Die Rückkehr der Inflation
Teuerung. Kurzfristig dürften die Preise steigen, weil die Menschen endlich Geld ausgeben wollen und der Ölpreis höher ist. Langfristig werden Demografie und Arbeitskräfteknappheit die Preise antreiben.
Wien. Kehrt die Inflation zurück? An den Börsen gibt es zumindest erste Anzeichen dafür: Die Renditen langfristiger Staatsanleihen sind in den vergangenen Wochen angezogen. Das bedeutet, dass die Märkte zwar nicht sofort, aber in den nächsten Jahren mit mehr Inflation rechnen. Den Notenbankern in Europa und den USA bereitet das durchaus Kopfzerbrechen. Immerhin haben sie bereits angedeutet, in den nächsten Jahren die Zinsen nicht erhöhen zu wollen. Dieses Mittel der Inflationsbekämpfung fällt also aus. Doch besteht überhaupt die Gefahr einer starken Teuerung? „Die Presse“hat dazu mit mehreren Experten gesprochen.
1 Haben wir nicht bereits eine hohe Inflation? Die Preise für Aktien und Immobilien steigen.
Es gibt eine hohe Vermögenspreis-Inflation, die aber allenfalls indirekt Auswirkungen auf die Verbraucherpreise hat. Da die Notenbanken massiv Staatsanleihen gekauft, deren Preise nach oben und die Renditen nach unten gedrückt haben, mussten die Anleger ausweichen: auf Aktien, Immobilien, Gold und zuletzt auch Kryptowährungen. Deswegen stiegen dort die Preise, sagt Bank-Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer. Das sei aber mehr ein Verdrängungseffekt und habe weniger mit der zusätzlichen Liquidität zu tun, die durch die lockere Geldpolitik der Notenbanken in die Finanzmärkte gepumpt wurde. Diese müsse erst über Kredite in den Wirtschaftskreislauf kommen.
2 Warum steigen die Verbraucherpreise vergleichsweise langsam?
Die Verbraucherinflation ist seit Jahren niedrig. Das hat mit der Globalisierung und den billigen Waren, etwa aus China, zu tun. Ein Effekt, der nicht immer bleiben wird. Auch habe es demografische Gründe, meint Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek: Die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer stehen kurz vor der Pension, verdienen gut – und sparen viel. All das trägt zwar zu einem Anstieg der Vermögenspreis-Inflation bei, halte die Verbraucherinflation aber vorerst im Zaum.
3 Gibt es indirekte Auswirkungen der lockeren Geldpolitik auf die Verbraucherpreise?
Indirekt bekommen auch die Verbraucher die Vermögenspreis-Inflation zu spüren, etwa über die steigenden Immobilienpreise, die sich auch in höheren Mieten niederschlagen. Die meisten Konsumentenpreise reagieren vorerst aber nicht. In Japan ist die Geldpolitik bereits seit 30 Jahren locker, von einer galoppierenden Inflation ist man dort weit entfernt, vielmehr hatte das Land jahrelang mit einer Deflation (einem anhaltenden Rückgang des Preisniveaus) zu kämpfen. Von einem massiven Nachfrageboom in Europa, der die Preise auf dem Kontinent treiben würde, sei derzeit nichts zu sehen, sagt Bruckbauer. Die Hilfsgelder, die die Staaten in die Wirtschaft gepumpt haben, sollten ja nur die Ausfälle durch die Coronakrise wettmachen. Dass Aktien so hoch bewertet sind, habe für Unternehmen auch positive Effekte, immerhin mache es ihre Finanzierung (über Kapitalerhöhungen) günstiger.
4 Mit welchen Inflationsraten rechnet man heuer und nächstes Jahr?
Vorerst dürfte sich beim Anstieg der Verbraucherpreise wenig ändern. Im Durchschnitt des Vorjahres machte die Teuerung in Österreich 1,4 Prozent aus. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) rechnet für das laufende Jahr mit 1,5 Prozent. Und auch in den Jahren danach sollte der Wert um diesen Bereich oszillieren. Die Europäische Zentralbank erwartet in Europa eine Inflationsrate von einem Prozent für 2021, bis zum Jahr 2023 könnte ein Anstieg auf 1,4 Prozent erfolgen – ein Wert, der unterhalb des Ziels der Notenbank von nahe, aber unter zwei Prozent liegen würde. Viel hängt auch davon ab, wie sich in Deutschland, der größten Volkswirtschaft der Eurozone, die Inflation entwickelt.
