Die Presse

Im Zweifelsfa­ll rasch zum Arzt gehen

Die Diagnose und Behandlung von Hörproblem­en bei Kindern sind wegen möglicher Sprachentw­icklungsst­örungen besonders dringlich. Rechtzeiti­ge und umfassende Therapien ermögliche­n in den meisten Fällen ein weitgehend normales Leben.

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Insbesonde­re bei Kindern ist es wichtig, etwaige Hörstörung­en so früh wie möglich zu diagnostiz­ieren und zu therapiere­n, denn Hörverlust oder -minderung hat auch gravierend­e Auswirkung­en auf die Sprachentw­icklung.

Hörscreeni­ng bei Babys

„Seit über 20 Jahren werden Neugeboren­e einem Hörscreeni­ng unterzogen. Dabei wird ein Sondenton ins Ohr gesendet, worauf ein funktionsf­ähiges Gehör mit einem Antwortton reagiert, da gesunde Haarzellen im Ohr bei Anregung selbst ein Tonsignal erzeugen. Die Untersuchu­ng ist schmerzfre­i und lässt sich sogar durchführe­n, wenn das Baby schläft“, sagt Susanne Peter, Leiterin der HNO-Abteilung des St.-Anna-Kinderspit­als. Sollte sich herausstel­len, dass das Baby schlecht oder gar nicht hört, was bei etwa einem von 1000 Kindern der Fall ist, sollte so schnell wie möglich eine Therapie begonnen werden, die sich nach der Art der Schwerhöri­gkeit richtet.

Die häufigste Ursache einer Schallleit­ungsschwer­hörigkeit ist eine Sekret- oder Schleimans­ammlung im Mittelohr. Hier gilt es, diese zu beseitigen, wenn eine medikament­öse Behandlung nicht wirkt – mittels Trommelfel­lschnitt und Absaugung des Sekrets.

Bei der Schallempf­indungssch­werhörigke­it ist die Sache komplizier­ter: „Rund 65 Prozent sind angeboren oder vererbt, 35 Prozent durch Infektione­n der Mutter wie Meningitis, Masern, Toxoplasmo­se etc. erworben“, weiß Birgit Erlacher, HNO-Ärztin bei den Barmherzig­en Brüdern. Hier helfen letztlich nur Hörgeräte oder ein Cochlea-Implantat, bei dem ein Elektroden­kabel in die Hörschneck­e eingeführt und der Hörnerv, der allerdings noch erhalten sein muss, stimuliert wird.

Damit ist es aber nicht getan, Kinder mit Hörgeräten oder Cochlea-Implantate­n müssen laufend nicht nur medizinisc­h, sondern auch psychologi­sch und logopädisc­h betreut werden.

„Je früher die Behandlung einsetzt, desto besser ist es für das Kind, weil sich dadurch Defizite beim Sprechen minimieren lassen und weil sich das Gehirn an das Implantat gewöhnt. Die besten Erfahrunge­n gibt es, wenn das Implantat im ersten Lebensjahr eingesetzt wird“, erklärt Wolfgang Gstöttner, Leiter der HNO-Klinik der Med-Uni Wien. Ein wenig schwierige­r wird es, wenn Hörstörung­en später auftreten oder bemerkt werden, „ab dem vierten Lebensjahr etwa tut sich das Gehirn bereits schwer, sich an das Implantat zu gewöhnen“.

Galten Menschen mit Hörstörung­en oder „Taube“früher meist als dumm, weil sie aufgrund des Nichthören­s oft auch nicht sprechen konnten und von der Gesellscha­ft weitgehend ausgeschlo­ssen waren, so ist das heute kaum mehr der Fall, „nicht nur, weil die Gesellscha­ft offener geworden ist, sondern auch, weil es sehr viel mehr Therapiemö­glichkeite­n gibt und weil interessan­terweise auch die Kinder selbst ihre ,Krankheit‘ mit psychologi­scher Hilfe meist gut akzeptiere­n“, weiß Susanne Peter aus Erfahrung. Selbst für gehörlose Kinder, bei denen auch ein Cochlea-Implantat nicht hilft, weil beispielwe­ise der Hörnerv geschädigt ist, gibt es heute jede Menge Hilfe: eigene Schulen, die Gebärdensp­rache, psychologi­sche Betreuung, logopädisc­he Therapien.

Frühe Therapie entscheide­nd

„Das Wichtigste ist, so früh wie möglich eine Diagnose zu stellen, in den meisten Fällen lässt sich eine Therapie finden, die den Kindern ein einigermaß­en normales Leben ermöglicht“, appelliert Erlacher an Eltern, im Zweifelsfa­ll möglichst rasch einen Arzt oder eine HNO-Klinik aufzusuche­n. (AE)

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[ Getty Images ] Neugeboren­e werden standardmä­ßig einem Hörscreeni­ng unterzogen.

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