Die Presse

Die Rückkehr der Inflation

Teuerung. Kurzfristi­g dürften die Preise steigen, weil die Menschen endlich Geld ausgeben wollen und der Ölpreis höher ist. Langfristi­g werden Demografie und Arbeitskrä­fteknapphe­it die Preise antreiben.

- VON BEATE LAMMER UND NICOLE STERN

Wien. Kehrt die Inflation zurück? An den Börsen gibt es zumindest erste Anzeichen dafür: Die Renditen langfristi­ger Staatsanle­ihen sind in den vergangene­n Wochen angezogen. Das bedeutet, dass die Märkte zwar nicht sofort, aber in den nächsten Jahren mit mehr Inflation rechnen. Den Notenbanke­rn in Europa und den USA bereitet das durchaus Kopfzerbre­chen. Immerhin haben sie bereits angedeutet, in den nächsten Jahren die Zinsen nicht erhöhen zu wollen. Dieses Mittel der Inflations­bekämpfung fällt also aus. Doch besteht überhaupt die Gefahr einer starken Teuerung? „Die Presse“hat dazu mit mehreren Experten gesprochen.

1 Haben wir nicht bereits eine hohe Inflation? Die Preise für Aktien und Immobilien steigen.

Es gibt eine hohe Vermögensp­reis-Inflation, die aber allenfalls indirekt Auswirkung­en auf die Verbrauche­rpreise hat. Da die Notenbanke­n massiv Staatsanle­ihen gekauft, deren Preise nach oben und die Renditen nach unten gedrückt haben, mussten die Anleger ausweichen: auf Aktien, Immobilien, Gold und zuletzt auch Kryptowähr­ungen. Deswegen stiegen dort die Preise, sagt Bank-Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer. Das sei aber mehr ein Verdrängun­gseffekt und habe weniger mit der zusätzlich­en Liquidität zu tun, die durch die lockere Geldpoliti­k der Notenbanke­n in die Finanzmärk­te gepumpt wurde. Diese müsse erst über Kredite in den Wirtschaft­skreislauf kommen.

2 Warum steigen die Verbrauche­rpreise vergleichs­weise langsam?

Die Verbrauche­rinflation ist seit Jahren niedrig. Das hat mit der Globalisie­rung und den billigen Waren, etwa aus China, zu tun. Ein Effekt, der nicht immer bleiben wird. Auch habe es demografis­che Gründe, meint Raiffeisen-Chefanalys­t Peter Brezinsche­k: Die geburtenst­arken Jahrgänge der Babyboomer stehen kurz vor der Pension, verdienen gut – und sparen viel. All das trägt zwar zu einem Anstieg der Vermögensp­reis-Inflation bei, halte die Verbrauche­rinflation aber vorerst im Zaum.

3 Gibt es indirekte Auswirkung­en der lockeren Geldpoliti­k auf die Verbrauche­rpreise?

Indirekt bekommen auch die Verbrauche­r die Vermögensp­reis-Inflation zu spüren, etwa über die steigenden Immobilien­preise, die sich auch in höheren Mieten niederschl­agen. Die meisten Konsumente­npreise reagieren vorerst aber nicht. In Japan ist die Geldpoliti­k bereits seit 30 Jahren locker, von einer galoppiere­nden Inflation ist man dort weit entfernt, vielmehr hatte das Land jahrelang mit einer Deflation (einem anhaltende­n Rückgang des Preisnivea­us) zu kämpfen. Von einem massiven Nachfrageb­oom in Europa, der die Preise auf dem Kontinent treiben würde, sei derzeit nichts zu sehen, sagt Bruckbauer. Die Hilfsgelde­r, die die Staaten in die Wirtschaft gepumpt haben, sollten ja nur die Ausfälle durch die Coronakris­e wettmachen. Dass Aktien so hoch bewertet sind, habe für Unternehme­n auch positive Effekte, immerhin mache es ihre Finanzieru­ng (über Kapitalerh­öhungen) günstiger.

4 Mit welchen Inflations­raten rechnet man heuer und nächstes Jahr?

Vorerst dürfte sich beim Anstieg der Verbrauche­rpreise wenig ändern. Im Durchschni­tt des Vorjahres machte die Teuerung in Österreich 1,4 Prozent aus. Das Wirtschaft­sforschung­sinstitut (Wifo) rechnet für das laufende Jahr mit 1,5 Prozent. Und auch in den Jahren danach sollte der Wert um diesen Bereich oszilliere­n. Die Europäisch­e Zentralban­k erwartet in Europa eine Inflations­rate von einem Prozent für 2021, bis zum Jahr 2023 könnte ein Anstieg auf 1,4 Prozent erfolgen – ein Wert, der unterhalb des Ziels der Notenbank von nahe, aber unter zwei Prozent liegen würde. Viel hängt auch davon ab, wie sich in Deutschlan­d, der größten Volkswirts­chaft der Eurozone, die Inflation entwickelt.

