Die Presse

Wie Conte die Fünf Sterne neu leuchten lassen will

Italien. Der Ex-Premier soll die ramponiert­e Bewegung wieder auf die Beine bringen und um „360 Grad verändern“. Der Professor wird versuchen, die einstigen „post-ideologisc­hen Revolution­äre“in Richtung Mitte-links zu drängen.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Rom/Wien. Wirklich glücklich dürfte Italiens Ex-Premier Giuseppe Conte über den Wechsel vom römischen Regierungs­palast in die Florentine­r Uni-Hörsäle nicht gewesen sein. Die Sehnsucht nach der römischen Politarena war wohl größer, als der Ius-Professor zugegeben hatte. Wenn nun Conte als frisch nominierte­r Fünf-Sterne„Präsident“die Bewegung aus Umfragetie­f und Richtungss­treit erlösen soll, wird er genug politische Herausford­erungen finden.

Und die sind enorm: Italiens größte Regierungs­partei, die bei Parlaments­wahlen 2018 noch 32 Prozent der Stimmen für sich gewonnen hatte, rutschte zuletzt in Umfragen auf knappe 16 Prozent ab. Seit Monaten lähmen Streiterei­en zwischen revolution­ärer Basis und pragmatisc­her Regierungs­elite die einst rebellisch­en Sterne. Die Spannungen eskalierte­n im Februar, als die Parteichef­s der Regierung von Ex-EZB-Chef Mario Draghi grünes Licht gaben. Denn nicht nur gehört Draghi als Banker und einstiger EU-Spitzenfun­ktionär zur verhassten Kaste. In der neuen Koalition paktieren die Fünf Sterne auch noch mit Erzfeind Silvio Berlusconi. Beim Vertrauens­votum lehnten mehrere Parlamenta­rier Draghi ab. Sie wurden aus der Partei rausgeworf­en.

Zunächst wird es Conte wohl schaffen, der ramponiert­en Bewegung einen ordentlich­en Beliebthei­tsaufschwu­ng zu geben: Immerhin war er als Premier sehr populär. Zwar ist er immer noch kein Parteimitg­lied, als „Präsident“ist er aber jetzt noch klarer der Bewegung zuordenbar, die ihn 2018 zum Regierungs­chef machte. Das schafft Zuversicht: Auf Anhieb gewannen die Fünf Sterne jetzt in Umfragen mehr als sechs Prozentpun­kte. Die nächsten Schritte werden schwierige­r. Der Ex-Premier soll die Cinque Stelle nun um „360 Grad verändern“, zitieren Medien interne Stimmen. Wie die Änderungen aussehen sollen, bleibt offen. Bekannt ist nur, dass eine „ökologisch­e Ausrichtun­g“geplant ist.

Eine amorphe Gestalt

Aber genau diese Festlegung auf eine Richtung könnte sich als nächstes Problem mit viel Sprengkraf­t entpuppen: Der Charakterz­ug – und zeitweise auch die Stärke – der Fünf Sterne war bisher, dass sie sich trotz Wortgewalt und Provokatio­nen ideologisc­h nicht kategorisi­eren ließen. Sie entstanden als radikale Protestbew­egung gegen „alte“und „korrupte“Politik, ihre Hauptaussa­ge war anfangs der riesige Stinkefing­er in Richtung des Piazze und die Schimpftir­aden ihres Gründers, des Kabarettis­ten Beppe Grillo. Sie wurden zum Sammelbeck­en aller Unzufriede­nen – aus linkem, rechtem oder „post-ideologisc­hem“Spektrum.

Auf diese amorphe Gestalt war man stolz. So hatten die Fünf Sterne 2018 keine Berührungs­ängste, mit der rechtspopu­listischen Lega zu kooperiere­n. Ebenso scheute man ein Jahr später nicht davor zurück, mit den EU-freundlich­en Sozialdemo­kraten zu koalieren. In der Basis wuchs indes der Unmut, weil die „Revolution“der Machtpolit­ik zum Opfer gefallen war.

Ideologisc­he Pirouetten drehten die Fünf Sterne übrigens auch im EU-Parlament: Erst wollten sie zu den Liberalen, gingen dann zur rechten Anti-EU-Fraktion von Nigel Farage. Später wurden sie heimatlos, flirteten aber mit den Grünen. Conte, der Mitte-links-Vorlieben hat, will bei den EU-Sozialdemo­kraten anklopfen. Der Beitritt würde den Weg in den Mainstream ebnen. Ein weiterer Schritt: Offenbar wünscht sich Conte ein Parteiense­kretariat. Die Verwandlun­g von der „Bewegung“in eine klassische Partei wäre dann komplett.

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