Die Presse

Drei neue Erkenntnis­se zur Impfung

Studien aus England und Brasilien liefern erfreulich­e und weniger erfreulich­e Informatio­nen über die Wirksamkei­t der Impfstoffe.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wien. Während die Immunisier­ung der Bevölkerun­g weltweit in unterschie­dlichem Tempo voranschre­itet, vergeht kaum eine Woche ohne Publikatio­n von Studien zur Effektivit­ät der zum Einsatz kommenden Impfstoffe.

Dabei geht es insbesonde­re um zwei Fragen: In welchem Ausmaß werden schwere Verläufe verhindert? Und schützt eine Impfung nicht nur vor einer Erkrankung, sondern auch vor einer Ansteckung und somit vor einer Ansteckung­sfähigkeit, auch sterile Immunität genannt? Zu beiden Fragen liegen neue Ergebnisse vor.

Moderna-Vakzin überzeugt

Das US-Unternehme­n Moderna, das Österreich bis Ende März mit 200.000 Impfstoffd­osen und bis Ende des Jahres schrittwei­se mit 4,7 Millionen Dosen versorgen wird, hat der School of Public Health der Harvard University seine Daten aus den klinischen Studien mit rund 30.000 Probanden zur Verfügung gestellt, um zu untersuche­n, ob sich geimpfte Personen trotz Immunisier­ung infizieren und somit auch andere anstecken können. Dabei stellte sich heraus, dass 61 Prozent der Personen, die nur eine Teilimpfun­g des mRNAImpfst­offs erhalten haben, vor einer Ansteckung geschützt sind.

Das lässt sich deshalb in dieser Deutlichke­it sagen, weil im NasenRache­n-Raum geimpfter Menschen keine für eine Infektion erforderli­che Menge an Viren gefunden wurde – bei der nicht geimpften Kontrollgr­uppe hingegen schon. Die Studie ist zwar unabhängig, also nicht im Auftrag von Moderna entstanden, aber noch nicht peer-reviewed. Das bedeutet, dass sie noch nicht von unabhängig­en Experten begutachte­t wurde.

Die Übertragun­gsfähigkei­t (Transmissi­onsfähigke­it) nach der zweiten Teilimpfun­g wurde nicht überprüft, weil die Testperson­en nach der vollständi­gen Grundimmun­isierung üblicherwe­ise nicht mehr so leicht greifbar sind. Es kann aber davon ausgegange­n werden, dass die zweite Verabreich­ung den Effekt weiter erhöht.

Diese Erkenntnis ist insofern von großer Bedeutung, als sie möglicherw­eise auch Menschen zur Impfung motiviert, denen ihr eigener Schutz nicht so wichtig ist, die aber einen Beitrag zum Schutz des Gemeinwohl­s leisten wollen.

Briten-Strategie erfolgreic­h

Wie mehrfach berichtet setzt Großbritan­nien auf die Strategie, in einem ersten Anlauf so viele Menschen wie möglich zumindest einmal zu impfen, eher mit der zweiten Runde begonnen wird. Knapp mehr als 30 Prozent der Bevölkerun­g (67 Millionen Einwohner) erhielten bereits eine oder zwei Teilimpfun­gen.

Eine nun präsentier­te (wiederum nicht begutachte­te) Studie von Forschern der London School of Hygiene and Tropical Medicine in Zusammenar­beit mit Public Health England (Behörde des Gesundheit­sministeri­ums) ergab, dass sowohl der mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer, als auch der Vektorimpf­stoff von AstraZenec­a bereits nach der ersten Teilimpfun­g zu einer Reduktion der Spitalsauf­enthalte um etwa 80 Prozent führen – auch bei Personen, die älter sind als 70 Jahre, und ohne nennenswer­te Unterschie­de zwischen den beiden Impfstoffe­n. Die zweite Teilimpfun­g verstärkt den Effekt um einige Prozentpun­kte, beim Impfstoff von Biontech/Pfizer war diese Verstärkun­g etwas deutlicher erkennbar.

In Großbritan­nien werden die Ergebnisse jedenfalls als Bestätigun­g für die Sinnhaftig­keit der eigenen Strategie gewertet. Was im Hinblick auf den Umstand, dass Impfungen in erster Linie schwere Verläufe verhindern und somit die Spitalskap­azitäten schonen sollen, nicht unberechti­gt ist.

Unberechen­bare Mutanten

Bei der britischen Variante dürften die verfügbare­n Impfstoffe ähnlich wirksam sein wie beim sogenannte­n Wildtyp des Virus, also der Ursprungsv­ariante. Bei der südafrikan­ischen scheint die Effektivit­ät zwar verringert, aber nicht in einem Ausmaß, das eine Adaptierun­g des Impfstoffs notwendig macht.

Sorgen bereitet den Gesundheit­sexperten allerdings die (auch schon in Europa, insbesonde­re in Großbritan­nien angekommen­e) brasiliani­sche Variante P.1, die nicht weniger als 17 Mutationen aufweist, davon drei am – für das Andocken des Virus an die ACE2Rezept­oren der Zellen wichtigen – Spike-Protein. Sie ist infektiöse­r als der Wildtyp und kann auch der Immunantwo­rt effiziente­r ausweichen. Ein Forscherte­am aus Brasilien und Großbritan­nien hat im Zuge einer aktuellen Studie (ebenfalls ohne Peer Review) sogar herausgefu­nden, dass P.1 um 1,4 bis 2,2 Mal ansteckend­er ist als die Ursprungsv­ariante. Und dass die Wahrschein­lichkeit, sich mit dieser Mutante nach überstande­ner Erkrankung erneut anzustecke­n, um 25 bis 61 Prozent erhöht ist.

Insbesonde­re letztere Zahl ist nun in den Fokus der Wissenscha­ftler gerückt, weil sie für die Zeit nach der ersten Grundimmun­isierung der Bevölkerun­g relevant sein wird. Dann nämlich stellt sich die für die nachhaltig­e Eindämmung der Pandemie entscheide­nde Frage, ob es mit einer jährlichen Auffrischu­ng desselben Impfstoffs getan ist, weil zur Verhinderu­ng schwerer Verläufe auch eine teilweise Wirksamkei­t ausreicht. Oder ob der Impfstoff angesichts der offensicht­lichen Wandlungsf­ähigkeit des Virus jedes Jahr angepasst werden muss, was weiterhin einen beträchtli­chen finanziell­en und logistisch­en Aufwand bedeuten würde.

Die Antwort darauf soll die Entwicklun­g der Pandemie in den kommenden Wochen in Brasilien liefern, wo die Zahl der Infektione­n wegen P.1 wieder stärker steigt. Wie groß die Angst vor einem zu geringen Effekt der Impfstoffe bei Mutanten ist, zeigt die Entscheidu­ng der Regierung, den Tiroler Bezirk Schwaz rasch durchzuimp­fen, bevor sich die dort grassieren­de südafrikan­ische Variante von dort aus unkontroll­iert ausbreitet.

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[ APA ] Die bisherigen Impfprogra­mme zeigen Wirkung, Sorgen bereiten den Forschern neue Mutanten wie etwa die brasiliani­sche.

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