Alles, was Neue Musik kann, wurde in der Schweiz gebündelt
Vor einigen Tagen starb der Berner Komponist Rudolf Kelterborn, einer der vielseitigsten Vertreter der Moderne wie der Postmoderne. Von Fall zu Fall immer wieder ein anderer Komponist.
Er war einer der führenden Komponisten der Schweiz. Außerhalb der eidgenössischen Grenzen kannten seinen Namen zwar nur Fachleute, aber Rudolf Kelterborn war dennoch mehr als ein musikalischer Lokalmatador: Als vielseitiger, allen neuen Strömungen gegenüber offener und neugieriger Zeitgenosse schuf er einen OEuvre-Katalog, der als akustischer Spiegel der europäischen Moderne und Postmoderne nach 1945 verstanden werden kann.
In seiner Jugend war Kelterborn, der unter anderem bei Boris Blacher und Wolfgang Fortner studiert hatte, selbstverständlich bei den Ferienkursen in Darmstadt dabei und informierte sich sozusagen live über die Möglichkeiten der musikalischen Avantgarde, um sie in seinen eigenen Werken für sich zu adaptieren.
Vom Neoklassizismus Strawinsky’scher Prägung fand er daher rasch zu Techniken, wie sie die Wiener Schule um Arnold Schönberg vorgab: Serialismus, später Aleatorik und elektroakustisch generierte Effekte band er in seine Musik ein. Wie der ältere Ernst Krenek lässt sich in Kelterborns Schaffen keine stetige Entwicklung, kein „Fortschritt“ablesen, eher eine Bewegung in konzentrischen Kreisen um ein Zentrum, das in der Fantasie des Komponisten lag.
Für jedes neue Stück galt es, die Visionen in einer ihnen adäquaten Technik umzusetzen. Die Moderne gab ihm dazu die Mittel in die Hand, die Postmoderne eröffnete die Freiheit, sie mit der großen europäischen Tradition zu verbinden – und Kelterborn war über viele Jahre hin durchdrungen von dem Gedanken, sein diesbezüglich erworbenes, eminentes handwerkliches Geschick an die folgenden Generationen weiterzugeben.
Als Lehrer wurde er daher für die Schweizer Musikszene eine der Leitfiguren. Wie er selbst aus spontaner Eingebung zu schaffen gewohnt war, um sich zur Realisierung die Mittel zu wählen, die dazu nötig waren, versuchte er auch in seinen Schülern, deren Kreativität anzustacheln und sie zu ermuntern, eigene Lösungen zu suchen. Keiner sollte komponieren „wie Kelterborn“, schon deshalb nicht, weil es nicht nur einen Kelterborn gab, sondern von Fall zu Fall immer wieder einen anderen.
Die Suche nach Neuem trieb Kelterborn nicht nur als Komponist und Lehrer voran, sondern auch als Veranstalter. Mit Heinz Holliger und Jürg Wyttenbach gründete er das Basler Musikforum, eines der wichtigsten Foren für Neue Musik in der Schweiz.
In seiner Zeit als Dozent an der Zürcher Musikhochschule ging der Auftrag zur Komposition einer Oper zur Eröffnung des renovierten Zürcher Opernhauses selbstverständlich an ihn: Die Uraufführung der Tschechow-Vertonung „Der Kirschgarten“markierte 1984 einen Höhepunkt in der Laufbahn dieses Musikers, der kürzlich im 90. Lebensjahr verstarb.