Der Richter, der die Amerikaner einen soll
USA. Merrick Garland, Joe Bidens Kandidat für das Justizministerium, steht kurz vor der Bestätigung. Er gilt als Spezialist für Inlandsterror.
Wien/Washington. Beinahe wäre Merrick Garland ein Schicksal zuteil geworden, das es in Washington öfter gibt: das Schicksal, unverschuldet als Verlierer auf die Wartebank der Geschichte abgeordnet zu werden. Der Oberste Richter war 2016 Barack Obamas Wunschkandidat für den Supreme Court gewesen; der damalige Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, verweigerte Obama eine Anhörung des Kandidaten im Senat – unter Verweis auf die republikanische Mehrheit dort und in der Hoffnung, einen dezidiert konservativen Richter einsetzen zu können.
Knapp ein Jahr später war Donald Trump Präsident, und statt Garland wurde Neil Gorsuch Höchstrichter. Das Vorgehen war einmalig in der US-Geschichte, und Garland erlangte eine derart traurige Berühmtheit, dass Menschen sich auf offener Straße unter Tränen bei ihm entschuldigten, wie US-Medien berichteten.
Garland soll derlei fürchterlich zuwider gewesen sein. Aber für viele US-Amerikaner dürfte es dennoch einer kollektiven Abbitte gleichkommen, dass Trumps demokratischer Nachfolger, Joe Biden, Garland als Justizminister vorgeschlagen hat. In einer Finte der Geschichte will sogar McConnell, der Mann, der ihm den Platz im Höchstgericht aus Machtkalkül verwehrte, für Garland als Justizminister stimmen.
So weit könnte es demnächst sein. Am Montag stimmte der Justizausschuss im Senat über Garlands Nominierung ab, nachdem der Richter über seine Ansichten und Vorhaben befragt worden war. Die Entscheidung fiel 15 zu sieben aus, vier Republikaner stimmten mit den Demokraten. Nun ist der Senat am Zug.
Fokus auf Kapitol-Sturm
Nach Garlands Anhörung im Ausschuss spotteten politische Beobachter in den USA, McConnell habe wohl gewusst, warum er dem heute 68-Jährigen seine Anhörung im Senat verweigert hatte: Garland gilt nicht nur als Moderater, sondern er ist schlicht ein starker Kandidat. Und einer, der wohl nicht nur mit McConnells Stimme vonseiten der Republikaner rechnen kann. Auf ein solch einendes Zeichen zählt wohl auch Biden – nach Jahren, in denen Trump das Justizministerium mehr als politischen Spielball denn unabhängige Behörde gesehen haben dürfte.
Tatsächlich könnte Garlands Nominierung zeitlich treffender nicht sein. Er erlangte in den 1990er-Jahren nationale Anerkennung, als er für das Ministerium die Ermittlungen um das Bombenattentat in Oklahoma City leitete. 168 Menschen kamen bei dem Anschlag ums Leben.
Die Täter waren US-Amerikaner, die rechte Verschwörungstheorien aufgesogen hatten. Garland gilt seitdem als Experte für Inlandsterror, Insofern ist es wenig verwunderlich, dass er während seiner Anhörung vergangene Woche die Aufklärung des Sturms auf das Kapitol am 6. Jänner zu einer seiner Prioritäten als Minister erklärte. Explizit hob er den Zusammenhang zwischen rechtem Extremismus und Rassismus hervor – weiße Rassenfanatiker seien historisch gesehen nach wie vor die größte innere Bedrohung in den USA.