Aktion gegen Frühlingsgefühle
Stadtleben. Da die Innenstadt zum Lockdown-Treff Jugendlicher wurde, geht die Polizei scharf gegen diese Gruppe vor. Mit den Mutanten steckt man sich auch im Freien leichter an.
Die Polizei geht gegen Treffen von Jugendlichen in der Wiener Innenstadt vor.
Wien. Mit den warmen Sonnenstrahlen hat in Wien das süße Leben an frischer Frühlingsluft wieder begonnen. So wird etwa an der Wienzeile auf diversen Sitzgelegenheiten vor geschlossenen Lokalen nun öfters Wein, mitgebracht wie die Gläser, in der Sonne getrunken.
Die Schanigärten im Alten AKH waren an warmen Nachmittagen zuletzt auch gut besucht – die Lokale freilich zu, Kühl- und Snackregale des nächsten Billa indes leer. Und in der Innenstadt spielte sich ein Straßenleben ab, wie man es aus lauen Sommernächten kennt. Vor allem Gruppen Jugendlicher verbrachten dort ihre Abende. Lockdown? War da etwas?
„Sie kommen bitte mit zur Identitätsfeststellung“, „es gilt eine Ausgangsbeschränkung, gehen Sie bitte nach Hause“, Sätze wie diese waren am Montag mehrfach in der Stadt zu hören. Und im Grätzel um Stephansplatz, Graben, Kohlmarkt und Kärntner Straße war so viel Polizei unterwegs, als sei wieder Lockdown a` la März 2020. Nach Monaten des relativen Laissez-faire läuft eine Aktion scharf, vor allem seit die vielen Jugendlichen in die Innenstadt pilgern. Denn seit eine lokale TikTok-Berühmtheit über das Videoportal kundtat, sie sei dort zu sehen, kamen viele Teenager, oft in großen Gruppen aus Randbezirken. Und viele kamen, um sich an der „Fight Challenge“zu beteiligen, bei der man sich bei gespielten Kampfszenen filmt.
Mehrfach kam es zu aggressivem Verhalten gegenüber der Polizei. Zu einer Häufung von Gewalttaten sei es laut Polizei nicht gekommen, aber zu massiven Verstößen gegen die Covid-Maßnahmen.
Nach 178 Identitätsfeststellungen, 28 Organmandaten sowie 27 Anzeigen nach der Covid-Verordnung am Sonntag waren es am Montag 110 Identitätsfeststellungen, 13 Organmandate und fünf Anzeigen nach dem Sicherheitspolizeigesetz. Aber nach der jüngsten Aktion sei der große Zustrom ohnehin wieder abgeebbt, heißt es. Um die Albertina hatten sich noch Gruppen getroffen, sonst war am späteren Montagabend wieder Lockdown-Ruhe eingekehrt. Zumindest innerhalb des Rings, auf diese Zone hatten sich die verstärkten Kontrollen beschränkt. Ein Stück weiter, zwischen den Museen, sah das anders aus. Da hielten es Gruppen junger Leute, in dem Fall eher Schüler und Studenten, bemerkenswert lange auf ihren Decken in der kalten ersten Märznacht aus. Mit mitgebrachten Getränken und Musik aus Boxen, zu der zwischen den Büschen getanzt wurde.
Erlaubt wäre das eigentlich nicht, ab 20 Uhr gilt die Ausgangsbeschränkung, auch tagsüber dürften sich maximal vier Erwachsene aus zwei Haushalten treffen. Aber sind solche Treffen in Sachen Infektionsgefahr tatsächlich kritisch? Oder werden sie angesichts der neuen Virusvarianten gefährlicher? „Bei Ansteckungen im Freien geht es immer um Tröpfchen, Aerosole spielen da keine Rolle. Aber wenn man Köpfe zusammensteckt, längere Zeit im Kreis sitzt, wenn gelacht oder laut gesprochen wird, ist das ein gewisses Risiko“, sagt Umweltmediziner Hans-Peter Hutter von der Med-Uni Wien. Wer mit einer infektiöseren Mutante angesteckt ist, scheidet mehr Virus aus, damit ist die Ansteckungsgefahr auch draußen größer. Hutter rät, zwei Meter Distanz einzuhalten, dann sollte draußen nichts passieren.
„Auch wenn es null Risiko nicht gibt.“Aber um sich anzustecken, braucht es Kontakt über mehrere Minuten, dabei muss einer Tröpfchen ausscheiden, der andere sie aufnehmen. Geht man an jemandem vorbei oder miteinander spazieren, sieht Hutter, solange man nicht Schulter an Schulter klebt, draußen kein Risiko. Bilder voller Fußgängerzonen, vieler Spazierender in Parks oder an Flussufern, wie sie zuletzt wieder für Aufregung sorgen, hält er für unproblematisch.
„Der Widerstand ist ja da“
Kritischer seien da diese Art Picknicks in Parks oder improvisierten Schanigärten – die Hutter als Zeichen wertet, dass sich Widerstand gegen die Lockdowns formiert hat.
Er vergleicht die Menschen, die wieder öfter zusammenfinden, mit Wasser, „das sich immer einen Weg findet“. Und plädiert dafür, „das Wasser in kontrollierte Bahnen zu lenken“. Sprich, Räume im Freien mit Zutrittstests zu schaffen, also Schanigärten. Infizieren könne man sich auch dort über Tröpfchen, aber Tests würden zumindest viele hochinfektiöse Personen aus dem Geschehen filtern.
„Was ist die Alternative? Dass alle nur allein zu Hause sitzen? Das tun sie nicht, das Bedürfnis, einander zu treffen, gibt es, der Widerstand gegen Maßnahmen ist ja da“, so Hutter, der als Alternative die Gefahr sieht, dass sich Treffen nach Hause verlagern, wo es enger ist, es keine Kontrolle gibt – und keine Frühlingsluft, die Aerosole verbläst.
Bei Ansteckungen im Freien geht es um Tröpfchen, Aerosole spielen da keine Rolle.
Hans-Peter Hutter, Mediziner, Med-Uni Wien