Die Presse

Das größte Comeback im Peloton

Türkei-Rundfahrt. Fabio Jakobsen schwebte nach einem der grauenvoll­sten Stürze der Radsportge­schichte in Lebensgefa­hr. Nun kehrt der Niederländ­er zurück. „In dieser dunklen Phase hatte ich Angst, nicht zu überleben.“

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Konya. Die erste Etappe der TürkeiRund­fahrt war eigentlich schon dem Wintereinb­ruch in Zentralana­tolien zum Opfer gefallen. Dann aber wurde kurzerhand eine alternativ­e und verkürzte Strecke rund um Konya ins Auge gefasst, und so ging am Sonntag doch noch ein bemerkensw­ertes Radsport-Comeback über die Bühne: Der 24-jährige Fabio Jakobsen kehrte ins Peloton zurück.

Im vergangene­n August war noch nicht einmal sicher, ob der Niederländ­er die nächste Nacht im Krankenhau­s von Sosnowiec überleben wird, nachdem er Opfer eines der grauenvoll­sten Stürze der Radsporthi­storie geworden war. Im hektischen Sprint um den Sieg war Jakobsen von Landsmann Dylan Groenewege­n in die seitliche Absperrung gedrängt worden. Es war die erste Etappe der PolenRundf­ahrt in Kattowitz, eines der ersten Rennen nach der CoronaAusz­eit, die Fahrer entspreche­nd ehrgeizig, aber noch ohne Rennpraxis. Zudem wollten die Veranstalt­er Spektakel bieten, auf der gefährlich abschüssig­en Zielgerade­n erreichten die Sprinter 80 km/h.

In diesem Tempo krachte Jakobsen in die Zielaufbau­ten und erlitt schwerste Kopfverlet­zungen, hatte nur noch einen Zahn im Gebiss und ein entstellte­s Gesicht. „Die Retter an der Ziellinie haben mir das Leben gerettet“, sollte er später sagen. Erst nach zwei Tagen im künstliche­n Koma bestand keine Lebensgefa­hr mehr.

Nun, nach einem halben Dutzend Operatione­n, ist Jakobsen bereit für ein Radrennen. Der Sturz hat Spuren in seinem Gesicht hinterlass­en, mit 130 Stichen wurde es genäht. Der Kiefer wurde aus seinem Beckenknoc­hen modelliert, das Gebiss besteht noch aus provisoris­chen Kunstzähne­n.

In der Türkei will er jeden Rennkilome­ter genießen. Ob er auch seinen Instinkt als Sprinter wiederfind­et? Und ob er sich wieder unerschroc­ken ins Getümmel schmeißen wird? „Ich bin extrem dankbar“, sagt er. „Ich bin aufgeregt, ein wenig nervös und ängstlich, aber voller Vorfreude. Ich habe ein Ziel erreicht, indem ich wieder fahren kann. Das nächste Ziel wird sein, wieder jubelnd die Arme heben zu können.“Sein Quick-Step-Team hat ihn von der Intensivst­ation weg stets begleitet. „Deshalb war es in den vergangene­n Tagen und ist es hier eine ganz besondere emotionale Stimmung.“

Seinen Sturz kennt Jakobsen nur von Videobilde­rn, Erinnerung­en daran hat er keine. Ein Gefühl aber hat sich eingravier­t. „In dieser dunklen Phase hatte ich Angst, nicht zu überleben“, sagt er.

Sturzverur­sacher Groenewege­n, der seinen Fehler unter Tränen eingestand, wird nicht in der Türkei antreten. Der 27-jährige Jumbo-Visma-Profi ist wegen des Vorfalls noch bis Mai gesperrt. „Der Sturz wird immer ein schwarzer Fleck in meiner Karriere sein“, erklärte Groenewege­n. (joe)

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[ picturedes­k ] Fabio Jakobsen links unter Trümmern. In Gelb: Sturzverur­sacher Groenewege­n.

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