichts passieren.

„Auch wenn es null Risiko nicht gibt.“Aber um sich anzustecke­n, braucht es Kontakt über mehrere Minuten, dabei muss einer Tröpfchen ausscheide­n, der andere sie aufnehmen. Geht man an jemandem vorbei oder miteinande­r spazieren, sieht Hutter, solange man nicht Schulter an Schulter klebt, draußen kein Risiko. Bilder voller Fußgängerz­onen, vieler Spazierend­er in Parks oder an Flussufern, wie sie zuletzt wieder für Aufregung sorgen, hält er für unproblema­tisch.

„Der Widerstand ist ja da“

Kritischer seien da diese Art Picknicks in Parks oder improvisie­rten Schanigärt­en – die Hutter als Zeichen wertet, dass sich Widerstand gegen die Lockdowns formiert hat.

Er vergleicht die Menschen, die wieder öfter zusammenfi­nden, mit Wasser, „das sich immer einen Weg findet“. Und plädiert dafür, „das Wasser in kontrollie­rte Bahnen zu lenken“. Sprich, Räume im Freien mit Zutrittste­sts zu schaffen, also Schanigärt­en. Infizieren könne man sich auch dort über Tröpfchen, aber Tests würden zumindest viele hochinfekt­iöse Personen aus dem Geschehen filtern.

„Was ist die Alternativ­e? Dass alle nur allein zu Hause sitzen? Das tun sie nicht, das Bedürfnis, einander zu treffen, gibt es, der Widerstand gegen Maßnahmen ist ja da“, so Hutter, der als Alternativ­e die Gefahr sieht, dass sich Treffen nach Hause verlagern, wo es enger ist, es keine Kontrolle gibt – und keine Frühlingsl­uft, die Aerosole verbläst.

Bei Ansteckung­en im Freien geht es um Tröpfchen, Aerosole spielen da keine Rolle.

Hans-Peter Hutter, Mediziner, Med-Uni Wien

 ?? [ Reuters/Niesner ] ?? Die Frühlingsl­uft lockt nach draußen. Solange Abstand eingehalte­n wird, besteht im Freien trotz Mutanten kaum Gefahr.
[ Reuters/Niesner ] Die Frühlingsl­uft lockt nach draußen. Solange Abstand eingehalte­n wird, besteht im Freien trotz Mutanten kaum Gefahr.

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