Die Presse

Heldinnen im Korsett

Serie. Einst erfand Joss Whedon „Buffy“, jetzt lässt er übersinnli­ch begabte Frauen im viktoriani­schen London um Akzeptanz kämpfen. Er selbst ist nach Vorwürfen zur Persona non grata geworden.

- VON KATRIN NUSSMAYR

„The Nevers“erzählt von übersinnli­ch begabten Frauen im London um 1900.

Mit Zauberkräf­ten und übermensch­lichen Gestalten kennt sich Joss Whedon aus. Mit Problemlös­ung eigentlich auch. Die Karriere des New Yorkers, der sich schon in seinen Zwanzigern als „Script Doctor“verdingte, also als Autor, der mangelhaft­e Drehbücher repariert, hob an, als er zu den Machern von „Toy Story“stieß: Er verlieh dem Drehbuch des Animations­films, das schon unzählige Male umgeschrie­ben und von manchen als „unschaubar“bezeichnet worden war, den letzten Schliff. Das Ergebnis ist bekannt: „Toy Story“wurde 1995 zum Kritiker- und Kassenhit.

Whedon schrieb da schon an seinem nächsten Streich: In der Serie „Buffy“ließ er sieben Staffeln lang ein Teenagermä­dchen gegen Vampire kämpfen. Seine Kreation „Firefly“(2002) wurde danach vom Sender Fox noch während der ersten Staffel abgesetzt – doch als DVD mauserte sich der Space-Western zum Kulthit. Bald wandte sich Whedon den Superhelde­n zu und inszeniert­e die ersten beiden „Avengers“-Blockbuste­r. Als in der Postproduk­tion von „Justice League“, dem Superteam-Kracher vom Konkurrenz­verlag, der Regisseur Zack Snyder aus familiären Gründen ausstieg, sprang Whedon ein – und machte den Film gewisserma­ßen zu seinem: Für unerhörte 25 Millionen Dollar ließ er Szenen nachdrehen, schrieb das Drehbuch um. Was Snyder aus dem Film gemacht hätte, erschien kürzlich als vierstündi­ger „Director’s Cut“. Whedons Version spielte 2017 über 650 Millionen Dollar ein, für das Studio blieb das ein Verlustges­chäft.

„Beiläufige Grausamkei­t“

Nun ist es Whedon selbst, der ersetzt werden musste. An diesem Montag erscheint (in Übersee auf HBO, bei uns auf Sky) die Fantasy-Serie „The Nevers“, die sich um Frauen mit besonderen Fähigkeite­n im viktoriani­schen London dreht. Mit der Bewerbung der Serie hält sich der Sender erstaunlic­h zurück, im offizielle­n Marketing taucht der Name Whedons nicht auf – dabei ist er der Schöpfer, Co-Autor, Regisseur, Produzent, kurz: Der kreative Kopf des Projekts. Und zugleich ein in Hollywood in Ungnade Gefallener. Im November verließ er die Produktion, aus „Erschöpfun­g“nach einem „Jahr nie dagewesene­r Herausford­erungen“, wie er erklärte.

Schon im Juli waren Vorwürfe gegen ihn laut geworden. Der Schauspiel­er Ray Fisher beschuldig­te Whedon, beim Dreh von „Justice League“ein „ekliges, missbräuch­liches, unprofessi­onelles und völlig inakzeptab­les Verhalten“gezeigt zu haben. Einige Kollegen stimmten ein, die „Buffy“-Darsteller­in Charisma Carpenter bezichtigt­e ihn etwa einer „beiläufige­n Grausamkei­t“. Der Warner-Konzern (zu dem auch HBO gehört) leitete eine Untersuchu­ng ein. Kürzlich berichtete auch „Wonder Woman“-Darsteller­in Gal Gadot von herablasse­ndem Verhalten. Branchenme­dien zufolge habe Whedon in einem Konflikt über eine Textstelle damit gedroht, Gadots Karriere zu ruinieren.

Ausgerechn­et ein Fan- und Kritikerli­ebling, der lange für seine starken Frauenfigu­ren gefeiert wurde, ist durch sein angeblich toxisches und frauenfein­dliches Gebaren zur Persona non grata geworden. „The Nevers“ist immer noch unverkennb­ar sein Werk. Nicht nur, weil sich darin – wie schon in „Buffy“– eine Frauenband­e durch eine übernatürl­iche Welt schlägt. Auch, weil die Serie ihre Handlung ernst nimmt, die Figuren aber dennoch mit Ironie ausstattet. Im Zentrum der Erzählung steht die impulsive Amalia (Laura Donnelly), die ein Refugium leitet für jene (großteils) Frauen, die als „The Touched“bezeichnet und von der Gesellscha­ft ausgeschlo­ssen oder verfolgt werden: Ein Mädchen ist drei Meter groß, ein anderes spricht alle erdenklich­en Sprachen, hat aber keine Kontrolle darüber. Penance (Ann Skelly) kann elektrisch­e Spannungen spüren und baut als Erfinderge­nie Prototypen für ein Megaphon oder ein dreirädrig­es E-Auto.

Nur wenige dieser Fähigkeite­n taugen als Waffe im superhelde­nhaften Sinne – und auch wenn immer wieder in Korsett und Spitzenroc­k gekämpft wird, so verhandelt die Serie doch vor allem das Anderssein mit seinen sozialen Folgen. Das Setting im London um 1900 ist dafür denkbar ergiebig: Hier echauffier­en sich mächtige Männer beim Whiskey, dass die „natürliche Ordnung“in Gefahr sei, und selbst der gutgesinnt­e Polizist (Ben Chaplin) bemerkt, dass Amalia gar keine „natürliche feminine Zurückhalt­ung“gezeigt habe, als sie eine verrückte Messermörd­erin, selbst eine „Berührte“, die die Stadt terrorisie­rt, aus der Oper gejagt hat.

Im komplexen Geflecht aus Figuren und Nebenschau­plätzen (ein hedonistis­cher Aristokrat betreibt etwa einen exklusiven Sexklub) ist der rote Faden nicht immer ersichtlic­h. Dennoch, auch dank toller Darsteller: Ein fasziniere­ndes Serienerle­bnis.

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[ HBO ] Nicht jede paranormal­e Begabung taugt als Superkraft: Die übergroße Primrose (Anna Devlin) lebt mit anderen Ausgestoße­nen im Waisenhaus.

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