Vogelgezwitscher und weißes Rauschen
Rund eine Million Österreicher haben schon einmal Ohrensausen wahrgenommen. Das Gehirn spielt dabei eine wesentliche Rolle.
Ursache für das Ohrgeräusch ist in 70 bis 80 Prozent eine geringe, aber nachweisbare Schwerhörigkeit im Hochtonbereich“, erklärt HNO-Arzt Johannes Schobel vom St. Pöltener Tinnituszentrum. Am häufigsten berichten Patienten von hohen Pfeif- und Piepstönen, aber auch von Maschinengeräuschen, Brummen und Sausen.
Kurzes Ohrensausen normal
Man unterscheidet zwischen einem akuten und einem chronischen Tinnitus. Im akuten Stadium treten die Ohrgeräusche plötzlich auf und sind oft auf ein Lärmtrauma, einen Hörsturz oder psychische Überlastung zurückzuführen. „Kurze Phasen von circa zehn Sekunden zwei- bis dreimal wöchentlich sind nicht besorgniserregend“, sagt Schobel. Von einem chronischen Tinnitus spricht man, wenn das Sinnessystem lang und intensiv mit ein und demselben Reiz stimuliert wird. Das Gehirn merkt sich dieses Signal, wenn es lang genug empfangen wurde – auch wenn der Reiz verschwunden ist.
Patienten mit chronischem Tinnitus sehen sich oft mit der Aussage konfrontiert, „dass es keine Therapieoptionen mehr gäbe und sie mit dem Ohrgeräusch leben lernen müssten. Allerdings werden sie mit der Frage des Wie nicht selten alleingelassen, wodurch sich Resignation einstellen kann“, berichtet Roland Mosch`en, Präsident der Österreichischen Tinnitus-Liga und Leiter der ambulanten Tinnitus-Bewältigungsgruppe an der Uniklinik für Medizinische Psychologie in Innsbruck. In Österreich gibt es bis zu einer Million Betroffene. Laut der Österreichischen Tinnitus-Liga geben zehn bis zwölf Prozent der Erwachsenen an, schon Ohrgeräusche wahrgenommen zu haben, die länger als fünf Minuten gedauert haben. Vier Prozent empfinden ihren Tinnitus als Plage, vier Fünftel der Betroffenen leiden unter Schlafstörungen.
Der erste Schritt zum Leben mit Tinnitus sind fundierte medizinische und psychologische Information. Weiters helfen oft bereits einfache Tricks, sagt Schobel, vor allem vor dem Einschlafen, „etwa eine Geräuschkulisse mit Vogelgezwitscher oder Meeresrauschen von einer Handy-App.“Auch autogenes Training und eine Entspannung der Nackenmuskulatur sei hilfreich. Mosch`en empfiehlt zudem progressive Muskelrelaxion nach Jacobsen. Psychologisch/psychotherapeutische Behandlungen, wie die kognitive Verhaltenstherapie, können die Tinnitusbelastung ebenfalls signifikant reduzieren. „Deshalb ist es grundsätzlich sinnvoll, bereits in den ersten Wochen der Tinnituswahrnehmung bei starken Ängsten, Anspannung, Schlafproblemen oder depressiv erlebten Zustände Hilfe in Anspruch zu nehmen.“
Rauschen nimmt die Schärfe
Im Tinnituszentrum St. Pölten arbeitet man auch mit einer Retraining-Therapie. Zentrales Element ist der „Noiser“, ein Rauschgenerator. Er wird im oder hinter dem Ohr getragen und erzeugt „weißes Rauschen“über alle hörbaren Frequenzen. „Meist reicht eine geringe Lautstärke, um dem Tinnitus seine Schärfe zu nehmen und ihn in den Hintergrund zu drängen.“Da ein Tinnitus oft mit einer Hochtonschwerhörigkeit zusammenhängt, ist ein Kombigerät aus Hörgerät und Noiser eine Option. „Bereits Sekunden nach dem Einsetzen können die meisten Patienten ihren Tinnitus gar nicht oder nur mehr stark abgeschwächt hören“, sagt Schobel. (DAB)