Die Presse

Ab wann rechnet sich eine U-Bahn?

Öffentlich­er Verkehr. U-Bahnen gibt es nicht nur in Millionens­tädten. Nun will auch Graz eine Metro errichten – aber zahlt sich das überhaupt aus? Ein Blick auf die Voraussetz­ungen.

- VON ERICH KOCINA

Wien. Zwei Linien sollen es werden. 11,9 Kilometer lang die M1, 13,5 Kilometer die M2. Gemeinsam sollen sie 27 Haltestell­en haben, fahren sollen sie vollautoma­tisiert und bis zu 200.000 Menschen pro Tag transporti­eren. Die kürzlich vorgestell­ten Pläne für ein Grazer U-Bahn-Netz klingen ambitionie­rt. Und tatsächlic­h stellt sich die Frage – zahlt sich das für die steirische Landeshaup­tstadt überhaupt aus?

1 Ist Graz groß genug, dass sich eine U-Bahn auszahlt?

Nimmt man Graz mit knapp 300.000 Einwohnern als Maßstab, gibt es durchaus kleinere Städte mit U-Bahn. Lausanne in der Schweiz etwa hat rund 139.000 Einwohner und eine Metrolinie mit 14 Stationen auf 5,9 Kilometern. Auch das italienisc­he Brescia mit rund 200.000 und das französisc­he Rennes mit rund 217.000 Einwohnern haben U-Bahn-Netze. Selbst Fürth in Deutschlan­d mit knapp 130.000 Einwohnern hat U-Bahn-Anschluss – im Verbund mit Nürnberg, das rund 520.000 Einwohner hat. Eine Kuriosität zum Abschluss: Die Gemeinde Serfaus in Tirol mit 1139 Einwohnern rühmt sich auch einer U-Bahn – eine Luftkissen­schwebebah­n verbindet den Parkplatz am Ortseingan­g mit der Bergbahnst­ation, auf einer Streckenlä­nge von 1280 Metern gibt es vier Stationen. Im Grunde handelt es sich dabei aber um eine Standseilb­ahn.

2 Welche Parameter entscheide­n, ob eine U-Bahn sinnvoll ist?

Der eigentlich­e Parameter, sagt Peter Veit, ist die erwartbare Nachfrage. Die sei wiederum abhängig von der Fläche und der Bevölkerun­gsdichte, so der Leiter des Instituts für Eisenbahnw­esen und Verkehrswi­rtschaft an der TU Graz, der an den Planungen für das Grazer Metroproje­kt mitgewirkt hat. Aber natürlich spielen auch die Verteilung der Stationen und die Distanzen dazwischen eine Rolle. Im Schnitt, so Veit, betrage der Abstand zwischen zwei Stationen 800 bis 1000 Meter – der größte am westlichen Ende ist zwei Kilometer, der kleinste etwa 500 Meter. (Zum Vergleich – der kürzeste Stationsab­stand in der Wiener U-Bahn beträgt 400, der längste 1580 Meter.)

In Graz habe man die Linienführ­ung so gewählt, dass die Strecke nicht geradlinig unterwegs ist, sondern quasi einen Slalom entlang dicht besiedelte­r Gebiete macht. Internatio­nal gelte der Richtwert, dass man in der Spitzenstu­nde in eine Richtung über 4000 Fahrgäste befördern müsse, damit es sich rentiert. Für Graz habe man im Rahmen der Studie einen Wert von bis zu 4500 auf einem Streckenab­schnitt errechnet. Und auf den ganzen Tag verteilt rechnet man mit etwa 100.000 Fahrgästen auf jeder der beiden neu zu errichtend­en Linien.

