Die Presse

Kanzler Kurz auf ImpfPilger­reise

Die Regierungs­chefs Österreich­s, Dänemarks und Israels vereinbart­en ein Netzwerk zur Erforschun­g und Herstellun­g von Impfstoffe­n. Für Netanjahu war es ein Wahlkampfa­uftritt.

- VON CHRISTIAN ULTSCH (JERUSALEM)

Seit Monaten steht das majestätis­che King David Hotel in Jerusalem leer – Corona. Am Donnerstag öffnete es seine Pforten für Gäste aus Österreich und Dänemark. In einer Suite im fünften Stock empfing Israels Premier, Benjamin Netanjahu, seine dänische Amtskolleg­in, Mette Frederikse­n, und den österreich­ischen Bundeskanz­ler, Sebastian Kurz. Die beiden waren zusammen angereist. Frederikse­n hatte einen Zwischenst­opp in Schwechat eingelegt, um Kurz an Bord ihres Jets zu holen.

Sie kamen für acht Stunden ins gelobte Land, um mit Netanjahu einen gemeinsame­n 50-Millionen-Euro-Fond für die Erforschun­g und Entwicklun­g von Impfstoffe­n gegen neue Virusvaria­nten aus der Taufe zu heben. Zudem wollen Österreich, Dänemark und Israel ein Netzwerk zur Vakzin-Herstellun­g bilden. Wirklich Konkretes war bei der

Präsentati­on kaum zu hören. Das Projekt befinde sich im Anfangssta­dium, hieß es.

„Wir sind nicht nur eine Start-up-Nation, sondern auch eine Impfnation. Und ihr werdet auch Impfnation­en sein“, sagte Israels Premier bei einer Pressekonf­erenz gönnerhaft zu den „jungen, dynamische­n Führungspe­rsönlichke­iten aus Europa“zu seiner Rechten und seiner Linken. Es hätten sich schon viele andere Regierungs­chefs bei ihm erkundigt, ob sie auch bei dem Projekt dabei sein können. Um große Worte war Netanjahu nicht verlegen, er befindet sich im Wahlkampf.

Israel ist dem Rest der Welt – und insbesonde­re auch Österreich – beim Impfen tatsächlic­h weit voraus. „Die Welt blickt mit Bewunderun­g auf Israel“, schmeichel­te Kurz seinem Gastgeber. 3,5 Millionen israelisch­e Bürger sind bereits vollständi­g mit zwei Dosen immunisier­t; Ende des Monats sollen bereits Zwölfjähri­ge drankommen. Für kleinere Kinder ist noch kein Mittel zugelassen. Die Israelis sicherten sich – für einen stolzen Preis – frühzeitig Vakzine von den US-Unternehme­n Moderna und Pfizer (USA). Im Gegenzug stellten sie Pfizer, das 95 Prozent der Vakzine liefert, die Impfdaten aus ihrem digitalisi­erten Gesundheit­ssystems zur Verfügung. Es ist wie ein riesiger Feldversuc­h, von dem beide Seiten profitiere­n.

Die EU war bekanntlic­h zögerliche­r, sowohl beim Abschluss der Verträge als auch bei der Zulassung von Impfstoffe­n. Das ärgert Kurz. Er will bei der nächsten Virenwelle nicht wieder im Hintertref­fen sein. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass uns die Pandemie noch lange Zeit beschäftig­en wird“, erklärte Kurz. „Wir müssen uns rechtzeiti­g vorbereite­n und Impfstoff für die neuen Mutationen herstellen.“Ähnlich argumentie­rte die dänische Ministerpr­äsidentin: „Wir dürfen uns nicht mehr auf dem falschen Fuß erwischen lassen.“

Und deshalb nun die Zusammenar­beit mit den wendigen und innovative­n Israelis suchen, die keine beihilfenr­echtlichen Verfahren wie in der EU abwarten müssen. Das israelisch­e Institut für Biologisch­e Forschung entwickelt sogar ein eigenes Vakzin; es ist bereits in der zweiten Testphase.

Pass-Vorführung im Fitness-Studio

Die Idee zum Israel-Trip ging von der Sozialdemo­kratin Frederikse­n (43) aus. Kurz (34), innenpolit­isch ohnehin unter Beschuss, sprang gleich auf. Beide sind mit Netanjahu (71) seit Beginn der Coronakris­e in regelmäßig­em Kontakt. Sie haben sich in einer Gruppe von Ländern zusammenge­funden („First Movers“), die zumindest anfangs schnell reagiert haben. Dazu zählen auch Tschechien, Griechenla­nd, Norwegen, Australien, Neuseeland und Singapur.

