Die Presse

Romeo auf der Belcanto-Idealspur

Oper in Linz. Die coronabedi­ngte „Netzbühne“des Linzer Landesthea­ters widmet sich erstmals der Oper: Bellinis „Capuleti e i Montecchi“lieben und leiden ab sofort online.

- VON WALTER GÜRTELSCHM­IED

In Krisenzeit­en soll die Kunst, anders als banale Politiker-Worthülsen, echte Zuversicht ausstrahle­n. Unseren „Kulturtank­ern“, wie sie nur im Boulevard abfällig genannt werden, kommen neue Funktionen zu. Innovation ist gefragt, neue (mediale) Formate und Rezepte wollen erfunden werden. Während die einen „liegen und besitzen“– man muss nur über den Wiener Karlsplatz fahren, um sie mit Fafner ihr „Lasst mich schlafen“brummen zu hören – scheinen andere sich förmlich zu zerspragel­n, die Neue Oper Wien etwa oder die Grazer Styriarte. Schließlic­h seien allen guter Wille und beste Absicht unterstell­t, wenn die Resultate mitunter auch weniger imponieren.

Große Oper in Linz: ein endloses Thema, peinlich belastet (hier sollte doch die Kulturhaup­tstadt des „tausendjäh­rigen Reiches“entstehen), dazu die freche Herausford­erung, einen kolossalen Bellini-Schinken stemmen zu müssen. Was für eine Premiere im November 2020 geplant und probiert war, wurde nun quasi im Rechaud aufgeköche­lt und war am Samstagabe­nd im Stream mitzuverfo­lgen.

Was noch einige Zeit online abrufbar ist, hat mit dem Tagesgesch­äft des Kritikers vielleicht nur bedingt zu tun. Doch abseits der Verteilung guter oder schlechter Noten transporti­ert ein solches mediales Produkt eine Unmenge von Subtext, der jedenfalls räsonieren­swert ist. In der Produktion steckt wochenlang­e Knochenarb­eit und eine Vielzahl von Energien – so ist es das gute Recht der Künstler, die Ergebnisse ihres Bestrebens an die Öffentlich­keit zu bringen. Das Linzer Landesthea­ter hat zu diesem Zweck seine „Netzbühne“installier­t. Dort ging’s nun erstmals auch um Musiktheat­er.

Theaterkli­schees statt Shakespear­e

Von besagter „I Capuleti e i Montecchi“-Produktion wurde am 3. April ein Video erstellt. Allemal gilt der Wille fürs Werk, wenn der Zugang auch recht beschwerli­ch ist. Niemand wird eine solche Vorstellun­g über einen akustisch minderen Laptop verfolgen wollen. Doch auch ein Großbildsc­hirm, gekoppelt mit sündteurer Audio-Anlage, kann das Publikum nicht recht heranführe­n ans darsteller­ische und musikalisc­he Geschehen. Die Tonqualitä­t ist erbärmlich, die Optik bescheiden bis belanglos, bedient doch die Inszenieru­ng von Gregor Horres brav und ideenlos alle Klischees der berühmtest­en Liebesgesc­hichte der Weltlitera­tur, ist aber weder eine mutige Aktualisie­rung noch eine profession­ell gearbeitet­e Version „guten, alten“Theaters.

Horres ist ein Meister des sprichwört­lichen Holzhammer­s, was er vor Jahren bereits in seinem Linzer „Eugen Onegin“demonstrie­rte, als er während Tatjanas Briefszene den Titelhelde­n als Traumfigur vom Schnürbode­n baumeln ließ.

Weniger provinziel­l sollten die musikalisc­hen Resultate ausgefalle­n sein, wären sie nur besser übertragen worden: Die Qualitäten des Bruckner-Orchesters waren in Ansätzen (bei Cello- und Klarinette­n-Soli) mitzubekom­men, der kostbare Bellini-Klang, der so fragil wie emotionsge­laden wirken müsste, entlud sich unter Enrico Calesso nur hemdsärmel­ig und hausbacken, als hätte Lortzing über die Schulter geschaut, während der Komponist auf der Idealspur der „unendliche­n Melodie“unterwegs war. Selbst Wagner musste das bei aller Aversion gegen „welschen Tand“neidlos anerkennen.

Den Erfolgsgra­d eines BelcantoAb­ends bestimmen freilich im Normalfall Qualitätss­timmen. In dieser sonderbar eingedampf­ten „Romeo und Julia“–Version ist Verlass auf das Linzer Hausensemb­le. Ilona Revolskaya­s Julia liefert akkurat die geforderte­n Koloraturt­öne, ohne damit der Figur auch nur eine Ahnung von Profil zu verleihen. So bleibt es der Darsteller­in des Romeo vorbehalte­n, die Aufführung zu dominieren: Die Katalanin Anna Al`as i Jove,´ wiewohl als ein mit Pistole herumfucht­elnder Halbstarke­r unvorteilh­aft kostümiert, verfügt für die einstige Glanzrolle der Agnes Baltsa über die nötige darsteller­ische Präsenz und beeindruck­ende vokale Kompetenz, schafft den Spagat zwischen hingebungs­voller Liebe und dezidiert politisch-gesellscha­ftlichem Engagement. Ein starker Auftritt mit Attacke und Intensität.

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