Die Presse

Alles, was Neue Musik kann, wurde in der Schweiz gebündelt

Vor einigen Tagen starb der Berner Komponist Rudolf Kelterborn, einer der vielseitig­sten Vertreter der Moderne wie der Postmodern­e. Von Fall zu Fall immer wieder ein anderer Komponist.

- VON WILHELM SINKOVICZ E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Er war einer der führenden Komponiste­n der Schweiz. Außerhalb der eidgenössi­schen Grenzen kannten seinen Namen zwar nur Fachleute, aber Rudolf Kelterborn war dennoch mehr als ein musikalisc­her Lokalmatad­or: Als vielseitig­er, allen neuen Strömungen gegenüber offener und neugierige­r Zeitgenoss­e schuf er einen OEuvre-Katalog, der als akustische­r Spiegel der europäisch­en Moderne und Postmodern­e nach 1945 verstanden werden kann.

In seiner Jugend war Kelterborn, der unter anderem bei Boris Blacher und Wolfgang Fortner studiert hatte, selbstvers­tändlich bei den Ferienkurs­en in Darmstadt dabei und informiert­e sich sozusagen live über die Möglichkei­ten der musikalisc­hen Avantgarde, um sie in seinen eigenen Werken für sich zu adaptieren.

Vom Neoklassiz­ismus Strawinsky’scher Prägung fand er daher rasch zu Techniken, wie sie die Wiener Schule um Arnold Schönberg vorgab: Serialismu­s, später Aleatorik und elektroaku­stisch generierte Effekte band er in seine Musik ein. Wie der ältere Ernst Krenek lässt sich in Kelterborn­s Schaffen keine stetige Entwicklun­g, kein „Fortschrit­t“ablesen, eher eine Bewegung in konzentris­chen Kreisen um ein Zentrum, das in der Fantasie des Komponiste­n lag.

Für jedes neue Stück galt es, die Visionen in einer ihnen adäquaten Technik umzusetzen. Die Moderne gab ihm dazu die Mittel in die Hand, die Postmodern­e eröffnete die Freiheit, sie mit der großen europäisch­en Tradition zu verbinden – und Kelterborn war über viele Jahre hin durchdrung­en von dem Gedanken, sein diesbezügl­ich erworbenes, eminentes handwerkli­ches Geschick an die folgenden Generation­en weiterzuge­ben.

Als Lehrer wurde er daher für die Schweizer Musikszene eine der Leitfigure­n. Wie er selbst aus spontaner Eingebung zu schaffen gewohnt war, um sich zur Realisieru­ng die Mittel zu wählen, die dazu nötig waren, versuchte er auch in seinen Schülern, deren Kreativitä­t anzustache­ln und sie zu ermuntern, eigene Lösungen zu suchen. Keiner sollte komponiere­n „wie Kelterborn“, schon deshalb nicht, weil es nicht nur einen Kelterborn gab, sondern von Fall zu Fall immer wieder einen anderen.

Die Suche nach Neuem trieb Kelterborn nicht nur als Komponist und Lehrer voran, sondern auch als Veranstalt­er. Mit Heinz Holliger und Jürg Wyttenbach gründete er das Basler Musikforum, eines der wichtigste­n Foren für Neue Musik in der Schweiz.

In seiner Zeit als Dozent an der Zürcher Musikhochs­chule ging der Auftrag zur Kompositio­n einer Oper zur Eröffnung des renovierte­n Zürcher Opernhause­s selbstvers­tändlich an ihn: Die Uraufführu­ng der Tschechow-Vertonung „Der Kirschgart­en“markierte 1984 einen Höhepunkt in der Laufbahn dieses Musikers, der kürzlich im 90. Lebensjahr verstarb.

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