Die Stunde der Wahrheit für Edouard´ Philippe
Frankreich. Der Ex-Premier, der populärste Politiker des Landes, verfasste ein Buch – halb Rückblick, halb Manifest. So kündigen sich in der Kulturnation Comebacks an. Präsident Macron zittert vor neuem Gegner bei Wahl im April 2022.
Wien/Paris. Wer als Politiker in Frankreich etwas auf sich hält, der geriert sich als Homme de Lettres – als Intellektueller und Autor. Zusammen mit seinem literarischen Kompagnon Gilles Boyer hat ExPremier E´douard Philippe bereits zwei Polit-Thriller verfasst, die ihm durchaus wohlwollende Kritiken eingebracht haben: „Im Schatten“und „Die Stunde der Wahrheit“.
„Impressionen und klare Linien“, das dritte Werk des Gespanns, das nach Ostern herauskam, ist indes eher politisches Manifest und Rückblick auf die bisherigen vier Jahre der Macron-Ära – und löste ein Jahr vor den Präsidentenwahlen prompt Spekulationen über eine Kandidatur Philippes aus, genährt von einer großen Werbekampagne. So kündigen sich in der Kulturnation Comebacks an.
Der Bürgermeister des lang kommunistisch regierten Le Havre in der Normandie gilt als populärster Politiker des Landes – mithin ein Grund, warum Präsident Emmanuel Macron seinen Premier nach der „grünen Welle“bei den Kommunalwahlen, als die Grünen die Bürgermeistersessel in Bordeaux, Lyon und Strasbourg eroberten, vor neun Monaten gegen den Bürokraten Jean Castex austauschte. Ein Ritual, wie es auch Macrons Vorgänger bei Wahlschlappen pflegten: Stets sprang der Premierminister über die Klinge. Dass Philippe trotz der Gelbwestenproteste, seines eher harten
Corona-Kurses und zudem als Verfechter einer einschneidenden Rentenreform weiterhin hohes Ansehen genoss, weckte nicht zuletzt den Argwohn des Präsidenten.
Versteckt unter einer Decke
In Interviews präsentiert sich der Hüne mit dem schwarz-weißen „Pandabart“– so seine Tochter – nun als Fan von Bruce Springsteen und Nina Simone und als umgänglicher Zeitgenosse mit erfrischenden Einblicken in die Politik und sein Debüt im Hotelˆ Matignon, seinem Amtssitz. Einst hatte sich der Konservative, ein Adlatus des ExPremiers Alain Juppe,´ unter einer Decke im Fond einer Limousine versteckt, um 2017 den Coup Macrons bei der Nominierung des neuen Premiers nicht vorzeitig zu enthüllen. Seiner Partei, den Republikanern, galt Philippe als Verräter – sie schloss ihn aus. Über sich sagte der Hobbyboxer einmal: „Ich kann einstecken. Aber ich teile auch aus – mal links, mal rechts.“
Noch verschleiert der 50-Jährige seine Absichten – und Macron zittert. Wie ist es mit seinem Treueschwur: „Meine Loyalität gegenüber dem Präsidenten war, glaube ich, absolut.“Gilt sein einstiges Diktum immer noch: „Ich werde nicht Kandidat sein; es sei denn, Emmanuel Macron tritt nicht an.“
Das scheint derzeit freilich eher eine Fantasie der Opposition um die Rechtspopulistin Marine Le Pen, die indessen an Terrain gewonnen hat. Ein mögliches Duell in der Stichwahl wird umkämpfter sein als noch 2017. Im Sommer will Le Pen den Parteivorsitz im Rassemblement National zurücklegen, um sich als „Kandidatin aller Franzosen“zu stilisieren. Bereits jetzt fährt sie volles Geschütz gegen den Präsidenten auf. Seinen CoronaZickzack-Kurs bezeichnet sie angesichts steigender Infektionsraten als „Macrons Waterloo“. Gegen die Einwanderungspolitik zieht sie mit der Parole in den Wahlkampf: „Franzosen, erwachet.“
Ob E´douard Philippe den Wahlkampf – wie 2017 – als Beobachter mit Kolumnen für den linken „Liberation“´ begleiten wird? Seine Stunde der Wahrheit rückt näher. Manche meinen, er könnte mit einer Präsidentschaftskandidatur bis 2027 zuwarten – und sich zuvor als Außenminister auf der internationalen Bühne profilieren.