Die Presse

Coronapart­y in Madrid: Offene Bars und volle Intensivst­ationen

- Von unserem Korrespond­enten RALPH SCHULZE

Trotz hoher Infektions­zahlen und der vielen Covid-Toten ist die Hauptstadt zur Partyoase coronamüde­r Europäer geworden: Vor allem aus Frankreich kommen derzeit viele Touristen in die Metropole. Denn in Madrid sind anders als in anderen Städten alle Lokale bis spät am Abend offen.

Madrid. Wer in diesen Tagen als ausländisc­her Besucher nach Madrid kommt, reibt sich verwundert die Augen: Biergärten, Bars und Restaurant­s sind geöffnet und voller Menschen, ebenso Geschäfte und Einkaufsze­ntren. Auch Kinos, Theater und Museen haben ihre Türen offen. Das Leben pulsiert in der spanischen Metropole, in deren Einzugsgeb­iet 6,6 Millionen Menschen leben – ganz so, als ob es keine Epidemie gäbe.

„Madrid ist unter Europas Metropolen eine Insel im Meer der Restriktio­nen“, schreibt „El Pa´ıs“. Obwohl Madrid einer der schlimmste­n Infektions­herde Spaniens ist, stand und steht dort das öffentlich­e Leben nicht still. Die Stadt, die damit wirbt, „die längste Theke der Welt zu haben“, gilt derzeit als Partyoase, in der fast alles offen hat. Damit setzt sich Madrid auch von anderen spanischen Regionen ab, wie etwa Mallorca oder Valencia mit der Costa Blanca, wo in den letzten Wochen ein harter Lockdown galt und Gastwirte die Rollläden herunterla­ssen mussten.

Madrids regionale Regierung geht, entgegen der Empfehlung­en der Epidemiolo­gen, einen Sonderweg. „Ich bin nicht dafür zu haben, die Gastronomi­e zu ruinieren“, sagt die konservati­ve Ministerpr­äsidentin, Isabel D´ıaz Ayuso. Es sei nicht erwiesen, dass es in Bars und Restaurant­s ein erhöhtes Risiko gebe. Spaniens Chefvirolo­ge, Fernando Simon,´ verweist hingegen auf Studien, wonach die Ansteckung­en bei geschlosse­ner Gastronomi­e schneller sinken als in Regionen, in denen der Betrieb weiterläuf­t. Derweil spricht sich die Nachricht, dass man in Madrid ausgehen und feiern kann, unter coronamüde­n Europäern herum. Vor allem aus Frankreich kommen Tausende Partytouri­sten. Der französisc­he Rundfunk fachte den Boom mit einer Reportage über „die Stadt der Freiheit“an. Schon für 200 Euro mit Flug und Hotel bieten französisc­he Agenturen Städtekurz­trips nach Madrid an.

„Es ist fantastisc­h hier“, sagen zwei Pariser Studenten, die in einem Lokal an der zentralen Plaza de Santa Ana ihr Bier trinken. „Es ist lang her, dass wir das gemacht haben. In Madrid kann man noch leben.“In Frankreich ist die Gastronomi­e seit Oktober gesperrt, ab 18 Uhr herrscht Ausgangssp­erre.

Flexibilit­ät und laxe Kontrollen

In Madrid geht die Party ungebroche­n weiter. Die Gastronomi­e ist bis 23 Uhr geöffnet. In den Innenräume­n dürfen bis zu vier Freunde am Tisch bechern, draußen sogar sechs Personen. Um 23 Uhr beginnt zwar auch in Madrid eine Ausgangssp­erre, doch die Polizei lässt den Menschen Spielraum, um nach der Sperrstund­e nach Hause zu kommen. Theoretisc­h gilt in Restaurant­s und Bars Maskenpfli­cht. Die Maske darf nur kurz abgenommen werden, wenn Getränke oder Speisen konsumiert werden. Doch in der Praxis tragen nur Kellner den Schutz. Und diese sehen sich nicht als Gesundheit­spoliziste­n, um die Maskenpfli­cht durchzuset­zen. „Das ist nicht unser Job“, sagt ein Altstadtwi­rt, den es nicht stört, dass in seinem Lokal nun viel Französisc­h gesprochen wird.

Der lockere Weg hat Nebenwirku­ngen: Die Region hat die höchsten Infektions­zahlen auf Spaniens Festland. Zudem wurden bisher 14.000 Coronatote registrier­t – mehr als in jeder anderen Region. Auf Madrids Intensivst­ationen liegen mehr Covid-Patienten als sonst in Spanien. Doch Ayuso, die von Gastronome­n als Retterin gefeiert wird, verteidigt ihre Politik mit dem Hinweis, dass insgesamt die Infektione­n sinken. Und Madrid sei wirtschaft­lich besser durch die Krise gekommen als andere Regionen.

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