5 Wird es nicht zu einem Nachholeffekt kommen, wenn die Lockdowns vorbei sind?
Durchaus, meint Brezinschek. Dieser Effekt dürfte vorerst aber temporär sein. In den Inflationsraten der kommenden Monate könnte sich auch ein zuletzt gestiegener Ölpreis bemerkbar machen, weil der Rohstoff im Vorjahreszeitraum günstiger war – und die Inflation wird meist im Jahresabstand gemessen. Auch in der Gastronomie könnte es zu Preisanstiegen kommen, sagt WifoÖkonom Josef Baumgartner. Doch das war es dann auch schon. Ob Chip-Engpässe oder höhere Frachtraten auf die Inflation durchschlagen, hänge davon ab, welchen Anteil die Transportkosten am Gesamtprodukt haben, sagt Baumgartner. Und der ist meistens gering. Hinzu kommt, dass viele Produkte, die im Vorjahr stark nachgefragt wurden (wie Computer) in diesem Jahr wohl nicht mehr in dem Ausmaß gebraucht werden. Dass über höhere Löhne eine LohnPreis-Spirale in Gang kommt, ist ebenfalls unwahrscheinlich, weil die Arbeitslosigkeit hoch bleiben wird.
6 Bedeutet das, dass wir uns nie mehr vor Inflation zu fürchten brauchen?
Nein. Denn all das könnte sich in fünf bis zehn Jahren ändern, meint Brezinschek: Wenn die Generation der Babyboomer vermehrt in Pension geht, wird sie entsparen, also Geld ausgeben. Auch der Warenkorb werde sich ändern: Pensionisten konsumieren relativ mehr Dienstleistungen, die sich stärker verteuern. Und während derzeit in Europa die Sockelarbeitslosigkeit noch relativ hoch sei, könnten künftig Arbeitskräfte knapper werden, was die Löhne und damit die Preise hochtreibt – ein Effekt, der sich in China jetzt schon zeige.
7 Führt eine höhere Inflation zu höheren Zinsen für Sparbuchsparer?
In den nächsten Jahren dürften die Notenbanken kaum die Zinsen erhöhen. Die Erwartung einer höheren Inflation führt vorerst nur zu höheren Zinsen bei langfristigen Anleihen, aber nicht auf dem Sparbuch. Und wenn die Zinsen endlich auch auf dem Sparbuch steigen, die Inflation dann aber noch höher ist, bleiben die Realzinsen negativ. Das waren sie in den meisten Monaten seit den Siebzigerjahren aber ohnehin. Nur stieß sich kaum jemand daran, weil das Angesparte zumindest optisch, also nominell, wuchs.
8 Profitieren wenigstens Inhaber von Staatsanleihen von den steigenden Renditen?
Nein. Dass die Renditen für lang laufende Staatsanleihen steigen, bedeutet, dass die Kurse für bereits ausgegebene Anleihen fallen. Denn wenn es höher verzinste Anleihen gibt, will keiner die mit den niedrigen Zinsen kaufen. Es sei denn, er erhält sie zu einem niedrigeren Preis. Nun kann man die Anleihen bis zum Laufzeitende halten. Wenn der Markt aber recht behält und die Inflation nach zehn oder mehr Jahren zurückgekehrt ist, verliert man real trotzdem.
9 Und was ist mit Aktien, Immobilien und anderen Anlageklassen?
Wenn die höhere Inflation Folge eines starken Wirtschaftswachstums ist, profitieren Aktien. Höhere Zinsen sind aber auch für Aktien unerfreulich: Denn wenn die Zinsen steigen, finden die Anleger Aktien mit Dividendenrenditen von zwei Prozent plötzlich nicht mehr so attraktiv und wollen höhere Dividendenrenditen sehen. Im Idealfall erhalten sie die auch, weil die Unternehmen höhere Gewinne erzielen und mehr Ausschüttungen vornehmen können. Im schlechteren Fall müssen die Kurse hinunter. Auch die Aufwertung der Immobilienpreise könnte durch höhere Zinsen ein wenig gebremst werden, sagt Brezinschek. Zum einen, weil Hypothekarkredite dann teurer werden, zum anderen, weil die Flucht vom Sparbuch zum Grundbuch wieder nachlassen könnte.
10 Wie hat sich die Inflation in den vergangenen Jahren für Sparer ausgewirkt?
Auch wenn die Verbraucherpreisinflation in den vergangenen Jahren verhalten war, knabberte sie dennoch das Ersparte an, vor allem bei Sparbuchsparern. Die Agenda Austria hat ausgerechnet: Um die Geldentwertung der vergangenen elf Jahre auszugleichen, musste man mit seinen Investments einen Gewinn von 23 Prozent einfahren. Nur die wenigsten konnten das erreichen, wie die obige Grafik zeigt. Mit einem Eckzinssparbuch (3,5 Prozent) oder Staatsanleihen (11,4 Prozent) erlitt man einen herben Verlust, stellt Agenda-Austria-Ökonomin Heike Lehner fest.