5 Wird es nicht zu einem Nachholeff­ekt kommen, wenn die Lockdowns vorbei sind?

Durchaus, meint Brezinsche­k. Dieser Effekt dürfte vorerst aber temporär sein. In den Inflations­raten der kommenden Monate könnte sich auch ein zuletzt gestiegene­r Ölpreis bemerkbar machen, weil der Rohstoff im Vorjahresz­eitraum günstiger war – und die Inflation wird meist im Jahresabst­and gemessen. Auch in der Gastronomi­e könnte es zu Preisansti­egen kommen, sagt WifoÖkonom Josef Baumgartne­r. Doch das war es dann auch schon. Ob Chip-Engpässe oder höhere Frachtrate­n auf die Inflation durchschla­gen, hänge davon ab, welchen Anteil die Transportk­osten am Gesamtprod­ukt haben, sagt Baumgartne­r. Und der ist meistens gering. Hinzu kommt, dass viele Produkte, die im Vorjahr stark nachgefrag­t wurden (wie Computer) in diesem Jahr wohl nicht mehr in dem Ausmaß gebraucht werden. Dass über höhere Löhne eine LohnPreis-Spirale in Gang kommt, ist ebenfalls unwahrsche­inlich, weil die Arbeitslos­igkeit hoch bleiben wird.

6 Bedeutet das, dass wir uns nie mehr vor Inflation zu fürchten brauchen?

Nein. Denn all das könnte sich in fünf bis zehn Jahren ändern, meint Brezinsche­k: Wenn die Generation der Babyboomer vermehrt in Pension geht, wird sie entsparen, also Geld ausgeben. Auch der Warenkorb werde sich ändern: Pensionist­en konsumiere­n relativ mehr Dienstleis­tungen, die sich stärker verteuern. Und während derzeit in Europa die Sockelarbe­itslosigke­it noch relativ hoch sei, könnten künftig Arbeitskrä­fte knapper werden, was die Löhne und damit die Preise hochtreibt – ein Effekt, der sich in China jetzt schon zeige.

7 Führt eine höhere Inflation zu höheren Zinsen für Sparbuchsp­arer?

In den nächsten Jahren dürften die Notenbanke­n kaum die Zinsen erhöhen. Die Erwartung einer höheren Inflation führt vorerst nur zu höheren Zinsen bei langfristi­gen Anleihen, aber nicht auf dem Sparbuch. Und wenn die Zinsen endlich auch auf dem Sparbuch steigen, die Inflation dann aber noch höher ist, bleiben die Realzinsen negativ. Das waren sie in den meisten Monaten seit den Siebzigerj­ahren aber ohnehin. Nur stieß sich kaum jemand daran, weil das Angesparte zumindest optisch, also nominell, wuchs.

8 Profitiere­n wenigstens Inhaber von Staatsanle­ihen von den steigenden Renditen?

Nein. Dass die Renditen für lang laufende Staatsanle­ihen steigen, bedeutet, dass die Kurse für bereits ausgegeben­e Anleihen fallen. Denn wenn es höher verzinste Anleihen gibt, will keiner die mit den niedrigen Zinsen kaufen. Es sei denn, er erhält sie zu einem niedrigere­n Preis. Nun kann man die Anleihen bis zum Laufzeiten­de halten. Wenn der Markt aber recht behält und die Inflation nach zehn oder mehr Jahren zurückgeke­hrt ist, verliert man real trotzdem.

9 Und was ist mit Aktien, Immobilien und anderen Anlageklas­sen?

Wenn die höhere Inflation Folge eines starken Wirtschaft­swachstums ist, profitiere­n Aktien. Höhere Zinsen sind aber auch für Aktien unerfreuli­ch: Denn wenn die Zinsen steigen, finden die Anleger Aktien mit Dividenden­renditen von zwei Prozent plötzlich nicht mehr so attraktiv und wollen höhere Dividenden­renditen sehen. Im Idealfall erhalten sie die auch, weil die Unternehme­n höhere Gewinne erzielen und mehr Ausschüttu­ngen vornehmen können. Im schlechter­en Fall müssen die Kurse hinunter. Auch die Aufwertung der Immobilien­preise könnte durch höhere Zinsen ein wenig gebremst werden, sagt Brezinsche­k. Zum einen, weil Hypothekar­kredite dann teurer werden, zum anderen, weil die Flucht vom Sparbuch zum Grundbuch wieder nachlassen könnte.

10 Wie hat sich die Inflation in den vergangene­n Jahren für Sparer ausgewirkt?

Auch wenn die Verbrauche­rpreisinfl­ation in den vergangene­n Jahren verhalten war, knabberte sie dennoch das Ersparte an, vor allem bei Sparbuchsp­arern. Die Agenda Austria hat ausgerechn­et: Um die Geldentwer­tung der vergangene­n elf Jahre auszugleic­hen, musste man mit seinen Investment­s einen Gewinn von 23 Prozent einfahren. Nur die wenigsten konnten das erreichen, wie die obige Grafik zeigt. Mit einem Eckzinsspa­rbuch (3,5 Prozent) oder Staatsanle­ihen (11,4 Prozent) erlitt man einen herben Verlust, stellt Agenda-Austria-Ökonomin Heike Lehner fest.

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