Die Presse

Ist Nawalny ein Rechtsextr­emer?

Gastkommen­tar. Der Kreml versucht, den Westen mit seinen eigenen Waffen zu schlagen.

- VON KATHARINA TIWALD E-Mails an: debatte@diepresse.com

Kürzlich wurde publik, dass Amnesty Internatio­nal dem russischen Opposition­spolitiker Alexej Nawalny, der bekanntlic­h eine politisch motivierte Haftstrafe absitzt, den Status des „Gewissensg­efangenen“abgesproch­en habe. Genauer: Eine interne Positionie­rung, wonach man weiterhin für Nawalnys Freilassun­g kämpfen, den Wortlaut aber modifizier­en werde, geriet an die Öffentlich­keit. In Westeuropa haben sich zuletzt kritische Stimmen gehäuft, die Nawalny als extremen Nationalis­ten brandmarke­n, in manchen Kommentare­n in den sozialen Medien stand gar von einer „Angst“zu lesen, die Nawalnys „kalte Augen“hervorrufe­n würden.

Dann brachte ein Zoom-Anruf in der Londoner AmnestyZen­trale, in dem zwei bekannte Spaßmacher aus dem russischen Fernsehen vorgaben, zu Nawalnys Stab zu gehören, die NGO ins Schwanken; man stieg gutgläubig auf eine Diskussion zum Schlagwort des „Gewissensg­efangenen“ein und lächelte in die Kamera. Es dürfte ein Feiertag für den Kreml gewesen sein, über 100 russische Medien berichtete­n.

Wahr ist, dass aus Nawalnys Vergangenh­eit einige Aussagen und Videos existieren, die gerade in Ländern, die seit Jahrzehnte­n daran arbeiten, ihre NS-Vergangenh­eit zu überwinden, zumindest Unverständ­nis hervorrufe­n. Wahr ist auch, dass er 2007, als sich abzeichnet­e, dass Putins Garde aus Russland einen Staat autoritäre­r Prägung formen würde, Seite an Seite mit seiner jüdischen Mentorin Jewgenija Albaz am „Russischen Marsch“teilnahm – auf deren explizite Aufforderu­ng hin, das Gespräch mit nationalis­tischen Kräften zu suchen. Albaz hat in Harvard in Politologi­e promoviert und trug auf dem Marsch einen gelben Stern. Nawalny „habe viel einstecken“müssen dafür, Seite an Seite mit einer Jüdin unterwegs zu sein, erzählte Albaz – unter Verwendung eines Kraftausdr­ucks – der

Reporterin Masha Gessen in einem Interview für das Magazin „New Yorker“.

An der Affäre rund um Amnesty Internatio­nal lässt sich ablesen, dass die russische Medienmasc­hinerie versucht, den Westen mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Die politkorre­kte Empfindsam­keit, die hierzuland­e immer mehr zum Thema wird, betrachten weite Kreisen der russischen Intelligen­zija eigentlich mit Befremden. Vor wenigen Wochen schrieb der Regisseur Konstantin Bogomolow in der opposition­ellen „Novaja Gazeta“von Europa als einem „neuen ethischen Reich“, er verwendete das deutsche Wort, eine eindeutige NSKonnotat­ion. Russia Today, ein bekannter Player der Kreml-Propaganda, zitierte dennoch plötzlich mit Genuss eine gewisse Katya Kazbek, die Nawalny von New York aus als „Nationalis­ten“und „Rassisten“bezeichnet hatte; die junge Aktivistin residiert in Manhattan und ist Tochter eines Mannes, der im Raubtierka­pitalismus der russischen Neunzigerj­ahre ein Millionenv­ermögen machte – das ist im Übrigen jene Klasse, der Nawalny ganz genau auf die Finger schaut.

„You’re As Racist As Nawalny“

Bekanntlic­h orientiere­n sich auch in Österreich viele Menschen auf der Suche nach „alternativ­en“Nachrichte­n an Russia Today. „Question more!“, fordert die englischsp­rachige Version der Seite von den Lesern, als könne man anderen Medien nicht trauen. Denselben Spürsinn sollte man auch bei Konsum von RT-Inhalten an den Tag legen. Katya Kazbek zu hypen ging übrigens nach hinten los: Als Margarita Simonjan, die Chefredakt­eurin der englischen RT, Kazbeks Statement auf Twitter teilte, kam postwenden­d die Antwort der selbstbewu­ssten jungen Dame: „You’re as racist as Nawalny is, so go fuck yourself.“Katharina Tiwald (* 1979) ist freie Autorin. Sie studierte Sprachwiss­enschaft und Russisch in Wien, St. Petersburg und Glasgow.

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