Straßburg schützt Geschiedene vor Gehaltsstrip in Grundbuch
Geschiedene müssen Scheidungsvergleiche nicht in allen Einzelheiten öffentlich zugänglich machen, entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Die österreichischen Gerichte hatten zu viel verlangt.
Datenschutz wird in Österreich großgeschrieben: Eine eigene Verfassungsbestimmung soll ihn schon seit 1978 als Grundrecht garantieren, seit bald drei Jahren soll die Datenschutz-Grundverordnung europaweit ein einheitliches Schutzniveau bieten. In der Praxis hapert’s aber manchmal gewaltig, wie ein Fall zeigt, der Österreich jetzt sogar eine Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg eingetragen hat.
„Liebscher gegen Österreich“heißt der Fall, zu dem der EGMR vorige Woche sein Urteil gesprochen hat. Christoph Liebscher ist Rechtsanwalt in Wien, seine damalige Frau und er ließen sich im Mai 2013 einvernehmlich scheiden. Dabei vereinbarten die beiden, dass ein gemeinsamer Liegenschaftsbesitz ganz auf die Frau übergehen sollte. Die grundbücherliche Übertragung sollte auf Basis eines Scheidungsfolgenvergleichs erfolgen; ein solcher ist eine notwendige Bedingung einer einvernehmlichen Trennung.
Alimente für zwei Kinder
Darin waren aber auch alle anderen Konsequenzen der Scheidung festgehalten, sowohl was das persönliche Verhältnis zu den beiden minderjährigen Kindern anging als auch die zu zahlenden Alimente. Außerdem enthielt der vor Gericht geschlossene g Vergleich einen Über blick über Liebschers Vermögen und seine Einkünfte. Dass diese Unterlage in die (digitale) Urkundensammlung des Grundbuchs kommen und dort für jeden einsehbar werden sollte – man könnte es auch Gehaltsstriptease nennen –, behagte Liebscher gar nicht. Er konnte die Scheidungsrichterin am Bezirksgericht Döbling dafür gewinnen, eine Teilausfertigung des Vergleichs zu erstellen, die lediglich das Kapitel „Immobilien“enthielt. Damit wollte er beim selben Gericht, nur eben als Grundbuchsgericht, die Einverleibung der gewünschten Änderungen erreichen.
Das Gericht verweigerte jedoch die gewünschte Eintragung im Grundbuch. Der Auszug aus dem Scheidungsvergleich sei nicht ein Original, wie es das Grundbuchsgesetz verlange. Damit könne es nicht überprüfen, ob der Vergleich nicht doch an anderer Stelle Passagen enthalte, die der Änderung des Grundbuchs entgegenstehen könnten.
Liebscher erhob dagegen Rekurs an das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien. Er sah sich nicht nur im Recht verletzt, über sein Eigentum zu verfügen, sondern auch im Recht auf Schutz der Privatsphäre und auf Datenschutz (was im Übrigen auch für seine Kinder gelte). Es gebe keinen legitimen Grund, seine privaten Daten zu veröffentlichen, und kein öffentliches Interesse an deren Kenntnis, das Vorrang hätte vor dem Schutz seiner Privatsphäre. Doch auch die zweite Instanz vermisste das Original. Und meinte: Artikel 8 der Menschenrechtskonvention und das Grundrecht auf Datenschutz könnten schon deshalb nicht verletzt sein, weil der Eingriff auf einer gesetzlichen Grundlage in Gestalt des Grundbuchsgesetzes beruhe.
In drei Instanzen gescheitert
Im selben Sinn wies auch der Oberste Gerichtshof Liebschers außerordentlichen Revisionsrekurs zurück. Das Höchstgericht ergänzte noch, dass die Familienrichterin nicht dem Grundbuchsgericht in bindender Form vorgeben könne, ob und dass eine Teilausfertigung wirklich alle Vereinbarungen zum Thema Liegenschaften enthalte (5 Ob 125/16t).
Also konnte sich Liebscher, beraten durch Anwältin Johanna Graisy, nur noch an den EGMR wenden (dass er es auch mit einem Parteienantrag beim Verfassungsgerichtshof hätte versuchen müssen, wie dann die Regierung argumentieren sollte, konnte Straßburg nicht finden). Und erst dort fand er mit seinem Anliegen Gehör: Der EGMR wirft allen drei innerstaatlichen Instanzen vor, sich nur auf das Gesetz berufen zu haben und in keiner Weise geprüft zu haben, ob der Eingriff in die Privatsphäre verhältnismäßig ist und wie der Antragsteller in seinem Recht auf Privatleben nach Artikel 8 hätte geschützt werden können. Darin sieht der Gerichtshof einen Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention – Österreich hat damit seine Verpflichtung verletzt, die Achtung des Privatlebens durch seine Gesetzgebung und Vollziehung sicherzustellen.
Was folgt aus dem Straßburger Urteil (Beschwerde Nr. 5434/17)? Österreich muss Liebscher 1874 Euro an Prozesskosten ersetzen, nicht mehr. Höhere„ Rechts beratungs kosten “, die der Anwalt ebenfalls geltend machte, seien nicht ausreichend aufgeschlüsselt gewesen. Wichtiger noch: Die Grund buchs gerichte werden von Fall zu Fall prüfen müssen, ob S ch ei dungs folgen vergleiche wirklich vollständig in die öffentlich einsehbare Urkundensammlung aufgenommen werden müssen – oder ob nicht doch eine Teilausfertigung genügt. Und wenn das nicht funktioniert, muss wohl der Gesetzgeber tätig werden.