Allah als Schuster – ist das Blasphemie?
Religion. Seit diesem Jahrtausend werden „Gotteslästerer“in Europa wieder ermordet. Und doch gelingt es Forschern bis heute nicht, die Vorgeschichte zu erzählen: Über Gerd Schwerhoffs neue Blasphemiegeschichte „Verfluchte Götter“.
Eine nackte Frau schmust mit dem Gekreuzigten. Eine andere hängt in lasziver Pose am Kreuz, während ein spitzbübisch aussehender Teufel Christus wegschiebt: Unter Titeln wie „Die Versuchung des heiligen Antonius“oder „Die heilige Theresa als Philosophin oder Religiöse Berufung“veröffentlichte ein Zeichner in Paris solche Bilder. Probleme bekam er deswegen kaum, seine Karriere war glanzvoll, und die Republik ehrte ihn mit einer ihrer höchsten Auszeichnungen, dem Goldenen Band der Ehrenlegion.
Wann könnte dieser Zeichner wohl gelebt haben, der in der Öffentlichkeit solche Freiheiten genoss? Im 20. Jahrhundert, im 21.? Alles falsch: in der Belle E´poque. Der Belgier Felicien´ Rops wirkte ab den 1860erJahren in der französischen Hauptstadt, bis zu seinem Tod 1898.
Rops’ Arbeiten und die Reaktionen darauf haben mehr mit der Gegenwart zu tun, als man meinen könnte. Denn ohne den Kulturkampf um die Religion, den radikalsten Antiklerikalismus von ganz Europa, der im 19. Jahrhundert in Frankreich tobte, ist auch die Tradition der Religions-Karikaturen im linken Magazin „Charlie Hebdo“nicht ausreichend erklärbar. Alle Register des Spotts und der Beleidigung wurden dort gezogen, schon Jahrzehnte vor den Mohammed-Karikaturen, und hauptsächlich gegen das Christliche. Diese Tradition trieb die Redakteure freilich auch dazu, seit 2006 mehrmals Mohammed-Karikaturen zu veröffentlichen. Mehrere Mitarbeiter bezahlten 2015 dafür mit ihrem Leben. Und auch wegen der Karikaturen wurde Frankreich in Europa zur wichtigsten Zielscheibe muslimischer Fundamentalisten.
Rushdie, Gogh, Mohammed-Karikaturen
Der Fall Frankreich illustriert, warum eine Geschichte der Blasphemie für die Gegenwart wichtig ist. Noch vor wenigen Jahrzehnten hätte sich das niemand erwartet. Es gab kleine Aufregungen um angeblich blasphemische Kunstwerke, einen gekreuzigten Frosch oder ein mit Urin bespritztes PlastikKruzifix; insgesamt galten Streitigkeiten um „Gotteslästerung“im Westen, auch innerhalb der Kirche, als Relikt vormoderner Zeiten. Dann aber kam 1989 die Fatwa gegen Salman Rushdie. Kam 2004 die Ermordung des niederländischen Regisseurs Theo van Gogh wegen seines Films „Submission“. Kamen 2005 die Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung „Jyllands Posten“.
Bisherige Blasphemiegeschichten konzentrierten sich auf das Christentum, und dabei auf Häresie (die zwar mit Blasphemie einhergehen kann, aber nicht dasselbe ist). Das Buch „Verfluchte Götter“(Fischer-Verlag) des deutschen Historikers Gerd Schwerhoff will darüber hinausgehen. Was erfährt man hier also über Blasphemie im Islam? Zunächst, dass sie so alt ist wie der Islam selbst. Schon im Jahr 770 wurde ein Mann hingerichtet, der dem Hadith „Ich bin das Siegel der Propheten. Es wird keinen Propheten nach mir geben“hinzufügte: „wenn
Gott es nicht anders will“. Gotteslästerung wurde vor allem mit dem arabischen Wort „sabb“(„Missbrauch“, „Beleidigung“) bezeichnet. Sie wurde vor allem Muslimen vorgeworfen und als Form der Apostasie, des Glaubensabfalls, gesehen. Und zwar in der Frühzeit besonders auf der Iberischen Halbinsel, wo der Islam in engste Nachbarschaft mit anderen Religionen kam, nämlich Judenund Christentum. So urteilte Mitte des 9. Jahrhunderts der Emir von Cordoba´ darüber, ob ein Mann nur einen Witz gemacht oder Gott beleidigt hatte, als er an einem wolkigen
Tag gesagt hat: „Der Schuster hat begonnen, seine Häute zu wässern.“Der Mann wurde auf einem Holzkreuz zu Tode gestochen. Späteren Berichten zufolge begründete der Emir seine Härte mit dem Ziel der Abschreckung nach außen: Furcht bei den Feinden der Muslime solle geweckt werden. Drakonische Blasphemie-Urteile waren vor allem eine Machtdemonstration politischer Führer.
Trotz interessanter Details sehen wir am Ende des Islam-Kapitels doch, in den Worten Brechts, „den Vorhang zu und alle Fragen offen“. Schwerhoff versucht den Blick zu weiten, bleibt aber sehr eurozentristisch. Er beginnt beim römischen Polytheismus und dem Aufstieg des Christentums, streift die Blasphemie im frühen Islam nur, setzt fort mit der harten Verfolgung und lässigen Duldung der Blasphemie im christlichen Mittelalter. Weiter geht es mit dem Streit zwischen Katholiken und Protestanten; dem veränderten Blasphemieverständnis in der Aufklärung; politischen Implikationen der Blasphemiedebatten in Frankreich, England und Deutschland des 19. Jahrhunderts. Schwerhoff, Experte für die Frühe Neuzeit, leistet hier viel. Und mehr kann er als einzelner Historiker auch nicht leisten, angesichts seines Fachs und „des derzeitigen Forschungsstandes“, wie er selbst betont.
Allah selbst wird kaum geschmäht
Nötig wäre aber mehr: In heutige Blasphemiedebatten wirkt so viel Globalgeschichte hinein, dass wir auch eine globalere Blasphemiegeschichte brauchen. Warum zum Beispiel betrafen Schmähungen im Islam fast immer Mohammed und sein Gefolge, nie Allah? Steht die Unantastbarkeit des Propheten nicht im Widerspruch zum strikten Monotheismus der Muslime, fragt Schwerhoff. „Oder unterstreicht sie die Selbstverständlichkeit dieses Monotheismus, der den Schöpfergott so entrückte, dass sich der religiöse Spott gleichsam ein Ersatzobjekt suchen musste?“Schwerhoff stellt diese Frage in den Raum – und lässt uns mit ihr stehen.
Am Ende schlägt er ein weiteres drängendes Thema an: die Säkularisierung der Blasphemie. 2019 wurde in Iowa ein Mann zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er eine LGBTQ-Regenbogenflagge angezündet hatte. Schwerhoff vermutet, dass der Westen nicht aufgehört hat, die Schmähung des „Heiligen“zu verfolgen, sondern dem „Heiligen“neue Formen gibt. Doch das war’s dann schon. Hier wie für die Islam-Passagen gilt: „Verfluchte Götter“endet in für die Gegenwart wesentlichen Aspekten dort, wo es interessant zu werden beginnt.