Das Rudi-Anschober-Vakuum
Die ÖVP nützt die Abwesenheit des Gesundheitsministers, um die Werbetrommel für Sputnik zu rühren. Es stehen viele Entscheidungen an.
Es ist nachvollziehbar, dass dem grünen Gesundheitsminister, Rudolf Anschober, die Energie ausgeht. Die Pandemie hat den Minister im vergangenen Jahr Tag und Nacht gefordert. Das schlägt sich offenbar auch in seinem Gesundheitszustand nieder. Anschober fällt schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen aus. „Kreislaufprobleme“heißt es offiziell und knapp. Wann er wiederkommt, ist unklar. Zuerst hieß es, Anfang der Woche, nun zuletzt vermutlich eher Ende der Woche.
Das wäre dann pünktlich zum nächsten Coronagipfel. Es gibt viele Entscheidungen, die vom Gesundheitsminister getroffen werden müssen. Und Entwicklungen, die sich in seiner Abwesenheit ein wenig verselbstständigt haben. Da berichtet etwa ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz, dass er mit den Herstellern des russischen Impfstoffs Sputnik schon kurz vor einem Verhandlungsabschluss stehe. Anschober war in die Verhandlungen nicht eingebunden. Es dürfte ebenfalls Meinungsverschiedenheiten zwischen Kurz und Anschober geben, auf welcher Basis eine Entscheidung für den Impfstoff getroffen werden kann. Während Kurz das Vakzin unbedingt will, hat Anschober zuletzt gezögert. Es liegt kaum valides Datenmaterial vor, das eine gute Wirksamkeit des Impfstoffs untermauern könnte. Zuletzt verzichtete die Slowakei darum auf den Einsatz des Vakzins.
Dazu kommt: Eine Zulassung auf europäischer Ebene ist nicht in Sicht – und auf nationaler Ebene würde eine standardmäßige Überprüfung noch Monate dauern. Dass Anschober eine ordentliche Qualitätsüberprüfung für eine Notzulassung aussetzen würde, ist nicht zu erwarten. Kurzfristig könnte Sputnik also ohnehin nicht aus der Impfstoffnot helfen.
Der Kanzler rührt während Anschobers Abwesenheit dennoch heftig die Werbetrommel für das Vakzin – wohl auch, um negativer PR rund um Chatprotokolle des Öbag-Vorstands Thomas Schmid entgegenzuwirken.
Einsame Landeshauptleute
Kurz könnte Erfolgsmeldungen brauchen, seine Umfragewerte sind zuletzt deutlich gesunken – und sogar hinter jene der ÖVP gefallen. Auch in der Koalition knirscht es. Die Grünen sind nicht mehr gewillt, zu den Korruptionsvorwürfen gegen die ÖVP zu schweigen. So fand zuletzt etwa der grüne Abgeordnete David Stögmüller sehr scharfe Worte im Parlament dazu. Er wurde von seinem Klub nicht zurückgepfiffen. Antikorruptionsarbeit und Justizthemen – das ist es, worauf sich die Grünen derzeit konzentrieren. Das durch Anschobers Abwesenheit entstandene gesundheitspolitische Loch wird inhaltlich nur notdürftig geflickt.
Das spüren auch die Länder, die wichtige Entscheidungen ohne den Minister treffen müssen: Soll der Lockdown im Osten verlängert werden? Soll doch eine Regelung für das ganze Land kommen? Wie wird die Öffnung von Schulen gesehen? Wie soll es mit den Screeningprogrammen für gewisse Berufsgruppen weitergehen? Wie mit den Impfungen?
Anschobers Entscheidungen waren im vergangenen Jahr nicht immer unumstritten. Dass nun aber wichtige Entscheidungen gar nicht mehr getroffen werden, weil der Minister ausfällt, ist nicht lang verkraftbar. Das Gesundheitsressort braucht dringend wieder eine Spitze – darüber ist sich die Regierung zumindest einig.