Welche Menschen (nicht) in der Politik arbeiten sollten
Brauchen wir konsensorientierte Zauderer, machtbewusste Taktiker, regionale Bauchentscheider, geradlinige Prinzipienreiter oder etwas ganz anderes?
Rudolf Anschober fasst diese Woche ins Auge, um sich zurück zum Dienst zu melden. Neben der höchst privaten Frage, wie lang ein Politiker die Belastungen eines Ressortchefs für Gesundheit während einer Pandemie aushalten kann, ohne die eigene Gesundheit zu gefährden, stellt sich nach mehr als zwölf Corona-Monaten vor allem eine grundsätzlichere: Welche Menschen braucht es in der Politik? In einer doch ziemlich existenziellen Krise ist es nicht mehr reine Geschmackssache, ob man stilistisch mehr auf Kraftmeier oder Konsensmüller steht. Geht es doch viel mehr darum, wer einfach funktioniert, wenn es einfach funktionieren muss. Auch wenn es sehr kompliziert wird.
Und da bietet sich als einer der Prototypen gleich der Gesundheitsminister an. Der Routinier ist mit jeder Faser seiner Politseele auf Konsens gepolt. Er sucht Dialog bis weit über die Schmerzgrenze hinaus. Und ist von dieser Vorgangsweise so überzeugt, dass er selbst in der größten Not nicht bereit ist, sein Machtinstrumentarium auch nur als Ultima Ratio anzuwenden. Auf widerspenstige Landeshauptleute wird eingeredet wie auf die sprichwörtliche Kuh. Eine ministerielle Weisung kommt auch bei unvernünftigster Weigerung nicht auf den Tisch.
Wie eindrucksvoll ernst Anschober seine Prinzipien nimmt, konnte man übrigens auch beim Foul des Kanzlers an seinem wichtigsten Regierungskollegen während dessen letzten Krankenstands sehen. Anschober war nach dem Frontalangriff auf sein Ministerium nicht bereit, auch nur einen einzelnen Socken an politischer Schmutzwäsche zu waschen.
Ganz anders Sebastian Kurz. Der zieht während der Krise alle Register seiner politischen Handwerkskunst. Zuletzt war zwar nicht immer klar, ob ihm der Meisterbrief schon zugestellt worden ist. Aber der Kanzler ist zweifellos ein Antischober. Er will jedenfalls immer etwas tun. Und wenn auch nur für die Galerie. Das Aussitzen einer Krise ist seine Sache nicht – außer wenn es um den Rücktritt von angeschlagenen Parteikollegen geht. Wichtig wie die Sache selbst – und das frühe Erkennen und Ernstnehmen dieser Krise oft auch gegen die Interessen seiner Kernklientel kann dem Kanzler niemand absprechen – sind ihm mindestens auch die Auswirkungen auf seine eigene Position.
In den kurzfristigen Konsequenzen unterscheiden sich übrigens auch die Ausgangslagen von Bundesregierung und Landespolitik. Zerbricht die Koalition, steht man schnell mit möglicherweise magerer (Impf-)Bilanz vor der Wählerin und dem Wähler. Während der Wiener Bürgermeister erst wieder in vier Jahren vor die Bevölkerung treten muss, wenn (ohne etwas verschreien zu wollen) die Pandemie hoffentlich vorüber ist. Umso eigenartiger ist da die Furcht vor dem Mittragen unpopulärer Maßnahmen.
Darin unterscheiden sich die Landeshauptleute kaum voneinander: Weder die eine Frau noch die acht Männer würden ihr Gewicht für ein größeres Ganzes (Österreich?) in die Waagschale werfen, der Weitblick endet stets an den Landesgrenzen. Die Wortmeldungen bei den Bundes-Pressekonferenzen zeigen: Man ist es nicht gewohnt, sich kurz zu fassen, die Worte sprudeln wie das Kernöl, Inhalt, Zeit und vollständige Sätze spielen dort, wo man für gewöhnlich spricht, offenbar keine Rolle. Die Blasmusik setzt ein, wenn man fertig ist.
Die Opposition zeigt die Extreme: zwei fakten- und wissenschaftsbasierte Parteichefinnen hier, deren Agieren schmerzlich daran erinnert, dass auch 2021 wieder eine Krise in der ersten Reihe ausschließlich (außer in St. Pölten) von Männern auf die Männerart gemanagt wird. Vor allem Pamela Rendi-Wagner gewinnt mit unbestreitbarer Fachkenntnis und (in Normalzeiten oft enervierender) Ernsthaftigkeit deutlich an Statur. Während die FPÖ mit einem außer Rand und Band geratenen Klubchef längst nicht mehr um so etwas wie Regierungsfähigkeit oder einen Platz im Verfassungsbogen mitspielt, sondern nur mehr Nischenpopulismus für Vernunftverweigerer zelebriert. Früher gab es die Eselsbank in der letzten Klassenreihe, nun erkennt man die Esel im Plenum daran, dass sie keine Maske tragen.
Vielleicht ist ja die Pandemie ein Grund, sich bei der nächsten Wahl noch genauer zu überlegen, welchen Menschen man verantwortliche Positionen zutraut. Wenn es wieder einmal darauf ankommen sollte.
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