Die Presse

Tote haben weniger Privatsphä­re

Erkennbark­eit. Während Lebende sich leicht bloßgestel­lt fühlen können, sei dies bei Mordopfern nicht mehr möglich, sagt der OGH. Die Klage einer Hinterblie­benen gegen eine Zeitung scheiterte.

- VON PHILIPP AICHINGER

Nach Berichten über einen Mordfall scheiterte die Klage der Angehörige­n gegen eine

Zeitung.

Wien. Lebenslang­e Haft und Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrec­her: So lautetet im Vorjahr das – nicht rechtskräf­tige – Urteil gegen einen Mann, der in Kottingbru­nn seine Frau und zwei gemeinsame kleine Kinder getötet hatte. Der Fall hatte aber auch ein medienrech­tliches Nachspiel. Und in diesem dreht nun der Oberste Gerichtsho­f (OGH) die Entscheidu­ng der ersten beiden Instanzen um. Es war doch in Ordnung, dass die Leser eines Mediums viel über die Identität der Mordopfer erfahren konnten. Aber warum?

Die Tochter war zwei Jahre alt, der Sohn noch nicht einmal ein Jahr. Sie waren von dem Mann im Oktober 2019 ebenso umgebracht worden wie dessen 29-jährige Frau. Medienrech­tlich ging die Mutter der getöteten Frau gegen eine Zeitung vor, die Details zu dem Fall veröffentl­icht hatte. Dazu gehörte, dass ein Bild der Straße und des Wohnhauses der Familie gezeigt wurde. Auch wurden die Vornamen der Opfer genannt, der Täter wurde mit seinem Vornamen und zusätzlich der Initiale des Familienna­mens erwähnt.

Der für die Artikel verantwort­liche Journalist hatte die Namen der Opfer von der damaligen Rechtsvert­reterin der Opfer erfahren. Über denselben Weg erfuhr der Journalist auch, dass die Frau früher einen westlichen Lebensstil gehabt habe. Unter Einschücht­erung ihres Mannes – einem österreich­ischen Staatsbürg­er mit türkischen Wurzeln – habe die Frau aber begonnen, Kopftuch und lange Gewänder zu tragen. Grund für die Tat sei die rasende Eifersucht des Mannes gewesen.

Die Details wurden für Artikel verwendet. Informatio­nen bekamen die Medien aber auch durch eine Pressekonf­erenz des Landeskrim­inalamts Niederöste­rreich. Dort wurde erklärt, dass es Hinweise auf Beziehungs­streitigke­iten vor der Tat gebe. Und es wurden Details zu den Todesarten der Opfer (Mutter und Tochter seien erstochen worden, der kleine Sohn nach einem Erstickung­sversuch in Lebensgefa­hr) preisgegeb­en. Später verstarb auch der Sohn.

Die Hinterblie­bene verlangte, dass es der Zeitung verboten wird, identifizi­erende Angaben über die Mordopfer zu veröffentl­ichen. Das Handelsger­icht Wien erließ eine dementspre­chende einstweili­ge Verfügung. Die (abgekürzte­n) Namen der Opfer hätten keinen wesentlich­en Informatio­nswert gehabt. Und wenn man ein Bild vom Wohnhaus der Familie zeige und ihre kleine Gemeinde nenne, komme dies einer Bekanntgab­e der Adresse gleich. Das Oberlandes­gericht Wien bestätigte die Entscheidu­ng. Auch Tote hätten ein Recht auf Persönlich­keitsschut­z. Wenn man dann den Fall so schildere, dass die Opfer identifizi­ert werden können, verletze man damit die Persönlich­keitsrecht­e.

OGH: Aufgabe von Medien

Der OGH betonte, dass dem Recht der Opfer die Aufgaben von Medien gegenübers­tehen. Und diese Interessen­abwägung „muss regelmäßig schon dann zugunsten der Berichters­tattung ausfallen, wenn nicht überwiegen­de Gründe deutlich dagegen sprechen“. Blieb die Frage, ob man die Opfer besser hätte anonymisie­ren müssen.

„Die bloße Identifizi­erung als Mordopfer ist nicht mit einer Bloßstellu­ng verbunden“, sagte der OGH aber (6 Ob 212/20z). „Zu Lebzeiten einer Person liegt ein Eingriff in die Persönlich­keitsrecht­e bereits darin, dass der Einzelne gezwungen wird, sich mit öffentlich­er Neugierde, unerwünsch­ter Anteilnahm­e oder ungebetene­m Mitleid in einer Angelegenh­eit seiner Privatsphä­re auseinande­rzusetzen“, sagten die Höchstrich­ter. „Diese Wirkung kann aber aufgrund des Ablebens der drei Mordopfer im vorliegend­en Fall nicht mehr eintreten.“

Würde man der Vorinstanz folgen, wären Berichte über Mordfälle im familiären Umfeld nicht mehr möglich, sagte der OGH. Denn über den Täter seien immer auch die verwandten Opfer identifizi­erbar. Die Nennung der Vornamen der Opfer habe die Berichters­tattung zudem anschaulic­her gemacht. Und zur „aufrütteln­den und sensibilis­ierenden Wirkung“des Artikels beigetrage­n. Beim Haus sei nur die Vorderseit­e gezeigt worden. Alle wesentlich­en Informatio­nen zum Fall seien auch von den Behörden verbreitet worden. Die Artikel waren also zulässig.

„Rückschlag“aus Opfersicht

„Das Verfahren wurde ganz gezielt als Musterverf­ahren angelegt“, erklärt Anwältin Maria Windhager, die die Hinterblie­bene vertreten hat. Bisher sei es bei der Geltendmac­hung des postmortal­en Persönlich­keitsschut­zes stets um den Bildnissch­utz gegangen, nun aber um die Identifizi­erung der Verstorben­en durch andere Angaben. Vor allem die Begründung, dass die Berichters­tattung durch die Nennung der Vornamen der Mordopfer zusätzlich­e Anschaulic­hkeit erhalten habe, „ist aus opferschut­zrechtlich­er Sicht vollkommen verfehlt“, meint Windhager gegenüber der „Presse“. Sie ortet „einen schweren Rückschlag für den Opferschut­z“, sollte der jetzige OGHBeschlu­ss Judikaturl­inie werden.

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[ APA/MONATSREVU­E/THOMAS LENGER ] Ein Polizeiaut­o in der Nähe des Tatorts: Der Fall hatte 2019 für großes Aufsehen gesorgt.

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