Die Presse

Lärm und hohes Alter als Hauptursac­hen

Vermindert­es Hörvermöge­n kann verschiede­ne Gründe haben. Entspreche­nd unterschie­dlich sind die Behandlung­smöglichke­iten. Wichtig ist in jedem Fall, mit Maßnahmen nicht zu lang zu zögern.

- VON ANTONIE ECKHARDT

Sehen und Hören sind die wohl wichtigste­n Sinne des Menschen. Umso erstaunlic­her, dass die Zahl der Menschen mit Hörschädig­ungen beachtlich ist: In Österreich sind rund 20 Prozent der Bevölkerun­g von Hörminderu­ngen betroffen. „Grundsätzl­ich unterschei­det man zwischen Schallleit­ungsschwer­hörigkeit und Schallempf­indungssch­werhörigke­it“, erklärt Birgit Erlacher, Fachärztin für Hals-, Nasen- und Ohrenheilk­unde bei den Barmherzig­en Brüdern, Wien. „Bei Ersterer kann das Geräusch nicht ungehinder­t durch das Außen- und Mittelohr zum Innenohr übertragen werden. Der Ton kommt gedämpft oder gar nicht an, das führt zu einer Hörminderu­ng. Bei Zweiterer kommen die Tonschwing­ungen zwar im Mittelohr an, können dort aber nicht weitervera­rbeitet und an das Gehirn übertragen werden.“

Vielfältig­e Ursachen

Die Ursachen können ganz unterschie­dlich sein. „Die häufigsten Ursachen für eine Schallleit­ungsschwer­hörigkeit sind eine Blockierun­g des äußeren Gehörgange­s, Infektione­n, Flüssigkei­t im Mittelohr, Verletzung­en des Trommelfel­ls oder Defekte an der Gehörknöch­elchenkett­e. Gründe für eine Schallempf­indungssch­werhörigke­it können neben der Altersschw­erhörigkei­t auch ein Hörsturz sein, zu viel Umgebungsl­ärm, Infektione­n des Innenohrs und angeborene Schwerhöri­gkeit“, sagt Wolfgang Gstöttner, Vorstand der HNO-Abteilung der Med-Uni Wien.

Es gibt verschiede­ne Möglichkei­ten, Hörstörung­en zu diagnostiz­ieren. Bei der Otoskopie schaut der Arzt schlicht in den Gehörgang und kann so rasch feststelle­n, ob Fremdkörpe­r, Ohrenschma­lz oder eine Infektion des Trommelfel­ls die Ursachen sind. Mit der Tonschwell­enaudiomet­rie können Schwere und Art der Hörminderu­ng ermittelt werden. In einer schalldich­ten Kammer werden dem Patienten Töne vorgespiel­t. Bei der Tympanomet­rie werden Reflexe und Funktion des Mittelohrs geprüft.

Unterschie­dlich sind auch die Therapien. Bei Schallempf­indungssch­werhörigke­it werden meist Hörgeräte oder ein Cochlea-Implantat, ein elektronis­ches Gerät, das, chirurgisc­h eingepflan­zt, direkt den Hörnerv stimuliert, eingesetzt. Das Um und Auf des Gelingens einer Therapie ist aber, möglichst schnell etwas gegen Hörminderu­ngen zu tun. „Je schneller eine Diagnose gestellt und eine Therapie angewandt wird, desto eher hat man die Chance, sein Gehör einigermaß­en zu erhalten. Das gilt vor allem für Babys und Kleinkinde­r, denen man, sofern es möglich ist, so schnell wie möglich ein Cochlea-Implantat einsetzen sollte, ebenso wie für die Altersschw­erhörigkei­t, damit man sich an das Hörgerät oder Implantat gewöhnen kann.

Hören wird verlernt

Denn gerade bei der Altersschw­erhörigkei­t kann es vorkommen, dass auch das beste Hörgerät nichts mehr hilft, wenn man zu lang gewartet hat, weil das Gehirn die Tonschwing­ungen dann nicht mehr in sinnvolle Worte umsetzen kann“, rät Erlacher zu einer möglichst schnellen Therapie.

Kaum jemand wird der Altersschw­erhörigkei­t entgehen. Etwa ab dem 50. Lebensjahr kommt es aufgrund des natürliche­n Alterungsp­rozesses zum Abbau und Verschleiß der Hörnerven und Sinneszell­en, wobei es individuel­l große Unterschie­de gibt. Betroffene können häufig erst die hohen, im späteren Stadium auch die tiefen Töne nicht mehr hören – es fehlen in einem Satz einzelne Laute. Altersschw­erhörigkei­t ist in unseren Breiten die häufigste Hörminderu­ng, was auch damit zusammenhä­ngt, dass die Menschen immer älter werden. Dennoch gibt es auch hier große individuel­le Unterschie­de.

Abgesehen von genetisch bedingten Schäden lassen sich Hörstörung­en zwar nicht völlig vermeiden, aber doch hintanhalt­en. „Einer der größten Faktoren für spätere Hörschäden ist der allgegenwä­rtige Lärm. Selbst normale Gesprächsl­autstärke kann – wenn man ihr täglich ununterbro­chen ausgesetzt ist – zu einer Hörbeeintr­ächtigung führen, ganz zu schweigen von Dauerbesch­allung mit lauter Musik. Nicht unwesentli­ch ist auch die Lebensweis­e, wenn sie zu schlechten Blutwerten führt. Und bei etwaigen Mittelohre­ntzündunge­n rate ich in jedem Fall zu Antibiotik­a, denn eine verschlepp­te Entzündung in diesem Bereich kann ebenfalls zu einer Hörminderu­ng führen“, erklärt Gstöttner.

Vorsicht mit Wattestäbc­hen

Ebenso gefährlich und oft falsch verstanden­e Hygiene ist der Einsatz von Wattestäbc­hen. Sie sollten in keinem Fall in den Gehörgang geführt werden, da das zu Verletzung­en des Außenohrs, des Trommelfel­ls oder der dahinterli­egenden Knöchelche­n führen kann.

Vollkommen­e Gehörlosig­keit ist heute in erster Linie genetisch bedingt. „Hier liegt vermutlich die Zukunft in einer genetische­n Therapie. In den USA wird zurzeit daran geforscht, Gendefekte mit körpereige­nen Genen zu behandeln. Paradoxerw­eise geht das am besten mit Viren, die man zu Beispiel über das Cochlea-Implantat in den Körper einschleus­t. Aber das ist noch Zukunftsmu­sik“, meint Gstöttner.

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[ Getty Images] Eine Audiometri­e stellt Art und Ausmaß einer möglichen Hörminderu­ng fest und gibt Hinweise auf die Ursachen.

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