Ramadan in der Pandemie: Kann denn Impfen Sünde sein?
Fastenzeit. Die Religionsbehörden bemühen sich um Aufklärung. Die WHO fürchtet neue Infektionswellen wegen der muslimischen Feierlichkeiten.
Istanbul. Der islamische Fastenmonat Ramadan beginnt an diesem Dienstag, und die 1,8 Milliarden Muslime stehen vor einer neuen Frage: Verstoßen die Gläubigen gegen das Fastengebot, wenn sie sich im Ramadan gegen Covid-19 impfen lassen?
Religionsbehörden in aller Welt versichern, dass Impfungen auch im Fastenmonat zulässig sind. Erfahrungen mit früheren Impfkampagnen lassen aber erwarten, dass viele Gläubige die Impfung trotzdem vermeiden werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) befürchtet zudem, dass Massenversammlungen im Ramadan neue Infektionswellen auslösen könnten.
Im Ramadan sollen gläubige Muslime vom Morgen bis zum Abend auf Speisen, Getränke, Zigaretten und Sex verzichten. Ob die Einnahme von Medikamenten, das Kaugummikauen oder das Zähneputzen gegen das Fastengebot verstoßen, wird jedes Jahr aufs Neue diskutiert.
Spritze in den Muskel ist okay
Muslimische Religionsexperten in aller Welt bemühen sich um Aufklärung. Der Groß-Mufti von Saudiarabien, dem Land der heiligen Städte Mekka und Medina, betont beispielsweise, Impfungen seien kein Problem. Der Impfstoff sei kein Nahrungsmittel und werde intramuskulär verabreicht.
Verboten seien lediglich die Einnahme von Substanzen durch Mund, Nase und andere Körperöffnungen sowie intravenöse Spritzen, erklärten wiederum die Religionsbehörden in Dubai.
Selbst wenn ein Gläubiger nach einer Impfung wegen schwerer Nebenwirkungen einen Tag mit dem Fasten aussetzen müsse, zähle das nicht als Sünde, sagte Ahmed Abdirahman, Arzt und Mitarbeiter in einem islamischen Gemeindezentrum in den USA, der Nachrichtenagentur AP: Ein verlorener Fastentag kann nach dem Ramadan nachgeholt werden.
Der Verband muslimischer Ärzte in Großbritannien konfrontiert Impfskeptiker mit der Frage: „Wie viele Fastentage wirst du wohl verpassen, wenn du dir Covid einfängst?“
Dass sich alle Gläubigen an die Ratschläge der Gelehrten und Ärzte halten werden, ist unwahrscheinlich. Die Medizinzeitschrift „The Lancet“berichtete von einer Studie, die im Jahr 2016 während der Ebola-Epidemie in Westafrika angefertigt wurde. Auch dort erklärten vier von fünf Gelehrten, eine Impfung im Ramadan sei gottgefällig. Dennoch lag die Akzeptanz der Impfungen in der Bevölkerung bei nur 40 Prozent.
Um Ähnliches für die CoronaImpfkampagne auszuschließen, denken die Behörden in muslimischen Ländern über neue Wege nach. Indonesien, mit 220 Millionen Menschen das bevölkerungsreichste islamische Land der Welt, will im Ramadan nach Sonnenuntergang impfen. So soll auch das Risiko minimiert werden, dass den Gläubigen die Impfung auf den tagsüber leeren Magen schlägt.
Sorge wegen Versammlungen
Im Ramadan des vergangenen Jahrs war noch keine Rede von Impfungen. Damals, kurz nach Ausbruch der Pandemie, stellten viele Länder den Reiseverkehr ein, erließen Ausgangssperren und verboten gemeinsame Gebete. Die Verbote wurden nach Einschätzung der WHO aber zu früh aufgehoben. Deshalb sei die Organisation vor dem zweiten Ramadan in der Pandemie sehr besorgt, sagte ein WHO-Sprecher gegenüber AP.
Auch diesmal dürfen sich Muslime zum Beispiel in der Türkei nicht zum Nachtgebet in den Moscheen treffen. Das gemeinsame Fastenbrechen nach Sonnenuntergang – der Höhepunkt jedes Tages in einem normalen Ramadan – ist in großen Gruppen ebenfalls verboten.
Der Ramadan fällt in der Türkei mit einem neuen Lockdown zusammen, mit dem die dritte Coronawelle gebrochen werden soll. Anderswo in der islamischen Welt erlassen die Behörden ebenfalls neue Vorschriften, um den Ramadan nicht zum Superspreader-Monat werden zu lassen.
Saudiarabien lässt für die sogenannte Kleine Wallfahrt während des Ramadan nur Geimpfte und Corona-Genesene einreisen. Indonesien kürzt die Zahl der Feiertage am Ende des Ramadan Mitte Mai von acht auf fünf Tage und verbietet während dieser Zeit alle Reisen. In Pakistan sollen nur Gläubige unter 50 Jahren in die Moscheen gelassen werden.