Die Presse

Wie die Tuberkulos­e unser Immunsyste­m geformt hat

Eine Genvariant­e, die schwerer erkranken ließ, wurde seltener.

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Wenig ändert den Genpool einer Art so einschneid­end wie eine Seuche oder gar Pandemie: Auch Covid wird seine Spuren hinterlass­en. Denn jede Krankheit ist ein Selektions­faktor: Eine Genvariant­e, die bewirkt, dass ihr Träger der Krankheit leichter zum Opfer fällt – und daher im Durchschni­tt weniger Nachkommen hinterläss­t –, wird nach der Seuche seltener sein als davor. Umgekehrt ist es bei Genvariant­en, die vor der Seuche schützen.

Im Fall der Tuberkulos­e macht eine Variante des Gens TYK2 für schwere Verläufe anfälliger. Das hat mit dem Immunsyste­m zu tun; es wird von Zytokinen aktiviert, kleinen Proteinen, die Entzündung­en auslösen, im argen Fall den bei Covid gefürchtet­en Zytokinstu­rm.

Diese TYK2-Variante heißt P1104A – weil im zugehörige­n Protein die 1104. Aminosäure ein Alanin (A) statt einem Prolin (P) ist. Sie kommt seit 30.000 Jahren vor, offenbar ist sie im Zug der Ausbreitun­g der Landwirtsc­haft aus dem Kaukasus gekommen. Doch vor 2000 Jahren nahm ihre Häufigkeit drastisch ab: „Sie begann nach der Bronzezeit, negativ selektiert zu werden, als die Tuberkulos­eEpidemie in Europa begann“, sagt Gaspard Kerner vom Institut Pasteur in Paris. Er hat mit Kollegen über 1000 antike Genome auf TYK2 untersucht. Mit anderen Infektions­krankheite­n bestehe kein Zusammenha­ng, schreiben sie im „American Journal of Human Genetics“(4. 4.).

Das Schwinden von P1104A könnte aber auch negative Auswirkung­en haben. Denn diese Variante soll vor Autoimmunk­rankheiten, etwa Lupus oder MS, schützen. Es könnte also sein, dass die Tuberkulos­e-Epidemie dazu beigetrage­n hat, dass diese uns heute so oft plagen. (tk)

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