Schadenersatz für ungleichen Lohn
Arbeitsrecht. Brüssel schlägt nach jahrelangem Warten auf Freiwilligkeit der Arbeitgeber verpflichtende Maßnahmen gegen Lohndiskriminierung vor.
Brüssel. Seit 15 Jahren gilt in der Union ausdrücklich: Für gleiche Arbeit muss es gleiches Entgelt geben. Doch dieser Grundsatz, dass Männer und Frauen für vergleichbare Jobs dasselbe verdienen sollen, wird weiterhin von vielen Unternehmen missachtet. Eurostat-Erhebungen zeigen, dass Frauen im Durchschnitt brutto pro Stunde um 14 Prozent weniger als Männer verdienen, selbst wenn ihre Tätigkeitsprofile einander gleichen. Im Zusammenspiel mit dem Umstand, dass Frauen den Großteil der Pflege für Kinder und Alte erledigen und damit Lücken in ihre Erwerbsbiografien schlagen, führt das dazu, dass sie im EU-Schnitt um ein Drittel niedrigere Pensionen beziehen.
„Nicht auf Unternehmen verlassen“
Nun reicht es der Kommission. Am Donnerstag präsentierte sie eine EU-Richtlinie, welche die Umsetzung des Diskriminierungsverbotes stärken soll. „Wir können uns nicht mehr nur auf die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen verlassen“, sagte die federführende Vizepräsidentin der Kommission, Veraˇ Jourova.´
Der Entwurf sieht erstens vor, dass „Entgelt“alles umfasst, was ein Arbeitnehmer für seine Dienste erhält: Gehalt beziehungsweise Lohn, Boni, Überstunden, Reisegeld, Wohnzuschüsse, Fortbildungsprämien, Abfindungszahlungen, Krankengeld, sonstige Zahlungen und Betriebspensionen.
Zweitens definiert die Richtlinie, dass „gleiche Arbeit“beziehungsweise „Arbeit gleichen Werts“anhand von objektiven Kriterien wie etwa der erforderlichen Ausbildung, beruflichen Erfahrung, Fertigkeiten,
Aufwand und Grad der Verantwortung sowie der Art der Tätigkeiten, die zu verrichten sind, beurteilt wird. Das Argument, keine zwei Arbeitnehmer seien miteinander vergleichbar, verfängt angesichts der Judikatur des Gerichtshofes der EU (EuGH) nicht.
Drittens sollen Arbeitgeber künftig verpflichtet werden, im Rahmen des Bewerbungsverfahrens von sich aus das Einstiegsgehalt beziehungsweise eine Bandbreite dafür anzugeben. Es soll ihnen zudem verboten werden, die Bewerber (vor allem Bewerberinnen) nach deren bisherigem Verdienst zu fragen. Das soll verhindern, dass bestehende Gehaltsdiskriminierung von einem Job in den nächsten mitreist.
Viertens sollen Arbeitnehmer ein Recht auf Auskunft über die Entlohnungsniveaus in ihrem Betrieb erhalten – und zwar wesentlich feinkörniger, als es in Österreich § 11a des Gleichbehandlungsgesetzes derzeit vorsieht. Dieser schreibt vor, dass Firmen mit mehr als 150 Beschäftigten alle zwei Jahre eine Entgeltanalyse erstellen müssen. Liegt fünftens eine geschlechterspezifische Gehaltslücke von mehr als fünf Prozent vor, die nicht objektiv gerechtfertigt ist, muss der Arbeitgeber sie korrigieren.
Was sechstens zum Anspruch auf Schadenersatz für diskriminierte Arbeitnehmerinnen führt: Sie haben (ebenfalls im Einklang mit dem EuGH) das Recht, finanziell so gestellt zu werden, wie das ohne Diskriminierung der Fall gewesen wäre. Das bedeutet vollen Ersatz entgangenen Entgelts und entgangener Boni, aber auch Ersatz für verpasste Karrierechancen und immateriellen Schaden. Hier liegt (erneut dem EuGH folgend) die Beweislast beim Arbeitgeber. Er soll siebtens selbst im Fall des Obsiegens vor Gericht nur dann seine Verfahrenskosten vom Arbeitnehmer erstattet bekommen, wenn dieser mutwillig oder leichtfertig geklagt hat. Und schließlich sollen die Mitgliedstaaten bei Umsetzung der Richtlinie in ihr nationales Recht Strafen einführen – und zwar „sinnvolle“, sprich: abschreckende.