Der einstige Handypionier erfindet sich neu
Buy or Sell. Nokia, der einst weltgrößte Handyproduzent, hat sich nach seinem beispiellosen Niedergang voll auf das Geschäft mit Netzwerkausrüstung konzentriert. Jetzt allerdings muss der Konzern erneut restrukturieren.
wien. 10.000 Stellen werden gestrichen, die Kosten drastisch, um 600 Millionen Euro, gesenkt: Das war die harte Botschaft von Nokia-Boss Pekka Lundmark, als er vor Kurzem die wenig erfreulichen Geschäftszahlen 2020 und den noch enttäuschenderen Ausblick für das laufende Jahr gegeben hat.
Hat der finnische Konzern denn überhaupt noch so viele Mitarbeiter, wird sich vielleicht manch ein Aktionär gefragt haben – schließlich ist es nicht das erste Mal, dass Nokia drastische Restrukturierungsmaßnahmen setzt. Die 155-jährige Unternehmensgeschichte ist geprägt von einem Auf und Ab, wie es seinesgleichen sucht.
Die Gummistiefel sind längst passe´ – obzwar noch immer die Marke Nokia auf Fahrradreifen prangt, die mit den Gummistiefeln – und Papiererzeugnissen – am Anfang der langen wechselhaften Unternehmensgeschichte standen. Vorbei, aber im Gegensatz zu den Regentretern nicht vergessen, sind die Handys, mit denen der finnische Konzern ab 1992 viele Jahre lang die Mobilkommunikation auf der ganzen Welt aufmischte. Nokia 3310 – Sie erinnern sich? Der „Knochen“war Kult, nicht weniger als 120 Millionen Stück davon wurden verkauft. Viele Jahre, von 1998 bis 2011 hielt Nokia das Szepter als weltgrößter Handyhersteller inne, die Finnen waren ein globaler Player. Wobei die letzten Jahre vor allem Geräte in die Dritte Welt verkauft wurden.
Aber das Blatt sollte sich jäh wenden: 2007, als Nokia mit einem Marktanteil von 41 Prozent unangefochten die Nummer eins der Handyproduzenten war, stellte ein gewisser Steve Jobs ein Gerät ohne Tasten vor – das erste iPhone. Der Absturz der Finnen, die die Entwicklung des Smartphones verschlafen hatten, nahm seinen Lauf und gipfelte 2013 im Verkauf der gesamten Handysparte an Microsoft. Der US-Software-Riese, der auch das Betriebssystem lieferte, sollte aber auch nicht glücklich werden, trotz Personalabbau und der Schließung von Fabriken. 2016 stellte Microsoft die Nokia-Handyproduktion komplett ein und gab die Lizenzen ab.
Nokia verschwand freilich nicht: Aufbauend auf die Fusion der Netzwerksparten von Nokia und Siemens im Jahr 2007 entstand ein neues Geschäftsfeld: Die Finnen lieferten Ausrüstung und Software für die Apples und Samsungs dieser Welt. Und dabei reüssierten sie auch. Mit der milliardenschweren Übernahme von Alcatel-Lucent 2016 stiegen sie zum weltgrößten Netzwerkausrüster auf.
5G kostet viel Geld
Aber die Konkurrenz, neben Ericsson vor allem die chinesische Huawei, schläft nicht. Weshalb sich die Finnen wieder einmal neu erfinden (müssen). Vor allem, wenn sie die von Lundberg angekündigten Ziele erreichen wollen: Technologieführerschaft vor allem beim künftigen Handystandard 5G, aber auch in den Sparten mobile Netzwerke und Cloud. Gerade für die 5G-Technologie, die das mobile Internet beschleunigt, virtuelle Realität und autonomes Fahren sowie das Internet der Dinge Realität werden lassen soll, braucht es viel Geld für Forschung und Entwicklung.
Außerdem ist nicht nur die chinesische Huawei trotz der Spionagevorwürfe inzwischen zur Nummer eins bei den Netzwerkausrüstern aufgestiegen. Der schwedische Mitbewerber Ericsson hat von den Problemen Huaweis in den USA und in Europa mehr profitiert und Nokia bei einigen wichtigen Aufträgen ausgestochen.
Die wenig berauschende Performance spiegelt sich in den jüngsten Geschäftszahlen von 2020 deutlich wider: Während sich der Umsatzrückgang von 23,30 Mrd. auf 21,87 Mrd. Euro noch in Grenzen hielt, sieht es unter dem Strich düster aus: Nach einem Minigewinn 2019 rutschte Nokia mit 2,5 Mrd. Euro tief in die roten Zahlen. Eine Dividende gibt es – wie schon für 2019 – nicht. Damit dürften die leidgeprüften Aktionäre schon gerechnet haben, weniger jedoch mit dem gedämpften Ausblick. Lundmark rechnet für das laufende Jahr mit einem Umsatz zwischen 20,6 und 21,8 Mrd. Euro, was maximal einer Stagnation entspricht. Die Schätzung vieler Analysten, die bei 21,3 Milliarden Euro liegt, deckt sich damit.
Das Geld für 5G (Lundmark: „Wir investieren, was nötig ist, um bei 5G zu gewinnen“) muss sich der Konzern aber erst verdienen: In den nächsten zwei Jahren kosten die Restrukturierungen inklusive dem Stellenabbau auf dann rund 80.000 Mitarbeiter nämlich 600 bis 700 Mio. Euro. Dem stehen geplante Einsparungen bis 2023 von 600 Millionen gegenüber. Lundmark, der im August des Vorjahres mit der Vorgabe, den schlingernden Konzern wieder fit zu machen, die Führung übernahm, muss also hart durchgreifen.
Starke Nerven sind gefragt
Werden die Aktionäre den Weg mitgehen? Wer seit vielen Jahren engagiert war, hat ohnedies gute Nerven bewiesen, denn vom einstigen Kurshoch im Jahr 1999 von 60 Euro ist das Papier Lichtjahre entfernt. Auch das 25-Euro-Niveau der Jahre 2007/08 hat die Aktie nie mehr erreicht. Seit Oktober 2020 pendelt der Kurs bei 3,30 bis 3,50 Euro – der von US-Kleinanlegern ausgelöste Kaufrausch Ende Jänner war nur ein kurzer Ausreißer nach oben. Im Fünf-Jahres-Vergleich verlor das Papier gut ein Drittel an Wert, im Vergleich zum Vorjahr verbesserte sich der Kurs aber um rund 23 Prozent.
Bloomberg führt aktuell 33 Analysten an, die Nokia am Radarschirm haben. Besonders positiv für die Kursentwicklung sind Bob Sanders von der Deutschen Bank sowie die Experten von AlphaValue/Baader und der Societ´e´ Gen´e-´ rale. Ihre Kursziele liegen bei 4,50 Euro. Die drei und auch Santander empfehlen die Aktie zum Kauf, Santander setzt das Kursziel sogar bei 5,30 Euro an. Die Konsensschätzung aller 33 Analysten liegt bei 3,67 Euro. Auch das entspräche einem leichten Plus. Schnelle Kurssprünge erwarten sie aber nicht.
Und übrigens: Nokia-Handys gibt es noch immer bzw. wieder: Nach dem Ausstieg von Microsoft übertrug Nokia die Lizenzrechte für Handys und Tablets an die ebenfalls finnische HMD Global, die von ehemaligen Nokia-Managern gegründet worden ist. Auch das 3310 gibt es wieder – als RetroVersion.