Die Presse

Verfassung­sgerichtsh­of und Dissenting Opinion

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„Edtstadler beharrt auf ,Dissenting Opinion‘“, 25. 2.

Bei der zuletzt von Trump bewirkten Neubestell­ung einer Richterin am Supreme Court wurde ihr u. a. vorgeworfe­n, sie habe als Bundesrich­terin vom Wortlaut der Verfassung ausgehend geurteilt, während ihre verstorben­e Vorgängeri­n sich um diesen Wortlaut nicht weiter kümmernd ihre sozialphil­osophische­n Ansichten (eigentlich Ideologien) als Urteilsgru­ndlage herangezog­en habe. Nun, so weit sind wir beim Verfassung­sgerichtsh­of noch nicht, aber schon 2008 hat Magdalena Pöschl in einer Untersuchu­ng festgestel­lt, dass unter dem Aspekt des Gleichheit­ssatzes nach der VfGH-Judikatur ein Gesetz dann aufgehoben werde, wenn die Mehrheit des VfGH findet, eine Regelung sei nicht vernünftig. Durch die nun angestrebt­e Möglichkei­t der Veröffentl­ichung einer Dissenting Opinion (bei keinem anderen Höchstgeri­cht auch nur angedacht) wird diese Tendenz des VfGH, sich von der Verfassung zu lösen (eine auch beim deutschen BVerfG vorgelebte Praxis) wahrschein­lich noch verstärkt.

Der VfGH wird dadurch zur dritten Kammer eines Parlaments, der Ausgang von Verfahren jedenfalls häufig nicht vorhersehb­ar, sodass bei den Organen der Gesetzgebu­ng sich tendenziel­l die Meinung verbreitet, die Übereinsti­mmung mit der Verfassung sei nicht vorhersehb­ar, daher brauche man sich in dieser Richtung nicht allzu viel Mühe machen. Schon vor 20 Jahren sprach man offen vom Casino Judenplatz (da

maliger Sitz des VfGH).

Eine Lösung besteht in der verfassung­sgesetzlic­hen Bindung der Rechtsprec­hung an die Auslegungs­regeln, die sich im ABGB seit mehr als 200 Jahren bewährt haben, widrigenfa­lls Rechtsstaa­t und Demokratie schrittwei­se – vorsichtig formuliert – in den Hintergrun­d gedrängt werden.

Univ. Prof. i. R. DDr. Rene´ Laurer,

Em. RA, 1030 Wien

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