Romeo auf der Belcanto-Idealspur
Oper in Linz. Die coronabedingte „Netzbühne“des Linzer Landestheaters widmet sich erstmals der Oper: Bellinis „Capuleti e i Montecchi“lieben und leiden ab sofort online.
In Krisenzeiten soll die Kunst, anders als banale Politiker-Worthülsen, echte Zuversicht ausstrahlen. Unseren „Kulturtankern“, wie sie nur im Boulevard abfällig genannt werden, kommen neue Funktionen zu. Innovation ist gefragt, neue (mediale) Formate und Rezepte wollen erfunden werden. Während die einen „liegen und besitzen“– man muss nur über den Wiener Karlsplatz fahren, um sie mit Fafner ihr „Lasst mich schlafen“brummen zu hören – scheinen andere sich förmlich zu zersprageln, die Neue Oper Wien etwa oder die Grazer Styriarte. Schließlich seien allen guter Wille und beste Absicht unterstellt, wenn die Resultate mitunter auch weniger imponieren.
Große Oper in Linz: ein endloses Thema, peinlich belastet (hier sollte doch die Kulturhauptstadt des „tausendjährigen Reiches“entstehen), dazu die freche Herausforderung, einen kolossalen Bellini-Schinken stemmen zu müssen. Was für eine Premiere im November 2020 geplant und probiert war, wurde nun quasi im Rechaud aufgeköchelt und war am Samstagabend im Stream mitzuverfolgen.
Was noch einige Zeit online abrufbar ist, hat mit dem Tagesgeschäft des Kritikers vielleicht nur bedingt zu tun. Doch abseits der Verteilung guter oder schlechter Noten transportiert ein solches mediales Produkt eine Unmenge von Subtext, der jedenfalls räsonierenswert ist. In der Produktion steckt wochenlange Knochenarbeit und eine Vielzahl von Energien – so ist es das gute Recht der Künstler, die Ergebnisse ihres Bestrebens an die Öffentlichkeit zu bringen. Das Linzer Landestheater hat zu diesem Zweck seine „Netzbühne“installiert. Dort ging’s nun erstmals auch um Musiktheater.
Theaterklischees statt Shakespeare
Von besagter „I Capuleti e i Montecchi“-Produktion wurde am 3. April ein Video erstellt. Allemal gilt der Wille fürs Werk, wenn der Zugang auch recht beschwerlich ist. Niemand wird eine solche Vorstellung über einen akustisch minderen Laptop verfolgen wollen. Doch auch ein Großbildschirm, gekoppelt mit sündteurer Audio-Anlage, kann das Publikum nicht recht heranführen ans darstellerische und musikalische Geschehen. Die Tonqualität ist erbärmlich, die Optik bescheiden bis belanglos, bedient doch die Inszenierung von Gregor Horres brav und ideenlos alle Klischees der berühmtesten Liebesgeschichte der Weltliteratur, ist aber weder eine mutige Aktualisierung noch eine professionell gearbeitete Version „guten, alten“Theaters.
Horres ist ein Meister des sprichwörtlichen Holzhammers, was er vor Jahren bereits in seinem Linzer „Eugen Onegin“demonstrierte, als er während Tatjanas Briefszene den Titelhelden als Traumfigur vom Schnürboden baumeln ließ.
Weniger provinziell sollten die musikalischen Resultate ausgefallen sein, wären sie nur besser übertragen worden: Die Qualitäten des Bruckner-Orchesters waren in Ansätzen (bei Cello- und Klarinetten-Soli) mitzubekommen, der kostbare Bellini-Klang, der so fragil wie emotionsgeladen wirken müsste, entlud sich unter Enrico Calesso nur hemdsärmelig und hausbacken, als hätte Lortzing über die Schulter geschaut, während der Komponist auf der Idealspur der „unendlichen Melodie“unterwegs war. Selbst Wagner musste das bei aller Aversion gegen „welschen Tand“neidlos anerkennen.
Den Erfolgsgrad eines BelcantoAbends bestimmen freilich im Normalfall Qualitätsstimmen. In dieser sonderbar eingedampften „Romeo und Julia“–Version ist Verlass auf das Linzer Hausensemble. Ilona Revolskayas Julia liefert akkurat die geforderten Koloraturtöne, ohne damit der Figur auch nur eine Ahnung von Profil zu verleihen. So bleibt es der Darstellerin des Romeo vorbehalten, die Aufführung zu dominieren: Die Katalanin Anna Al`as i Jove,´ wiewohl als ein mit Pistole herumfuchtelnder Halbstarker unvorteilhaft kostümiert, verfügt für die einstige Glanzrolle der Agnes Baltsa über die nötige darstellerische Präsenz und beeindruckende vokale Kompetenz, schafft den Spagat zwischen hingebungsvoller Liebe und dezidiert politisch-gesellschaftlichem Engagement. Ein starker Auftritt mit Attacke und Intensität.