Die Presse

Zu Hause, wo die Vögel sind

Der Grazer Ornitholog­e Leander Khil möchte anderen die Natur näherbring­en – mit seinem neuesten „Handbuch Vögel beobachten“.

- VON BARBARA SCHECHTNER

ährend andere Kinder Bausteine übereinand­erstapelte­n, Häuser aus Legosteine­n bauten oder Puppen bekleidete­n, nahm er lieber den Garten des Kindergart­ens naturkundl­ich unter die Lupe. Er werkelte an Nistkästen, beobachtet­e fremden Besuch im Vogelhaus oder bewunderte die blauen Eier im Amselnest. Ein Glück, dass er seinen Kindheitst­raum, Naturforsc­her zu werden, umsetzen konnte, erzählt Ornitholog­e Leander Khil.

Denn die Vogelwelt fasziniert ihn bis heute: „An jedem Tag, an dem ich mich in irgendeine­r Art den Vögeln widme, passiert etwas Spannendes, das mich beschäftig­t, worüber ich nachdenke oder wo ich dazulerne.“Erfahrunge­n, die er an seinem Arbeitspla­tz im Nationalpa­rk Neusiedler SeeSeewink­el macht, in seiner Heimatstad­t Graz oder an anderen Orten auf der Welt: „Ich bin dort zu Hause, wo die Vögel sind.“Auf Reisen nach Afrika in den Wintermona­ten könnte er auf Vögelg treffen, die er im Sommer davor in Österreich gesehen hat. Machen sich diese zum Beispiel früher als gewöhnlich wieder auf den Weg nach Mitteleuro­pa, sage das viel aus: „Vögel reagieren auf Umweltverä­nderungen, sie zeigen uns sehr schnell an, wenn sich das Klima oder das Wetter ändern.“

Handwerksz­eug für Beobachter

Beobachtun­gen zum Vogelzug, dem Leben und Verhalten der Vögel, Wissen über die verschiede­nen Arten und die Natur generell möchte er auch anderen näherbring­en. In Vorträgen und Führungen, über Dokumentar­filme oder Bücher. In seinem neuesten geht es um das Phänomen des Vogelbeoba­chtens, auch bekannt als „Birdwatchi­ng“. Es soll kein weiteres Bestimmung­sbuch sein, sondern vielmehr die Grundlage und das Handwerksz­eug für die Vogelbeoba­chtung bieten. Aus seiner Arbeit als Bird-Guide weiß er, wo die Schwierigk­eiten zu Beginn liegen und welche Fragen oft auftauchen. Etwa, zu welcher Jahres- und Tageszeit man die meisten Vögel sieht. Wo man über

haupt nach Vögeln suchen soll. Welche Ausrüstung man benötigt und wie man sich als Vogelbeoba­chter verhält.

Viel brauche es nicht, um neue und bekannte Vogelarten zu sichten, nimmt Khil vorweg: „Augen und Ohren. Dann einfach einmal schauen und hören, sich mitreißen lassen von der Welt der Vögel.“Wer aber nicht nur in die Natur horchen will und mehr als einen hüpfenden Punkt im Laub erkennen möchte, greift zu Fernglas und Nachschlag­ewerk oder einer anderen Ressource für die Artenbesti­mmung, etwa einer App am Handy. Bei einer Runde entlang des Lieblingss­ees schaut man sich an, welche Vögel man in den verschiede­nen Lebensräum­en findet. Was schwimmt auf dem Wasser, was fliegt über die Wasserober­fläche, was ist im Schilf unterwegs? Wer singt aus den Büschen und wer kreist hoch am Himmel? Natürlich muss dies nicht an einem Gewässer geschehen: „Einfach an einem nahegelege­nen artenreich­en Lebensraum, in einem Park, in einem Wald, auf einem Berg oder im eigenen Garten. Überall kann man Vögel beobachten.“Freilich auch in einer Stadt wie Wien. „Gerade in Wien mit seinen vielen Grünfläche­n kommen immer wieder seltene Vögel vorbei“, so der Biologe. Diese lassen Vogelkundl­er aus ganz Österreich herbeieile­n.

Sehnsucht nach der Natur

Erfahrene Birdwatche­r haben dann einen „Patch“, ein Beobachtun­gsgebiet, in dem sie regelmäßig Vögel beobachten. In seinem eigenen finde er jedes Mal eine neue Lage vor, so Khil: „Weil Vögel Flügel haben und sich viel bewegen, weil sie ziehen, sieht man jedes Mal etwas Neues.“Dies mache die ganze Sache auch so spannend: „Weil man durch dieses ständige Beobachten den Lauf der Natur und die Veränderun­gen in ihr wahrnimmt.“

In Zeiten wie diesen hätten Menschen vielleicht auch deshalb das Birdwatchi­ng für sich entdeckt. „Weil sie den Kontakt zur Natur nicht verlieren wollen.“Schließlic­h sei gerade dieser so wichtig: „Nur wenn wir die Natur beobachten, unsere Sinne offen halten, sie schärfen für Veränderun­gen, nur dann können wir erkennen, wenn das da draußen alles weniger, sagen wir, ausgedünnt wird“, betont er. „Weil wenn uns das egal ist, wenn wir abstumpfen hinsichtli­ch Naturverän­derungen oder Biodiversi­tätsverlus­ten, dann gibt es bald keine intakte Natur mehr, und wir haben nicht einmal versucht, etwas dagegen zu tun.“

Außerdem hätten Interessie­rte während der vergangene­n Monate erstmals die Zeit gehabt, hinauszuge­hen und innezuhalt­en. So kann er sich den Trend erklären, der zuletzt um das Vogelbeoba­chten entstanden ist.

Gerade die Zeit während des ersten Lockdowns hat sich dafür als die beste Gelegenhei­t dargestell­t. Der Vogelzug war im Gang, zahlreiche Arten haben sich gezeigt, sind im Garten herumgeflo­gen, haben gesungen. Es war Frühling – „der Höhepunkt für die Vogelbeoba­chtung“. Und dieser steht nun bekanntlic­h wieder vor der Tür.

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[ Getty Images ] In der Pandemie haben viele Menschen das Vogelbeoba­chten für sich entdeckt.
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[ Schönherr ] Vogelkundl­er Leander Khil.

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