EU-Höchstrichter warnen Polen
Rechtsstaatlichkeit. Der EuGH stellt die Regeln für die Neubesetzung der Richterposten infrage – überlässt das endgültige Urteil darüber aber einem polnischen Gericht.
Warschau. Es ist eine erneute Niederlage für Warschau: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat am Dienstag in einem Urteil bei Teilen der umstrittenen Justizreform in Polen eine Verletzung von EU-Recht festgestellt. Bei dem lang erwarteten Entscheid geht es um die Ernennung von Richtern nach der Machtübernahme der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Herbst 2015. Die neuen Regeln der Richterernennung könnten nicht mehr garantieren, dass die Richter „unabhängig und unparteilich“seien, wie es EU-Recht vorschreibe, wird im Urteil argumentiert.
Polen habe sich bei seinem EU-Beitritt der EuGH-Gerichtsbarkeit unterworfen, wird in der Urteilsbegründung betont. Das EURecht genieße in allen Mitgliedstaaten Vorrang vor Verfassung und Landesrecht. Genau dies wird von PiS bereits immer wieder in Abrede gestellt.
Bei dem Urteil handelt es sich um die bereits dritte Warnung des Obersten EU-Gerichts. Mit der Umsetzung der beiden vorhergehenden EuGH-Urteile tat sich Warschau schwer. Eine versuchte Frühpensionierung von Richtern mit dem Ziel, missliebige Richter durch der PiS genehme zu ersetzen, wurde nach einem EuGH-Urteil vom Herbst 2019 ausgesetzt. Doch eine einstweilige Verfügung des EuGH gegen die neue RichterDisziplinarkammer am Obersten Gericht vom Frühling 2020 wird in den Wind geschlagen.
Die umstrittene Disziplinarkammer, mehrheitlich von Gefolgsleuten des Justizministers Zbigniew Ziobro besetzt, tagt weiter und belegt nicht regierungstreue Richter mit Berufsverboten. Hier sei erst ein zweites Urteil notwendig, um Warschau mit schmerzhaft hohen Geldstrafen belegen zu können, heißt es in Luxemburg.
Auch das mit mehreren Gesetzesvorstößen der PiS-Mehrheit im Parlament geänderte Verfahren der Richterernennung dürfte einstweilen trotz dieses dritten EuGHUrteils im Sinne der Regierung weiterlaufen. Der EuGH empfiehlt in seinem Urteil nämlich einem polnischen Gericht, darüber nun gemäß EU-Recht zu befinden. Infrage dafür kommt das Höchste Verwaltungsgericht. Dieses wiederum könnte sich an das von der PiS völlig dominierte Verfassungsgericht halten – die Causa müsste dann erneut von den Luxemburger Höchstrichtern behandelt werden.
„Souveränität vergewaltigt“
Warschau lehnte das EuGH-Urteil umgehend ab. Es handle sich hier um eine „Einmischung in die Strukturen der polnischen Justiz, weil diese in die alleinige Kompetenz der Mitgliedstaaten fällt“, twitterte Polens Vizejustizminister, Sebastian Kaleta. Dabei würden „Polens Souveränität und Verfassung vergewaltigt“, schreibt Ziobros Stellvertreter. Auf den Punkt bringt die PiS-Sicht Verfassungsrichterin Krystyna Pawłowicz: „Der EuGH hat erneut die EU-Traktate verletzt.“