EU lehnt Zahlung von Montenegros Schulden ab
Westbalkan. Die neue montenegrinische Regierung sieht sich außerstande, einen chinesischen Kredit über rund eine Milliarde Euro für den Bau einer umstrittenen Autobahn zu begleichen. In Brüssel holt sie sich jedoch eine Absage.
Brüssel. Die trotz Warnungen unabhängiger Fachleute in Angriff genommene Autobahn quer durch Montenegro droht das kleine Westbalkanland in eine Staatskrise zu stürzen. Die seit Herbst vorigen Jahres im Amt befindliche neue Regierung hat in Brüssel um Hilfe bei der Rückzahlung eines Kredits in der Höhe von knapp einer Milliarde Euro bei der staatlichen chinesischen Exim Bank angesucht. Dieses rund 944 Millionen Dollar schwere Darlehen dient der Finanzierung des Baus der rund 160 Kilometer langen Autobahn vom Adriahafen Bar nach Boljare an der Grenze zu Serbien.
„Montenegro ist klein genug, dass das eine einfache Lösung sein sollte“, sagte Finanzminister Milojko Spajic´ am Wochenende zur „Financial Times“.
Doch in Brüssel will man davon nichts wissen. „Wir zahlen keine Kredite zurück, die sie bei Dritten aufnehmen“, erklärte ein Sprecher der Kommission am Montag auf Frage der „Presse“. Die EU habe hinsichtlich der „sozioökonomischen Folgen von Chinas Tun in diesem Land Bedenken“, fügte er hinzu. Sie befürchte „makroökonomische Ungleichgewichte und Schuldenabhängigkeit“.
20 Mio. Euro pro Kilometer
Mit diesen Befürchtungen ist die Kommission nicht allein. Das Projekt der ersten echten Autobahn Montenegros wurde bereits zweimal, in den Jahren 2006 und 2012, von unabhängigen Experten als unwirtschaftlich bewertet. Es sei schlicht zu wenig Verkehr zu erwarten, um so hohe Ausgaben zu rechtfertigen.
Doch die seit der Unabhängigkeit von Jugoslawien bis Herbst 2020 regierende Partei des derzeitigen Staatspräsidenten, Milo Djukanovic,´ hatte sich dieses Prestigeprojekt in den Kopf gesetzt. 2014 schloss Montenegro den Vertrag mit der China Road and Bridge Corporation, einem Staatskonzern des kommunistischen Regimes. Die Finanzierung von 85 Prozent der Strecke soll über das genannte Darlehen bei der chinesischen Staatsbank erfolgen. Für den Rest der Strecke hat die vormalige Regierung sich bereits zweimal eine Absage bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) geholt. Laut Finanzminister Spajic´ kostet jeder der 41 bisher fertiggestellten Kilometer rund 20 Millionen Euro: Kaum eine Autobahn auf der Welt ist so teuer.
Nach dem Regierungswechsel in Podgorica wurden die Probleme dieses Projekts nach und nach deutlicher. Das Zieldatum zur Fertigstellung der Arbeiten verstrich
Ende September. Nun soll die Autobahn im Juni heurigen Jahres fertig werden. Doch Anfang März begann die montenegrinische Justiz Ermittlungen in der Frage, wie es möglich war, dass die Bauarbeiten ohne vorherige Umweltverträglichkeitsprüfung beginnen konnten. Es drohe schwerer Schaden am Fluss Tara, der seit 1977 zum Unesco-Weltkulturerbe zählt.
Geopolitisches Ringen
Diese Episode verdeutlicht die Gefahren des Ringens um die Vormacht auf dem Balkan. Die EU hat zwar in den Jahren 2014 bis 2020 in Summe 279 Millionen Euro Vorbeitrittshilfen an Montenegro gezahlt. Diese Mittel sind aber stets an unzählige Reformbedingungen geknüpft, während China noch größere Summen ohne Nachfragen freimacht – und darum nun Gläubiger von einem Viertel der Staatsschulden des Landes ist.