Wie Conte die Fünf Sterne neu leuchten lassen will
Italien. Der Ex-Premier soll die ramponierte Bewegung wieder auf die Beine bringen und um „360 Grad verändern“. Der Professor wird versuchen, die einstigen „post-ideologischen Revolutionäre“in Richtung Mitte-links zu drängen.
Rom/Wien. Wirklich glücklich dürfte Italiens Ex-Premier Giuseppe Conte über den Wechsel vom römischen Regierungspalast in die Florentiner Uni-Hörsäle nicht gewesen sein. Die Sehnsucht nach der römischen Politarena war wohl größer, als der Ius-Professor zugegeben hatte. Wenn nun Conte als frisch nominierter Fünf-Sterne„Präsident“die Bewegung aus Umfragetief und Richtungsstreit erlösen soll, wird er genug politische Herausforderungen finden.
Und die sind enorm: Italiens größte Regierungspartei, die bei Parlamentswahlen 2018 noch 32 Prozent der Stimmen für sich gewonnen hatte, rutschte zuletzt in Umfragen auf knappe 16 Prozent ab. Seit Monaten lähmen Streitereien zwischen revolutionärer Basis und pragmatischer Regierungselite die einst rebellischen Sterne. Die Spannungen eskalierten im Februar, als die Parteichefs der Regierung von Ex-EZB-Chef Mario Draghi grünes Licht gaben. Denn nicht nur gehört Draghi als Banker und einstiger EU-Spitzenfunktionär zur verhassten Kaste. In der neuen Koalition paktieren die Fünf Sterne auch noch mit Erzfeind Silvio Berlusconi. Beim Vertrauensvotum lehnten mehrere Parlamentarier Draghi ab. Sie wurden aus der Partei rausgeworfen.
Zunächst wird es Conte wohl schaffen, der ramponierten Bewegung einen ordentlichen Beliebtheitsaufschwung zu geben: Immerhin war er als Premier sehr populär. Zwar ist er immer noch kein Parteimitglied, als „Präsident“ist er aber jetzt noch klarer der Bewegung zuordenbar, die ihn 2018 zum Regierungschef machte. Das schafft Zuversicht: Auf Anhieb gewannen die Fünf Sterne jetzt in Umfragen mehr als sechs Prozentpunkte. Die nächsten Schritte werden schwieriger. Der Ex-Premier soll die Cinque Stelle nun um „360 Grad verändern“, zitieren Medien interne Stimmen. Wie die Änderungen aussehen sollen, bleibt offen. Bekannt ist nur, dass eine „ökologische Ausrichtung“geplant ist.
Eine amorphe Gestalt
Aber genau diese Festlegung auf eine Richtung könnte sich als nächstes Problem mit viel Sprengkraft entpuppen: Der Charakterzug – und zeitweise auch die Stärke – der Fünf Sterne war bisher, dass sie sich trotz Wortgewalt und Provokationen ideologisch nicht kategorisieren ließen. Sie entstanden als radikale Protestbewegung gegen „alte“und „korrupte“Politik, ihre Hauptaussage war anfangs der riesige Stinkefinger in Richtung des Piazze und die Schimpftiraden ihres Gründers, des Kabarettisten Beppe Grillo. Sie wurden zum Sammelbecken aller Unzufriedenen – aus linkem, rechtem oder „post-ideologischem“Spektrum.
Auf diese amorphe Gestalt war man stolz. So hatten die Fünf Sterne 2018 keine Berührungsängste, mit der rechtspopulistischen Lega zu kooperieren. Ebenso scheute man ein Jahr später nicht davor zurück, mit den EU-freundlichen Sozialdemokraten zu koalieren. In der Basis wuchs indes der Unmut, weil die „Revolution“der Machtpolitik zum Opfer gefallen war.
Ideologische Pirouetten drehten die Fünf Sterne übrigens auch im EU-Parlament: Erst wollten sie zu den Liberalen, gingen dann zur rechten Anti-EU-Fraktion von Nigel Farage. Später wurden sie heimatlos, flirteten aber mit den Grünen. Conte, der Mitte-links-Vorlieben hat, will bei den EU-Sozialdemokraten anklopfen. Der Beitritt würde den Weg in den Mainstream ebnen. Ein weiterer Schritt: Offenbar wünscht sich Conte ein Parteiensekretariat. Die Verwandlung von der „Bewegung“in eine klassische Partei wäre dann komplett.