Ab wann rechnet sich eine U-Bahn?
Öffentlicher Verkehr. U-Bahnen gibt es nicht nur in Millionenstädten. Nun will auch Graz eine Metro errichten – aber zahlt sich das überhaupt aus? Ein Blick auf die Voraussetzungen.
Wien. Zwei Linien sollen es werden. 11,9 Kilometer lang die M1, 13,5 Kilometer die M2. Gemeinsam sollen sie 27 Haltestellen haben, fahren sollen sie vollautomatisiert und bis zu 200.000 Menschen pro Tag transportieren. Die kürzlich vorgestellten Pläne für ein Grazer U-Bahn-Netz klingen ambitioniert. Und tatsächlich stellt sich die Frage – zahlt sich das für die steirische Landeshauptstadt überhaupt aus?
1 Ist Graz groß genug, dass sich eine U-Bahn auszahlt?
Nimmt man Graz mit knapp 300.000 Einwohnern als Maßstab, gibt es durchaus kleinere Städte mit U-Bahn. Lausanne in der Schweiz etwa hat rund 139.000 Einwohner und eine Metrolinie mit 14 Stationen auf 5,9 Kilometern. Auch das italienische Brescia mit rund 200.000 und das französische Rennes mit rund 217.000 Einwohnern haben U-Bahn-Netze. Selbst Fürth in Deutschland mit knapp 130.000 Einwohnern hat U-Bahn-Anschluss – im Verbund mit Nürnberg, das rund 520.000 Einwohner hat. Eine Kuriosität zum Abschluss: Die Gemeinde Serfaus in Tirol mit 1139 Einwohnern rühmt sich auch einer U-Bahn – eine Luftkissenschwebebahn verbindet den Parkplatz am Ortseingang mit der Bergbahnstation, auf einer Streckenlänge von 1280 Metern gibt es vier Stationen. Im Grunde handelt es sich dabei aber um eine Standseilbahn.
2 Welche Parameter entscheiden, ob eine U-Bahn sinnvoll ist?
Der eigentliche Parameter, sagt Peter Veit, ist die erwartbare Nachfrage. Die sei wiederum abhängig von der Fläche und der Bevölkerungsdichte, so der Leiter des Instituts für Eisenbahnwesen und Verkehrswirtschaft an der TU Graz, der an den Planungen für das Grazer Metroprojekt mitgewirkt hat. Aber natürlich spielen auch die Verteilung der Stationen und die Distanzen dazwischen eine Rolle. Im Schnitt, so Veit, betrage der Abstand zwischen zwei Stationen 800 bis 1000 Meter – der größte am westlichen Ende ist zwei Kilometer, der kleinste etwa 500 Meter. (Zum Vergleich – der kürzeste Stationsabstand in der Wiener U-Bahn beträgt 400, der längste 1580 Meter.)
In Graz habe man die Linienführung so gewählt, dass die Strecke nicht geradlinig unterwegs ist, sondern quasi einen Slalom entlang dicht besiedelter Gebiete macht. International gelte der Richtwert, dass man in der Spitzenstunde in eine Richtung über 4000 Fahrgäste befördern müsse, damit es sich rentiert. Für Graz habe man im Rahmen der Studie einen Wert von bis zu 4500 auf einem Streckenabschnitt errechnet. Und auf den ganzen Tag verteilt rechnet man mit etwa 100.000 Fahrgästen auf jeder der beiden neu zu errichtenden Linien.
3 Aber fiel nicht eine frühere Studie negativ zu der U-Bahn aus?
Tatsächlich ergab eine 2001 fertiggestellte Studie, dass eine U-Bahn für Graz teuer und unrentabel sei und man mit neuen Straßenbahnstrecken besser dran sei. Bei der neuen Machbarkeitsstudie kamen einige neue Parameter hinzu. So ist zum Ersten die Stadt seither gewachsen. Zum Zweiten plant man eine von den Dimensionen deutlich kleinere U-Bahn – so sollen zunächst Einfachgarnituren mit 30 Metern Länge unterwegs sein, die 220 Fahrgäste fassen. (Zum Vergleich: Ein V-Wagen der Wiener U-Bahn fasst mit 111 Metern Länge rund 880 Fahrgäste.) Dafür sollen die kleineren Züge in sehr dichten Intervallen fahren – zu Stoßzeiten alle zweieinhalb Minuten. Das wiederum soll möglich sein, weil die neue U-Bahn fahrerlos unterwegs sein soll. Damit könne man auch flexibel auf die Nachfrage reagieren. Und kostengünstig sei es auch, weil keine Fahrer notwendig sind.
4 Ließe sich das alles nicht auch mit mehr Straßenbahnen lösen?
Das ist einer der Hauptkritikpunkte am U-Bahn-Projekt. Dass man den Oberflächenverkehr weitgehend belässt. So hält Hermann Knoflacher, emeritierter Professor am Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der TU Wien, das Projekt für eine reine Förderung der Tunnelbauindustrie. Für das Geld für 25 Kilometer U-Bahn bekäme man 250 bis 300 Kilometer Straßenbahn. Voraussetzung dafür wäre aber, dass man den Platz an der Oberfläche räumt – und davon wäre vor allem der Autoverkehr betroffen. Der soll aber nicht angegriffen werden – was auch für Kritik sorgt, weil gerade Graz seit Jahren mit einem Feinstaubproblem zu kämpfen hat. Die Planer rechnen aber damit, dass wegen der Metro mehr Menschen auf den öffentlichen Verkehr umsteigen – und dass damit der Anteil des Autos am Modal Split um zwölf Prozent sinken werde. Die Straßenbahn soll dabei auch eine Rolle spielen – bestehende Verbindungen sollen nicht eingestellt werden. Sie soll künftig vor allem als Zubringer zur Metro dienen.
5 Und wie realistisch ist es jetzt, dass die Grazer U-Bahn wirklich kommt?
Es sind optimistische Annahmen, die man getroffen hat, sagt Peter Veit. Zunächst brauche man einen Gemeinderatsbeschluss noch 2021 – sollte der nicht kommen, würde das schon für einige Verzögerungen sorgen. Drei Jahre sind für die UVP eingeplant – da sei natürlich auch immer ein zeitliches Risiko dabei. Und für die erste Linie sind fünf Jahre Bauzeit eingeplant – im Vergleich zu den Zeitplänen für die Wiener Ausbaupläne wirkt das recht kurz. Allerdings, meint Veit, seien die Stationen in Graz auch bedeutend kürzer. Und man müsse auch nicht auf bereits bestehende Linien Rücksicht nehmen und könne einfach drauflosbohren. Von den fünf Jahren sind 15 Monate für den Innenausbau vorgesehen – in dieser Zeit könne man dann schon mit der zweiten Strecke beginnen. Ganz optimistisch könnte die M1 also 2030, die M2 im Jahr 2033 in Betrieb gehen. „Technisch“, so Veit, „ist das machbar.“Hindernisse auf dem Weg dorthin gibt es aber noch viele – vom politischen Beschluss im Gemeinderat bis zur Finanzierung – „denn wenn Bund und Land nicht mitzahlen“, meint Veit, „gibt es das Projekt nicht“.