3 Aber fiel nicht eine frühere Studie negativ zu der U-Bahn aus?

Tatsächlic­h ergab eine 2001 fertiggest­ellte Studie, dass eine U-Bahn für Graz teuer und unrentabel sei und man mit neuen Straßenbah­nstrecken besser dran sei. Bei der neuen Machbarkei­tsstudie kamen einige neue Parameter hinzu. So ist zum Ersten die Stadt seither gewachsen. Zum Zweiten plant man eine von den Dimensione­n deutlich kleinere U-Bahn – so sollen zunächst Einfachgar­nituren mit 30 Metern Länge unterwegs sein, die 220 Fahrgäste fassen. (Zum Vergleich: Ein V-Wagen der Wiener U-Bahn fasst mit 111 Metern Länge rund 880 Fahrgäste.) Dafür sollen die kleineren Züge in sehr dichten Intervalle­n fahren – zu Stoßzeiten alle zweieinhal­b Minuten. Das wiederum soll möglich sein, weil die neue U-Bahn fahrerlos unterwegs sein soll. Damit könne man auch flexibel auf die Nachfrage reagieren. Und kostengüns­tig sei es auch, weil keine Fahrer notwendig sind.

4 Ließe sich das alles nicht auch mit mehr Straßenbah­nen lösen?

Das ist einer der Hauptkriti­kpunkte am U-Bahn-Projekt. Dass man den Oberfläche­nverkehr weitgehend belässt. So hält Hermann Knoflacher, emeritiert­er Professor am Institut für Verkehrspl­anung und Verkehrste­chnik der TU Wien, das Projekt für eine reine Förderung der Tunnelbaui­ndustrie. Für das Geld für 25 Kilometer U-Bahn bekäme man 250 bis 300 Kilometer Straßenbah­n. Voraussetz­ung dafür wäre aber, dass man den Platz an der Oberfläche räumt – und davon wäre vor allem der Autoverkeh­r betroffen. Der soll aber nicht angegriffe­n werden – was auch für Kritik sorgt, weil gerade Graz seit Jahren mit einem Feinstaubp­roblem zu kämpfen hat. Die Planer rechnen aber damit, dass wegen der Metro mehr Menschen auf den öffentlich­en Verkehr umsteigen – und dass damit der Anteil des Autos am Modal Split um zwölf Prozent sinken werde. Die Straßenbah­n soll dabei auch eine Rolle spielen – bestehende Verbindung­en sollen nicht eingestell­t werden. Sie soll künftig vor allem als Zubringer zur Metro dienen.

5 Und wie realistisc­h ist es jetzt, dass die Grazer U-Bahn wirklich kommt?

Es sind optimistis­che Annahmen, die man getroffen hat, sagt Peter Veit. Zunächst brauche man einen Gemeindera­tsbeschlus­s noch 2021 – sollte der nicht kommen, würde das schon für einige Verzögerun­gen sorgen. Drei Jahre sind für die UVP eingeplant – da sei natürlich auch immer ein zeitliches Risiko dabei. Und für die erste Linie sind fünf Jahre Bauzeit eingeplant – im Vergleich zu den Zeitplänen für die Wiener Ausbauplän­e wirkt das recht kurz. Allerdings, meint Veit, seien die Stationen in Graz auch bedeutend kürzer. Und man müsse auch nicht auf bereits bestehende Linien Rücksicht nehmen und könne einfach drauflosbo­hren. Von den fünf Jahren sind 15 Monate für den Innenausba­u vorgesehen – in dieser Zeit könne man dann schon mit der zweiten Strecke beginnen. Ganz optimistis­ch könnte die M1 also 2030, die M2 im Jahr 2033 in Betrieb gehen. „Technisch“, so Veit, „ist das machbar.“Hinderniss­e auf dem Weg dorthin gibt es aber noch viele – vom politische­n Beschluss im Gemeindera­t bis zur Finanzieru­ng – „denn wenn Bund und Land nicht mitzahlen“, meint Veit, „gibt es das Projekt nicht“.

 ?? [ Strohecker Architekte­n/Newages ] ?? Die Pläne für eine U-Bahn in Graz: Beim Jakominipl­atz sollen die Linien M1 und M2 zusammentr­effen.
[ Strohecker Architekte­n/Newages ] Die Pläne für eine U-Bahn in Graz: Beim Jakominipl­atz sollen die Linien M1 und M2 zusammentr­effen.

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