Klimaklage gegen Österreich
Umweltschutz. Fridays for Future klagt am Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg den Schutz vor Auswirkungen der Klimaerhitzung ein.
Wien. „Wir sind in einer glücklichen Lage. In anderen Regionen kommt das Meer, und die Leute haben nur die Chance, überhaupt wegzuziehen.“Das sagt Mex M., der in einem Haus im Waldviertel wohnt. Er leidet an Multipler Sklerose (MS), einer chronischen Entzündung des Zentralnervensystems. Bei dieser Autoimmunerkrankung wird die Leitfähigkeit der Nerven mehr und mehr beeinträchtigt. MS ist nicht heilbar, es gibt jedoch Medikamente und Therapien. Von den mehr als 13.000 MS-Patienten in Österreich leiden viele am Uhthof-Syndrom – an einer verbreiteten Variante bei MS (und anderen Nervenerkrankungen), die dazu führt, dass die Beschwerden mit steigender Temperatur signifikant zunehmen. Mex M. ist einer von ihnen.
Deshalb hat der 40-jährige Waldviertler am Dienstag bei einer Pressekonferenz von Fridays for Future teilgenommen. Mex M.: „Früher hat der Sommer zwei bis drei Monate gedauert. Heute vier Monate.“Sommer bedeutet für ihn, dass er zu Hause bleibt und nur ganz selten an die frische Luft kann. Die frische Luft ist heiß, zu heiß. Ab 25 Grad sind die Muskeln so geschwächt, dass er auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Ab 30 Grad ist für Mex M. Mobilität nur noch mit einem elektrischen Rollstuhl möglich.
Für Fridays for Future ist das ein Grund zu handeln. Die Organisation klagt den Schutz vor Klimaerhitzung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein. Für die Gymnasiastin Paula D. ist es eine Selbstverständlichkeit, sich zu engagieren: „Vor den Sommerferien habe ich gesagt: So geht’s nicht weiter!“Seither ist sie bei Fridays for Future aktiv geworden. Die 16-Jährige kann sich nicht vorstellen, „wenn die einzigen Jahreszeiten, in denen man noch auf beiden Beinen steht, langsam dem Leben entgleiten“. Und: „Mex spricht nicht nur für sich. Mex ist einer von uns.“
Ein ähnlich gelagertes Verfahren ist in Österreich im vorigen Oktober beim Verfassungsgerichtshof gescheitert, weltweit liegen Hunderte solcher Klagen bei Gerichten. In einigen Ländern ist es bereits zu Urteilen gegen die jeweiligen Regierungen gekommen.
Ein Urteil möchte auch Michaela Krömer erwirken. Die Juristin, die unter anderem in Harvard studiert hat und sich auf Verfahren um Menschenrechte und Umwelt spezialisiert hat, sagt: „Es gibt Schutzpflichten des Staates, sogar bei Naturkatastrophen.“Im konkreten Fall handle es sich aber nicht um eine Naturkatastrophe, sondern um die Folge menschlichen Tuns – eben die Klimaerhitzung. „Das ist wissenschaftlicher Konsens, und dass etwas getan werden muss, ist zuletzt durch das Pariser Klimaabkommen bestätigt worden.“Dort haben sich 2015 die Signatarstaaten verpflichtet, Maßnahmen zu setzen, dass die Erhitzung des Klimas bis zum Jahr 2100 mit 1,5 Grad Celsius gedeckelt wird. Das Protokoll enthält aber keine Sanktionsmechanismen.
Krömer bemängelt, dass es in Österreich keine geeigneten rechtlichen Mittel gebe, um gegen ein derartiges Versagen der Politik vorzugehen. Das sei ein Verstoß gegen die Konvention der Menschenrechte (EMRK), den sie nun in Straßburg einklagen wird. „Klimakrise ist kein Schicksal. Und auch kein rechtsfreier Raum.“
Doppelt so viele Hitzetage bis 2050
Hans-Peter Hutter, Oberarzt am Institut für Umwelthygiene der Medizinischen Universität Wien sowie Gründer und Vorsitzender von „Ärztinnen und Ärzte für eine gesunde Umwelt“: „Mex M. steht für einen nicht zu unterschätzenden Teil unserer Mitmenschen.“Für jene nämlich, deren Wohlbefinden durch ein heißeres Klima beeinträchtigt wird. Das lasse sich deutlich beobachten, und Österreich sei besonders betroffen: Hierzulande sei die Erhöhung der Durchschnittstemperatur doppelt so hoch wie im weltweiten Mittelwert. „Das führt dazu, dass die Zahl der Hitzetage zugenommen hat, die Hitzewellen sind häufiger geworden und dauern noch länger.“Bei Fortgang der Entwicklung werde sich die Zahl der Hitzetage bis 2050 verdoppeln, bis 2100 verzehnfachen. Nächtens kühle es immer weniger ab. „Der Körper hat kaum Möglichkeit, sich zu regenerieren.“