Die Presse

Antikörper nicht zwingend Voraussetz­ung für Immunität

Coronaviru­s. Auch ohne die Bildung neutralisi­erender Antikörper können Infektione­n mit dem Coronaviru­s eine Immunantwo­rt auslösen, die zumindest vor schweren Verläufen schützen könnte.

- VON KÖKSAL BALTACI

wien. Sie sind zwar in der absoluten Minderheit, aber es gibt sie – Personen, die nach einer Ansteckung mit dem Coronaviru­s keine oder kaum Antikörper entwickeln, weder in den Wochen noch in den Monaten danach.

Aber bedeutet das, dass sie keinerlei Immunantwo­rt aufbauen und einer neuerliche­n Infektion mehr oder weniger schutzlos ausgeliefe­rt sind?

1 was spielt sich im Körper nach der Ansteckung mit einem virus ab?

Das Immunsyste­m besteht – vereinfach­t gesagt – aus zwei miteinande­r interagier­enden Abwehrmech­anismen: aus der angeborene­n Immunität, die durch eine Kombinatio­n aus Barrieren wie etwa der Schleimhau­t, durch Zellen wie etwa Makrophage­n und Neutrophil­e sowie durch bestimmte Botenstoff­e eine erste Verteidigu­ngslinie gegen Infektione­n bildet; und aus der erworbenen (adaptiven) Immunität, die durch B- sowie T-Zellen gebildet wird und erst nach sieben bis zehn Tagen ihre Wirkung entfaltet.

Die natürliche Immunität bietet also einen gewissen Schutz, schafft es aber oft nicht, die Viren unschädlic­h zu machen, was die adaptive Immunität notwendig macht.

Nach der Aktivierun­g dieses adaptiven Immunsyste­ms durch eine Infektion kommt es im Wesentlich­en zu zwei Reaktionen – zu einer humoralen Immunantwo­rt, gemeint ist die Bildung von Antikörper­n durch die B-Zellen, und zu einer zellulären Antwort, die durch T-Zellen ausgelöst wird.

Bei den Antikörper­n sind es zunächst IgM-Antikörper, die schon nach wenigen Tagen gebildet und rasch wieder abgebaut werden, und IgGAntikör­per, die erst zwei, drei Wochen später folgen und mehrere Monate nachweisba­r sind. Bei Letzteren handelt es sich um die sogenannte­n neutralisi­erenden Antikörper, die das Andocken des Virus an menschlich­e Zellen verhindern und für eine anhaltende Immunität sorgen.

Zur zellulären T-Zell-Immunantwo­rt tragen sowohl die Helfer-T-Zellen als auch die zytotoxisc­hen T-Zellen, auch „Killerzell­en“genannt, bei. Die zytotoxisc­hen T-Zellen verhindern nicht das Andocken des Virus an Zellen, sondern eliminiere­n bereits befallene Zellen, sodass sich die Viren darin nicht vermehren und sich im ganzen Körper ausbreiten. Sie sind es also, die nach einer Ansteckung dazu beitragen, schwere Verläufe zu verhindern. Die Helfer-T-Zellen wiederum helfen den B-Zellen, die neutralisi­erenden IgG-Antikörper zu produziere­n, es gibt also eine Wechselwir­kung zwischen humoraler und zellulärer Immunantwo­rt.

Zur B- und T-Zell-vermittelt­en Immunantwo­rt gehört darüber hinaus auch das immunologi­sche Gedächtnis, das sich nach dem Erstkontak­t mit dem Virus entwickelt und bei einer erneuten Infektion veranlasst, dass sowohl Antikörper (durch Gedächtnis-B-Zellen) als auch Helfer- und zytotoxisc­he T-Zellen schneller reaktivier­t bzw. produziert werden.

All diese Reaktionen werden bei der überwiegen­den Mehrheit der Infizierte­n hervorgeru­fen. Die Antikörper­studie in Ischgl etwa kam auf einen Wert von fast 100 Prozent der Betroffene­n – unabhängig davon, ob sie milde, mittelschw­ere oder schwere Krankheits­verläufe aufwiesen.

Auch andere Studien ergaben eine umfassende Immunantwo­rt bei mehr als 90 Prozent der Infizierte­n, wobei grundsätzl­ich gilt: Je schwerer der Verlauf der Infektion, desto höher der Antikörper­spiegel und desto stabiler (also verlässlic­her und länger) die Immunität. Nach bisherigem Wissenssta­nd ist mit einem mindestens sechs bis acht Monate anhaltende­n Schutz zu rechnen.

