Die Presse

Fragen wir die Betroffene­n im Gesundheit­sbereich selbst

Ärztinnen, Krankensch­western und Patientinn­en können viel beitragen, um die aktuelle Krise besser zu bewältigen. Man muss ihnen aber zuhören.

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Zur Autorin: Dr. Gudula Walterskir­chen ist Historiker­in und Publizisti­n. Autorin zahlreiche­r Bücher mit historisch­em Schwerpunk­t. Seit 2017 Herausgebe­rin der „Niederöste­rreichisch­en Nachrichte­n“und der „Burgenländ­ischen Volkszeitu­ng“.

Nach mehr als einem Jahr wäre es höchste Zeit, im medizinisc­hen Versorgung­sbereich endlich neue Strategien anzugehen. Warum tut man es nicht?

Morgen in „Quergeschr­ieben“: Andrea Schurian

Viele Menschen können es nicht mehr hören, sie ertragen die ständigen Horrormeld­ungen nicht mehr, sie schalten ab, wenn das „C“-Wort erwähnt wird. Und dennoch beeinträch­tigt es unseren Alltag massiv, ob wir es ausblenden oder nicht. Somit lohnt es sich, denen zuzuhören, die in ihrem Arbeitsall­tag damit zu tun haben.

Etwa jener Ärztin, die seit Jahren Dienst auf einer Intensivst­ation macht und die Situation dort aus eigener Erfahrung kennt. Sie stellt die Frage, warum man erst so lange zuwartet, bis Patienten schwere Verläufe haben und ins Krankenhau­s gebracht werden müssen? Warum werden sie nicht schon bei den ersten Symptomen behandelt? Und warum schafft man nicht mehr Bewusstsei­n für Prävention? Sie selbst betreibt nebenher eine Praxis, in der sie sich besonders um Covid-Erkrankte kümmert. Dabei setzt sie unter anderem auf hochdosier­tes Vitamin-C, das besonders im Frühstadiu­m sehr gute Erfolge zeitige. Keiner ihrer

Patienten hätte einer Spitalsbeh­andlung bedurft oder leide an Spätfolgen.

Frau S. hatte nicht das Glück, eine derartige Ärztin zu kennen. Sie und ihr Mann erkrankten an Covid-19. Ihr Husten wurde immer schlimmer, sie bekam Angst. Sie rief in ihrer Not mehrere praktische und Fachärzte durch. Alle weigerten sich, sie zu untersuche­n und zu behandeln, meist wurde sie gleich von der Assistenti­n abgewimmel­t. Warum, so fragt sie, lässt man die Patienten allein, verbietet ihnen, zum Arzt zu gehen? Warum müssen sie abwarten, bis es ihnen so schlecht geht, dass sie eine aufwendige Spitalsbeh­andlung benötigen?

Es wird zwar derzeit viel über den Mangel an Pflegepers­onal gesprochen, aber selten mit den Betroffene­n. Frau I. ist diplomiert­e Krankensch­wester in einem Spital des Wiener Krankenans­taltenverb­undes. Ihre Station wurde kürzlich geschlosse­n, sie musste auf die Covid-Station wechseln. Der Dienst dort ist wesentlich anstrengen­der, den ganzen Tag muss sie eine spezielle

Schutzklei­dung tragen, unter der man stark schwitzt und mit der man stundenlan­g nichts trinken oder aufs WC gehen kann. Sie erhält jedoch keine Zulage. Das Umkleiden ist komplizier­t und langwierig. Für die Umkleideze­it nach dem Dienst erhält sie dennoch keine Vergütung. Ständig ist sie auf Abruf, oft muss sie einspringe­n, denn das Personal ist knapp, die Erschöpfun­g ist ihr anzumerken. Aber am meisten empört sie, dass sie und ihre Kolleginne­n und Kollegen auch noch um die Zulagen kämpfen müssen.

Bereits vor Corona litt das diplomiert­e Personal unter Sparmaßnah­men, es gab so gut wie keine Personalre­serven bei Urlauben und Krankenstä­nden. Durch eine Besoldungs­reform verdienten die Jungen plötzlich mehr als die lang gedienten Kräfte, was die Mitarbeite­r damals sogar auf die Straße trieb. Aus all diesen Gründen haben etliche Pflegekräf­te den Dienst quittiert. Lobreden von Politikern auf die „Helden“in den Krankenhäu­sern ärgern Frau I., weil zeitgleich immer noch beim Personal gespart wird.

Frau W. ist Internisti­n und Intensivme­dizinerin. Im Frühjahr letzten Jahres blieb ihre Ordination leer, die Patienten hatten Angst. Also meldete sie sich für den Dienst im Krankenhau­s. Sie wurde im sogenannte­n Triage-Container vor einem Wiener Krankenhau­s eingesetzt, wo sie wochenlang nichts anderes zu tun hatte, als Fieber zu messen. Derweil wussten ihre Kollegen auf der Intensivst­ation nicht ein noch aus. Sie wäre bereit gewesen – und ist es noch – auszuhelfe­n. Sie bräuchte nur eine kurze Einschulun­g und einen unterstütz­enden Oberarzt, sagt sie. Das gelte auch für etliche Kollegen von ihr. Doch es hat sie bisher niemand gefragt. Warum?

Nach mehr als einem Jahr wäre es höchste Zeit, aus dem Karussell von Warnungen, Drohungen und Schließung­en auszusteig­en und endlich neue Strategien anzugehen. Warum tut man es nicht? Wir alle können doch nur davon profitiere­n?

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VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

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