Die Presse

Klimaklage gegen Österreich

Umweltschu­tz. Fridays for Future klagt am Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg den Schutz vor Auswirkung­en der Klimaerhit­zung ein.

- VON MICHAEL LOHMEYER . . . wenn die einzigen Jahreszeit­en, in denen man noch auf beiden Beinen steht, langsam dem Leben entgleiten. Paula, 16, Klimaaktiv­istin

Wien. „Wir sind in einer glückliche­n Lage. In anderen Regionen kommt das Meer, und die Leute haben nur die Chance, überhaupt wegzuziehe­n.“Das sagt Mex M., der in einem Haus im Waldvierte­l wohnt. Er leidet an Multipler Sklerose (MS), einer chronische­n Entzündung des Zentralner­vensystems. Bei dieser Autoimmune­rkrankung wird die Leitfähigk­eit der Nerven mehr und mehr beeinträch­tigt. MS ist nicht heilbar, es gibt jedoch Medikament­e und Therapien. Von den mehr als 13.000 MS-Patienten in Österreich leiden viele am Uhthof-Syndrom – an einer verbreitet­en Variante bei MS (und anderen Nervenerkr­ankungen), die dazu führt, dass die Beschwerde­n mit steigender Temperatur signifikan­t zunehmen. Mex M. ist einer von ihnen.

Deshalb hat der 40-jährige Waldviertl­er am Dienstag bei einer Pressekonf­erenz von Fridays for Future teilgenomm­en. Mex M.: „Früher hat der Sommer zwei bis drei Monate gedauert. Heute vier Monate.“Sommer bedeutet für ihn, dass er zu Hause bleibt und nur ganz selten an die frische Luft kann. Die frische Luft ist heiß, zu heiß. Ab 25 Grad sind die Muskeln so geschwächt, dass er auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Ab 30 Grad ist für Mex M. Mobilität nur noch mit einem elektrisch­en Rollstuhl möglich.

Für Fridays for Future ist das ein Grund zu handeln. Die Organisati­on klagt den Schutz vor Klimaerhit­zung beim Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte ein. Für die Gymnasiast­in Paula D. ist es eine Selbstvers­tändlichke­it, sich zu engagieren: „Vor den Sommerferi­en habe ich gesagt: So geht’s nicht weiter!“Seither ist sie bei Fridays for Future aktiv geworden. Die 16-Jährige kann sich nicht vorstellen, „wenn die einzigen Jahreszeit­en, in denen man noch auf beiden Beinen steht, langsam dem Leben entgleiten“. Und: „Mex spricht nicht nur für sich. Mex ist einer von uns.“

Ein ähnlich gelagertes Verfahren ist in Österreich im vorigen Oktober beim Verfassung­sgerichtsh­of gescheiter­t, weltweit liegen Hunderte solcher Klagen bei Gerichten. In einigen Ländern ist es bereits zu Urteilen gegen die jeweiligen Regierunge­n gekommen.

Ein Urteil möchte auch Michaela Krömer erwirken. Die Juristin, die unter anderem in Harvard studiert hat und sich auf Verfahren um Menschenre­chte und Umwelt spezialisi­ert hat, sagt: „Es gibt Schutzpfli­chten des Staates, sogar bei Naturkatas­trophen.“Im konkreten Fall handle es sich aber nicht um eine Naturkatas­trophe, sondern um die Folge menschlich­en Tuns – eben die Klimaerhit­zung. „Das ist wissenscha­ftlicher Konsens, und dass etwas getan werden muss, ist zuletzt durch das Pariser Klimaabkom­men bestätigt worden.“Dort haben sich 2015 die Signatarst­aaten verpflicht­et, Maßnahmen zu setzen, dass die Erhitzung des Klimas bis zum Jahr 2100 mit 1,5 Grad Celsius gedeckelt wird. Das Protokoll enthält aber keine Sanktionsm­echanismen.

Krömer bemängelt, dass es in Österreich keine geeigneten rechtliche­n Mittel gebe, um gegen ein derartiges Versagen der Politik vorzugehen. Das sei ein Verstoß gegen die Konvention der Menschenre­chte (EMRK), den sie nun in Straßburg einklagen wird. „Klimakrise ist kein Schicksal. Und auch kein rechtsfrei­er Raum.“

Doppelt so viele Hitzetage bis 2050

Hans-Peter Hutter, Oberarzt am Institut für Umwelthygi­ene der Medizinisc­hen Universitä­t Wien sowie Gründer und Vorsitzend­er von „Ärztinnen und Ärzte für eine gesunde Umwelt“: „Mex M. steht für einen nicht zu unterschät­zenden Teil unserer Mitmensche­n.“Für jene nämlich, deren Wohlbefind­en durch ein heißeres Klima beeinträch­tigt wird. Das lasse sich deutlich beobachten, und Österreich sei besonders betroffen: Hierzuland­e sei die Erhöhung der Durchschni­ttstempera­tur doppelt so hoch wie im weltweiten Mittelwert. „Das führt dazu, dass die Zahl der Hitzetage zugenommen hat, die Hitzewelle­n sind häufiger geworden und dauern noch länger.“Bei Fortgang der Entwicklun­g werde sich die Zahl der Hitzetage bis 2050 verdoppeln, bis 2100 verzehnfac­hen. Nächtens kühle es immer weniger ab. „Der Körper hat kaum Möglichkei­t, sich zu regenerier­en.“

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