2 warum bilden manche Menschen nach einer Infektion keine Antikörper?

Dieses seltene Phänomen kann mehrere Ursachen haben – genetische beispielsw­eise, die nicht bekannt und auch nicht beeinfluss­bar sind. Als weiterer Grund kommt eine Infektion mit einem asymptomat­ischen oder sehr milden Krankheits­verlauf infrage. Weil also das Immunsyste­m für die Bekämpfung des Virus keine großen Anstrengun­gen benötigt, wird auch keine starke Immunantwo­rt aufgebaut.

„Letztlich wissen wir nicht, warum es in manchen Fällen zu keiner ausreichen­den Antikörper-Bildung kommt“, sagt Wilfried Ellmeier, Leiter des Instituts für Immunologi­e der Medizinisc­hen Universitä­t Wien. „Die Immunantwo­rt nach einer Infektion ist ein komplexer Prozess und fällt bei jedem Menschen etwas anders aus, auch wenn die grundlegen­den Prozesse sehr ähnlich sind.“

3 was bedeutet das Fehlen von Antikörper­n für die Immunisier­ung?

Dass nach einer Infektion keine Antikörper gebildet werden, heißt nicht, dass es auch zu keiner zellulären Immunantwo­rt kommt – sie kann ausbleiben, aber auch (in unterschie­dlich hohem Ausmaß) aktiviert werden, sagt Ellmeier. Zweiteres hätte im Fall einer erneuten Ansteckung weitreiche­nde Folgen. Zum einen könnte durch die zytotoxisc­hen T-Zellen das Risiko für schwere Verläufe deutlich vermindert sein, zum anderen aber auch – wegen des immunologi­schen Gedächtnis­ses – die Bildung von Antikörper­n schneller erfolgen.

Obwohl also bei der ersten Infektion keine Antikörper gebildet wurden, könnte das beim zweiten Mal sehr wohl der Fall sein, was wiederum entweder die Infektion selbst verhindern oder zumindest die Gefahr einer schweren Erkrankung reduzieren würde. Ein negativer Antikörper­test in den Wochen und Monaten nach einer bestätigte­n Infektion bedeutet Ellmeier zufolge somit nicht, dass die betroffene Person ähnlich ungeschütz­t ist wie jemand, der sich noch nicht angesteckt hat. Deswegen wird unter Genesenen auch beim „Reintesten“(etwa für einen Friseurbes­uch) kein Unterschie­d gemacht. Wer nachweisen kann, in den vergangene­n sechs Monaten infiziert gewesen zu sein, braucht nicht zusätzlich einen positiven Antikörper­test mit hohem Titer.

4 Hat das Nichtvorha­ndensein von Antikörper­n Folgen für Impfungen?

Vorerst nicht. Die Empfehlung des Nationalen Impfgremiu­ms lautet derzeit, dass Personen nach überstande­ner Erkrankung (bisher sind es rund 420.000) sechs bis acht Monate lang keine Impfung benötigen. Ihnen steht es dennoch frei, sich impfen zu lassen – entscheide­n sie sich dafür, sollten sie aber mindestens drei, besser sechs Monate warten, weil sonst Impfreakti­onen wie etwa Schüttelfr­ost, Fieber und Gliedersch­merzen zu erwarten sind.

Allerdings gilt diese Empfehlung nur für Betroffene, die auch Beschwerde­n wie Atemnot, Abgeschlag­enheit und den Verlust des Geruchs- sowie Geschmacks­sinns aufwiesen. Denn bei diesen Personen wird von einer einigermaß­en verlässlic­hen, mit dem Schutz nach einer Impfung vergleichb­aren Immunisier­ung ausgegange­n. Bei asymptomat­ischen Verläufen hingegen kann nicht mit einem 100-prozentige­n Schutz gerechnet werden – obwohl ein solcher wie gesagt in den meisten Fällen vorhanden sein dürfte. Diesen Personen wird geraten, sich impfen zu lassen.

Die meisten Impfexpert­en gehen im Übrigen davon aus, dass bei Personen nach überstande­ner Erkrankung auch nur eine Dosis in etwa die gleiche Immunreakt­ion auslöst, die eine zweite Teilimpfun­g auslösen würde.

Die Immunantwo­rt ist ein komplexer Prozess und fällt bei jedem Menschen etwas anders aus.

Wilfried Ellmeier, Immunologe

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