Marco Odermatt, Abfahrtsjuwel gegen jede Regel
Ski alpin. Mit erst 23 Jahren mischt der Schweizer die Königsdisziplin auf. Ohne Training oder Materialtests – und obwohl Erfahrung dort Trumpf ist.
Noch ist kein Abfahrtschampion vom Himmel gefallen. Jene vier Athleten, die in diesem Winter noch realistische Chancen auf die Abfahrtskugel haben, sind alle über 30 Jahre alt. Um konkurrenzfähig zu sein, braucht es jahrelanges Herantasten, das Kennenlernen der Strecken – und vor allem der eigenen Limits. Das ist auch der Grund, wieso ein Marcel Hirscher trotz überragender Skitechnik nie die Königsdisziplin in Angriff nahm. „Um in der Abfahrt Erfolg zu haben, braucht es eine Menge Zeit und Erfahrung, und die habe ich nicht“, erklärte er.
Eine Regel, die auch statistisch untermauert ist. Es sei denn, man steht skifahrerisch über den Dingen wie Marco Odermatt. Der Schweizer ist Weltcupsieger im Riesentorlauf und im Super-G, erster Verfolger von Alexis Pinturault im Gesamtweltcup, und düpiert in diesem Winter mit seinen 23 Jahren auch die Ü30-Abfahrtselite.
Seine jüngsten Abfahrtsergebnisse: Zehnter in Kitzbühel (beim zweiten Antreten auf der Streif ), Achter in Garmisch-Partenkirchen (Kandahar-Debüt) und WM-Vierter in Cortina d’Ampezzo (Premiere). Der Eidgenosse findet auch Gefallen an Saalbach-Hinterglemm, wo heute (11.20 Uhr) und morgen (11 Uhr) eine Abfahrt wartet (je ORF1).
Warum er bereits jetzt am Podest anklopft, weiß der Jungstar aus dem Kanton Nidwalden selbst nicht so recht. „Am Training liegt es sicher nicht. Ich bin eigentlich nie im Abfahrtstraining“, erklärt er am Fuß des Zwölferkogels. Odermatt ist fixer Bestandteil der starken Riesentorlaufmannschaft des Tirolers Helmut Krug. Er wirkt im Saalbach-Zielraum auch körperlich geradezu schmächtig neben gestandenen Abfahrern wie Dominik Paris und Beat Feuz. „Aber ich glaube, die Technik vom Riesentorlauf, die Grundspannung, das Rennenfahren kommen mir sicher zugute“, meint Odermatt. Auch wenn er kaum Erfahrungswerte mit den 2,20-m-Skiern sammeln kann. „Ich habe keine Zeit, die Skier durchzufahren. Aber da hilft mir Stöckli, die machen das für mich.“Außerdem: „Ich kann auch viel von Beat (Feuz, Anm.) profitieren, und ich schaue viel Videos.“
Der angesprochene Beat Feuz, 34 Jahre alt und der überragende Abfahrer dieser Tage, aber sagt: „Ich habe nicht viel damit zu tun. Er ist zweifelsohne ein guter Skifahrer, das weiß man, das sieht man. Mit 23 ist er seit Langem der Erste, der wieder so gut ist. Es ist nicht unmöglich, aber es braucht eine sehr feine Technik, dass man in der heutigen Zeit in solch jungen Jahren vorn ist.“
Odermatt verweist zwar auf die Erfahrung des Teamkollegen, den er zumindest bei den Speedrennen zu Gesicht bekommt. „Ich gehe meistens im ersten Training mit ihm auf die Besichtigung, ich schaue, wie er alles sieht, höre mit, wie er alles mit den Coaches bespricht und frage, wenn ich eine Frage habe.“Auch Feuz meint: „Sicher reden wir im Team.“Aber noch macht Odermatt seine Erfahrung mit Skitechnik, Selbstvertrauen und Kompromisslosigkeit wett. „Ich glaube, dass er sich bei uns alten Hasen jetzt nicht viel abschaut“, sagt Feuz. „Technisch logischerweise nicht. Aber vielleicht Sachen, die du einfach in den Speed-Disziplinen brauchst, sagen wir die Geduld. Es ist nicht unbedingt das Fahren an sich, sondern diese ganze Woche ist immer sehr speziell für Techniker.“
Respekt ist Odermatt ohnehin eher fremd, vom Herantasten kann keine Rede mehr sein. „Ich bin sicher nicht am Maximum, aber schon eher dran“, sagt er. In Saalbach gibt er nun seine Abfahrtspremiere. Doch Odermatts SpeedAmbitionen könnten schon in den nächsten Jahren im Rennen um den Gesamtweltcup entscheidend sein. „Früher oder später ist es sicher ein Ziel, in der Abfahrt große Rennen zu gewinnen. Aber das ist noch ein bisschen weiter weg.“