„Jeder für sich, keiner für alle“
Analyse. Orb´an versucht die rechten Parteien in der EU zu einer Großfraktion zu vereinen. Eine Studie belegt, wie unmöglich es ist, die inhaltliche Kluft zwischen diesen Gruppen zu überwinden.
Wien/London. Seit zwei Monaten versucht Ungarns Ministerpräsident, Viktor Orban,´ sein Glück. Er will nach dem Ausscheiden seiner Partei Fidesz aus der Europäischen Volkspartei (EVP) eine neue Großfraktion im EU-Parlament gründen. Er sprach bei einem Treffen mit seinem polnischen Amtskollegen Mateusz Morawiecki (PiS) und dem italienischen Lega-Chef Matteo Salvini von einer „europäischen Renaissance“, verkündete bereits eine neue Kooperation. Doch der Durchbruch lässt auf sich warten.
Die jüngsten Attacken im ungarischen Staatsfernsehen gegen die österreichische Journalistin Franziska Tschinderle („Profil“), die über dieses Projekt recherchiert hat, belegen, wie blank mittlerweile die Nerven in Budapest bei diesem Thema liegen. Denn es tauchen immer neue Probleme bei der Partnersuche auf. Erste Parteien gehen auf Distanz – so gibt es bisher keine Kooperationsbekundung von Marine Le Pen, die mit ihrem Rassemblement National 20 Abgeordnete im EU-Parlament stellt. Und auch mit der deutschen AfD zeichnet sich vorerst keine Zusammenarbeit ab. Fidesz-Vizechefin Katalin Novak´ stellte zuletzt in einem Beitrag für die „Welt“klar, dass ihre Partei in Deutschland mit niemandem anderen als mit CDU/ CSU kooperieren werde.
Die Differenzen belegt nun auch eine politikwissenschaftliche Studie der London School of Economics (LSE), die der „Presse“vorliegt. Allein ihr Titel, „Jeder für sich, keiner für alle“, deutet auf das Problem hin. Denn die rechten europäischen Parteien – von der deutschen AfD über die polnische PiS, die italienische Lega, die Schwedendemokraten bis zur FPÖ – trennt inhaltlich mehr, als sie vereint. Die ideologische Übereinstimmung bezeichnen die LSE-Experten als „dünn“und belegen das durch eine empirische Auswertung der Abstimmungen im Europaparlament. Analysiert wurden in der Periode von 2014 bis 2019 insgesamt 293 wirtschaftspolitische Entscheidungen. Dabei wurde deutlich, dass kein anderes politisches Lager in der EU so gespalten ist wie das rechte. Ein Wert von 1,0 belegte in der Studie eine vollkommene Übereinstimmung, bei 0,5 hat die Hälfte der Abgeordneten einer Gruppe anders abgestimmt als der Rest. Lag der Wert bei den anderen Fraktionen wie der EVP, den Sozialdemokraten, Liberalen oder Grünen über 0,9, erreichten die Rechten lediglich 0,69.
Die Kluft zeigt sich bei fast allen Themen – von der Handelspolitik über die Budgetpolitik bis hin zur Politik gegenüber Russland und China. Die LSE-Experten weisen darauf hin, dass es auch eine deutliche inhaltliche Kluft zwischen westlichen und östlichen Parteien dieses Spektrums gibt. Als Beispiel wird die EU-Regionalhilfe angeführt, die von osteuropäischen Regierungen liebend gern zur Stimulierung der eigenen Wirtschaft genutzt, von westlichen Nationalisten aber ebenso leidenschaftlich kritisiert wird. Der Nativismus – also die Verteidigung der eigenen kulturellen Identität – sei die größte Barriere für eine künftige Zusammenarbeit, heißt es in der Studie.
Flickwerk zeichnet sich ab
Bisher sind die rechten Parteien in zwei Fraktionen aufgespalten (siehe Grafik), die von Polens Regierungspartei dominierten Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) und die Identität und Demokratie (ID), der auch die FPÖ angehört. Würden sich die beiden zur Gänze vereinen, wäre die neue Fraktion größer als jene der Sozialdemokraten. Doch was sich abzeichnet, ist ein Flickwerk. Orban´ könnte zwar mit der PiS und der Lega zwei große Parteien aus beiden Gruppierungen mit der Fidesz vereinen, doch das Schicksal des Rests ist offen. Was etwa wird mit der Fratelli d’Italia, die nicht mit ihrer stärksten innenpolitischen Konkurrentin, der Lega, in einem Boot sitzen möchte? Was ist mit der Partei für die Freiheit (PVV) unter Parteichef Gert Wilders? Werden Fidesz und PiS, die alles andere als eine traditionelle Familie aus Vater und Mutter verteufelt, mit ihm kooperieren, der sich mehrfach für homosexuelle Ehen ausgesprochen hat? Wie passt die griechische Anel, eine Partei, die sich gegen die Austeritätspolitik stellt, mit österreichischen oder deutschen Rechten zusammen?