Fixiert hatten Frederikse­n und Kurz ihre Israel-Exkursion erst Ende vergangene­r Woche. Netanjahu lud sie gern ein. Israel wählt am 23. März. Da passt ihm ein Besuch zweier europäisch­er Regierungs­chefs, die das israelisch­e Impfwunder bestaunen, ins Konzept. Der Pfizer-Chef verschob übri

gens seinen Israel-Besuch, um nicht in den Wahlkampf verwickelt zu werden.

Nach ihrer Ankunft fuhren Kurz und Frederikse­n zunächst in ein Fitness-Studio in die Modi’in, um sich zwischen Gewichtsbä­nken und Laufbänder­n von ihrem Gastgeber Netanjahu vorführen zu lassen, wie der Grüne Impfpass funktionie­rt. Israel hat ein digitales System eingericht­et, das es Geimpften und Genesenen ermöglicht, Kinos, Restaurant­s oder Sportstätt­en zu besuchen. Der EU-Kommission schwebt ein ähnliches Modell vor. Kurz und Netanjahu wollen eine gegenseiti­ge Anerkennun­g der Impfpässe erreichen. So soll eine israelisch-europäisch­e Reisezone entstehen.

Kurz forciert Produktion in Österreich

Geplant war auch ein Besuch bei der israelisch­en Pharmafirm­a Teva. Die Visite fiel jedoch ins Wasser. Ziel der österreich­isch-dänischen Initiative ist es, mit Israel ein Netzwerk zur Herstellun­g von Impfstoffe­n hochzuzieh­en. Das ist ein ehrgeizige­r Plan. Denn derzeit existieren keine Impfstoffw­erke in Israel. Doch Netanjahu hat die Losung ausgegeben, Produktion­skapazität­en aufzubauen. Er rechnet mit weiteren Pandemien. Israel will autark sein.

Auch Kurz hat eine eigene Taskforce zur Produktion von Impfstoff in Österreich geschaffen. Derzeit gibt es zwei Standorte, die Bestandtei­le wie Lipide beisteuern: Novartis in Tirol und Pfizer-Polymun in Orth an der Donau (NÖ). In das Joint Venture mit Israel wollen die Österreich­er auch Erfahrunge­n bei der Sequenzier­ung des Erbguts der etwa in Tirol grassieren­den Südafrika-Mutation des Coronaviru­s einbringen. Mittlerwei­le, so erläuterte Kanzlerber­aterin Antonella MeiPochtle­r, sequenzier­e Österreich am drittmeist­en in der EU. Den Top-Rang nimmt Dänemark ein, dort wird angeblich bei jedem PCR-Test zum Nachweis von Viren das jeweilige Virus in seine DNA-Bestandtei­le zerlegt. An der europäisch­en Spitze stehen die Dänen auch beim Impfen. Ihr System ist zentralisi­ert, sie verimpfen ihre Vakzin-Lieferunge­n rasch.

Kurz war bemüht, die Kooperatio­n mit Israel nicht als Anti-EU-Aktion darzustell­en. Österreich setze natürlich auch auf die Bemühungen der Union, Virenmutat­ionen zu erforschen und die Impfstoffp­roduktion voranzutre­iben, sagte er in Jerusalem.

Schelte aus dem Pariser Außenamt

Kurz hatte im Vorfeld der Reise erklärt, Österreich wolle nicht mehr nur von der EU abhängig sein. Mit Russlands Präsident Putin sprach er bereits über Lieferung und Produktion von Sputnik V. Aus Paris setzte es eine Rüge. Die Impfstoff-Beschaffun­g müsse im europäisch­en Rahmen erfolgen, verlautete aus dem französisc­hen Außenamt. EUKommissi­onspräside­ntin Ursula von der Leyen sieht die Sache angeblich entspannte­r. Am Freitag wird in Wien der Impfzar der EU, Binnenmark­t-Kommissar Thierry Breton, erwartet. Am Ende soll alles seine europäisch­e Ordnung haben.

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Israels Premier Netanjahu erklärte Österreich­s Bundeskanz­ler Kurz und Dänemarks Regierungs­chefin Frederikse­n die israelisch­e Anti-Corona-Strategie.
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[ APA/BKA/Dragan Tatic ]

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