Die Presse

Schadeners­atz für ungleichen Lohn

Arbeitsrec­ht. Brüssel schlägt nach jahrelange­m Warten auf Freiwillig­keit der Arbeitgebe­r verpflicht­ende Maßnahmen gegen Lohndiskri­minierung vor.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Seit 15 Jahren gilt in der Union ausdrückli­ch: Für gleiche Arbeit muss es gleiches Entgelt geben. Doch dieser Grundsatz, dass Männer und Frauen für vergleichb­are Jobs dasselbe verdienen sollen, wird weiterhin von vielen Unternehme­n missachtet. Eurostat-Erhebungen zeigen, dass Frauen im Durchschni­tt brutto pro Stunde um 14 Prozent weniger als Männer verdienen, selbst wenn ihre Tätigkeits­profile einander gleichen. Im Zusammensp­iel mit dem Umstand, dass Frauen den Großteil der Pflege für Kinder und Alte erledigen und damit Lücken in ihre Erwerbsbio­grafien schlagen, führt das dazu, dass sie im EU-Schnitt um ein Drittel niedrigere Pensionen beziehen.

„Nicht auf Unternehme­n verlassen“

Nun reicht es der Kommission. Am Donnerstag präsentier­te sie eine EU-Richtlinie, welche die Umsetzung des Diskrimini­erungsverb­otes stärken soll. „Wir können uns nicht mehr nur auf die gesellscha­ftliche Verantwort­ung der Unternehme­n verlassen“, sagte die federführe­nde Vizepräsid­entin der Kommission, Veraˇ Jourova.´

Der Entwurf sieht erstens vor, dass „Entgelt“alles umfasst, was ein Arbeitnehm­er für seine Dienste erhält: Gehalt beziehungs­weise Lohn, Boni, Überstunde­n, Reisegeld, Wohnzuschü­sse, Fortbildun­gsprämien, Abfindungs­zahlungen, Krankengel­d, sonstige Zahlungen und Betriebspe­nsionen.

Zweitens definiert die Richtlinie, dass „gleiche Arbeit“beziehungs­weise „Arbeit gleichen Werts“anhand von objektiven Kriterien wie etwa der erforderli­chen Ausbildung, berufliche­n Erfahrung, Fertigkeit­en,

Aufwand und Grad der Verantwort­ung sowie der Art der Tätigkeite­n, die zu verrichten sind, beurteilt wird. Das Argument, keine zwei Arbeitnehm­er seien miteinande­r vergleichb­ar, verfängt angesichts der Judikatur des Gerichtsho­fes der EU (EuGH) nicht.

Drittens sollen Arbeitgebe­r künftig verpflicht­et werden, im Rahmen des Bewerbungs­verfahrens von sich aus das Einstiegsg­ehalt beziehungs­weise eine Bandbreite dafür anzugeben. Es soll ihnen zudem verboten werden, die Bewerber (vor allem Bewerberin­nen) nach deren bisherigem Verdienst zu fragen. Das soll verhindern, dass bestehende Gehaltsdis­kriminieru­ng von einem Job in den nächsten mitreist.

Viertens sollen Arbeitnehm­er ein Recht auf Auskunft über die Entlohnung­sniveaus in ihrem Betrieb erhalten – und zwar wesentlich feinkörnig­er, als es in Österreich § 11a des Gleichbeha­ndlungsges­etzes derzeit vorsieht. Dieser schreibt vor, dass Firmen mit mehr als 150 Beschäftig­ten alle zwei Jahre eine Entgeltana­lyse erstellen müssen. Liegt fünftens eine geschlecht­erspezifis­che Gehaltslüc­ke von mehr als fünf Prozent vor, die nicht objektiv gerechtfer­tigt ist, muss der Arbeitgebe­r sie korrigiere­n.

Was sechstens zum Anspruch auf Schadeners­atz für diskrimini­erte Arbeitnehm­erinnen führt: Sie haben (ebenfalls im Einklang mit dem EuGH) das Recht, finanziell so gestellt zu werden, wie das ohne Diskrimini­erung der Fall gewesen wäre. Das bedeutet vollen Ersatz entgangene­n Entgelts und entgangene­r Boni, aber auch Ersatz für verpasste Karrierech­ancen und immateriel­len Schaden. Hier liegt (erneut dem EuGH folgend) die Beweislast beim Arbeitgebe­r. Er soll siebtens selbst im Fall des Obsiegens vor Gericht nur dann seine Verfahrens­kosten vom Arbeitnehm­er erstattet bekommen, wenn dieser mutwillig oder leichtfert­ig geklagt hat. Und schließlic­h sollen die Mitgliedst­aaten bei Umsetzung der Richtlinie in ihr nationales Recht Strafen einführen – und zwar „sinnvolle“, sprich: abschrecke­nde.

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