Mittelosteuropas verzweifelter Ausweg
Covid-19. Die von der EU georderten Vakzine werden erst nach Ostern flächendeckend verfügbar sein. Doch bis dahin könnten die Gesundheitssysteme bereits kollabiert sein.
Prag/Bratislava/Warschau/Budapest. Während der ersten Welle der Pandemie im Frühjahr 2020 ist Mittelosteuropa vergleichsweise glimpflich davongekommen. Doch jetzt schlägt Corona in der Region mit voller Wucht zu: Was die Zahl der Neuerkrankungen anbelangt, lagen die Visegrad-´Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei zuletzt klar über dem EU-Schnitt – im Fall Tschechiens sogar katastrophal darüber. In ihrer Not setzen die Regierungen auf Impfstoffe aus China und Russland, die in der EU noch gar nicht zugelassen sind. Nach dem Vorreiter Budapest bemühen sich nun auch Warschau, Prag und Bratislava um zusätzliche Vakzine.
Die Visegrad-´Länder sehen sich mit einem kurzfristig dramatischen Problem konfrontiert: Die Lieferungen der auf EUEbene georderten Impfstoffe von Pfizer/Biontech, Moderna und AstraZeneca werden erst nach Ostern im großen Stil anlaufen – im zweiten Quartal werden allein diese drei Hersteller mindestens 300 Mio. Dosen liefern, hinzu kommt der (vermutlich Ende nächster Woche zugelassene) Impfstoff von Johnson & Johnson, der ab April zur Verfügung stehen soll, sowie voraussichtlich das Vakzin des deutschen Produzenten Curevac.
Doch bis dahin könnten die Gesundheitssysteme in Mittelosteuropa angesichts der explodierenden Fallzahlen bereits kollabiert sein. Zu Wochenbeginn verzeichnete Tschechien mit knapp 116.000 Coronafällen pro Million Einwohner den höchsten Wert in der EU (im EU-Schnitt waren es 50.527, in Österreich 51.170 und in der Slowakei 56.583 Fälle). Polen und Ungarn liegen zwar unter dem EU-Schnitt, aber mit steigender Tendenz. Erschwerend kommt hinzu, dass die Gesundheitssysteme in der Region im
Gegensatz zu ihren westlichen Nachbarn über geringere Ressourcen verfügen: Während beispielsweise in Deutschland im Jahr 2018 laut Eurostat 498 Krankenpfleger auf 100.000 Einwohner kamen, waren es in Tschechien 272 und in der Slowakei 183,5.
Ungarn erhöht den Impftakt
Um die Situation so weit wie möglich zu entschärfen, müssen die Mitteleuropäer folglich jetzt massiv impfen – und nicht erst nach Ostern. Dass zusätzliche Lieferungen die Impfkampagnen ankurbeln können, führt momentan Ungarn vor, das in Russland (Sputnik V) und China (Sinopharm) je zwei Mio. Dosen Impfstoff bestellt hat. Vergangene Woche war Ungarn mit 8,36 verabreichten Dosen pro hundert Erwachsene noch auf Platz acht im EU-Ranking gelegen. Am Montag war es mit 10,09 Dosen bereits auf Platz drei aufgerückt. Nur in Malta (18,03 Dosen) und Dänemark (10,6 Dosen) wird derzeit schneller geimpft als in Ungarn.
Die Suche nach zusätzlichen Impfungen erfolgt auch nach weltanschaulichen Kriterien: Für Polen, wo eine Kooperation mit Russland nicht infrage kommt, klopfte Staatspräsident Andrzej Duda bei Sinopharm an. In der Slowakei unterzeichnete der nationalpopulistische Ministerpräsident, Igor Matovic,ˇ am Montag einen Vertrag über die Lieferung von zwei Mio. Dosen des Sputnik-Vakzins – und das ohne Absprache mit seiner Stellvertreterin und Koalitionspartnerin, Veronika Remisovˇa,´ die sich noch letzte Woche gegen den Einsatz von in der EU nicht zugelassenen Impfungen ausgesprochen hatte. Die erste Million der Impfdosen aus Russland soll im März und April eintreffen. Auch Tschechiens Regierung bemüht sich um Sputnik und Sinopharm.
Die Wirksamkeit der Impfungen aus Russland und China ist nicht geklärt, da beide Länder bis dato keine belastbaren Daten vorgelegt haben und es auch keine international anerkannten Studien zu ihrem Wirkungsgrad gibt. Im Rahmen einer Notzulassung steht es jedem Unionsmitglied frei, andere Impfungen als die bis dato von der EUArzneimittelagentur EMA bewilligten national einzusetzen. Allerdings müssen die zulassenden EU-Länder im Fall von medizinischen Folgewirkungen die Haftung übernehmen. Hinzu kommt, dass in dem geplanten EU-Impfpass nur die in der EU zugelassenen Vakzine vermerkt werden dürfen.