Leitartikel von Jakob Zirm
Der globale CO2-Ausstoß ist wieder auf Vorkrisenniveau. Die Menschen wollen sich nicht ändern, also muss es die Technologie tun. Und wir müssen sie lassen.
Was waren es nicht für schöne Visionen, die vor einem Jahr – kurz nach Ausbruch der Coronapandemie – mitunter entworfen wurden. Das Virus und die damit verbundenen Einschränkungen würden uns quasi zu neuen Menschen machen. Es würde nicht nur dazu führen, dass die Menschen höflicher und netter werden, sie würden auch wieder verstärkt das direkte Gespräch suchen. Und auch das Wirtschaftssystem würde sich verändern: Statt Globalisierung gäbe es eine Rückbesinnung auf das Lokale – mit allen positiven Folgen für die Umwelt.
Wer sich heute Diskussionen zu den Themen „Impfung“oder „Lockdown“in sozialen Netzwerken ansieht, wird feststellen, dass es mit der gesteigerten Höflichkeit nicht wirklich etwas geworden ist. Und auch die Wirtschaft hat sich alles andere als geändert. So läuft sie in Ländern, die die Pandemie bereits weitgehend hinter sich gebracht haben, wie China, oder in Sektoren, die von den Lockdowns nur mehr kaum betroffen sind, wie der Industrie, ähnlich wie vor Ausbruch der Krise. Und das ist auch gut so. Denn bei aller Kritik, die es an manchen Bereichen dieser globalisierten Marktwirtschaft geben mag: Nur sie hat den Lebensstandard der Menschen in den Industrienationen auf das heutige Niveau gebracht. Und nur sie hat das Potenzial, dies auch für die Menschen in den anderen Ländern zu schaffen.
Es ist also nur zu verständlich, dass die Menschen wieder so leben wollen wie vor den Corona-Einschränkungen – sobald das möglich ist. Wenn künftig Dienstreisen durch Videokonferenzen ersetzt werden können, ist das eine tolle Sache. Und auch Home-Office wird den Pendelverkehr zumindest teilweise entlasten können. Wer aber die Freiheitsstatue sehen will, muss weiterhin nach New York fliegen. Und ohne regelmäßiges Zusammentreffen der Mitarbeiter an der Arbeitsstätte werden auch viele Unternehmen nicht mehr so gut funktionieren wie früher.
Diese Mobilität und diese Güterversorgung, an die wir uns schon so sehr gewöhnt haben, bringen aber auch große Probleme mit sich. Allen voran den CO2Ausstoß, der den Klimawandel anheizt. Laut Zahlen der Internationalen Energieagentur brachte die Coronapandemie hier nur ein kurzes Verschnaufen. Zwar gingen die globalen Emissionen 2020 um rund sechs Prozent zurück. Im Dezember wurde jedoch bereits wieder der Wert von 2019 überschritten. Und das, obwohl der internationale Flugverkehr stark eingeschränkt war und viele Länder sogar in Lockdowns verharrten.
Wenn wir den Klimawandel einbremsen oder sogar umkehren wollen, dann wird es also nicht reichen, mit Aufrufen zum Verzicht auf eine Verhaltensänderung der Menschen zu hoffen. Natürlich kann und soll jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten etwas dazu beitragen. Flugscham ist aber nicht die Lösung des Problems. Eine wirklich tiefgreifende und nachhaltige Veränderung kann nur ein technologischer Umbau sein. Und das auch in nicht sehr populären Bereichen.
Denn dazu gehört nicht nur der starke Ausbau von erneuerbaren Energiequellen wie Windkraft oder Fotovoltaik. Es braucht auch die – möglichst schnelle – Errichtung der notwendigen Netze, um die Elektrizität dorthin zu bringen, wo sie benötigt wird. Und in Ländern, die mit weniger Bergen und somit weniger Wasserkraft als Österreich gesegnet sind, dürfte zumindest temporär auch Atomkraft ein Teil der Lösung sein.
Darüber hinaus wird es global auch mehr grüne Gentechnik brauchen, um den Einsatz von Dünger in der Landwirtschaft zu reduzieren. Und es wird neue Technologien wie die CO2-Speicherung unter der Erde benötigen, die hierzulande derzeit sogar komplett verboten ist.
Da die Menschen sich in ihrem Verhalten aus nachvollziehbaren Gründen nicht verändern wollen, müssen sie halt akzeptieren, dass sich die Welt um sie herum ändert. Das kann unkontrolliert durch die globale Erwärmung erfolgen. Oder kontrolliert, indem wir mit neuen Technologien versuchen, diese Erwärmung zu verhindern. Wir haben es selbst in der Hand.
E-Mails an: jakob.zirm@diepresse.com