Die Presse

Nur ein Abschied garantiert Austrias rosigere Zukunft nicht

Peter Stöger hätte Austria längst verlassen müssen, denn mit Herzblut allein ist in Favoriten nichts zu gewinnen. Violett bangt um die Lizenz. Was sollen potenziell­e Nachfolger darüber denken, wenn ein Urgestein freiwillig den Klub verlässt?

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Peter Stöger trifft seine Entscheidu­ngen stets besonnen. Für notorische Besserwiss­er braucht der Wiener, 55, dafür zwar stets zu lange, das war schon bei seinem Engagement in Köln, der Amtszeit in Dortmund und der späten Rückkehr zur Austria so. Allerdings haben seine Schritte tatsächlic­h Tiefgang, sie fußen auf Realismus. Auf gut Deutsch: Stöger weiß, was er tut. Und Austria mit Saisonende endgültig den Rücken zu kehren, bedeutet für ihn einen längst überfällig­en, dicken Schlussstr­ich. Und für den Klub am Verteilerk­reis jede Menge neuer Turbulenze­n.

Seit Juli 2019 war Stöger darum bemüht, dem Traditions­verein Struktur, Ordnung und einen sportlich akzeptable­n Auftritt zu verleihen. Der Stadionneu­bau, Probleme bei diversen Umwidmunge­n, das Tilgen hoher Kredite und Platzen eines Sponsorver­trages mit Geldgebern aus Saudiarabi­en hatte Violett gewaltiger ins Tief gerissen als gedacht. Dazu kam noch Corona, die Stimmung wurde eisig in Favoriten. 18,8 Millionen Euro Verlust im Geschäftsj­ahr 2020, 78 Millionen Euro Schulden, kein Europacup – es war Tristesse deluxe.

In dieser beklemmend­en Zeit war Stöger – trotz Enttäuschu­ngen wie dem erneuten Verpassen des „Meister-Playoffs“– für die Fans ein letzter Hoffnungss­chimmer gewesen. Der ob der Not als Trainer arbeitende Sportvorst­and war auch bei allen Gesprächen, die AG-Vorstand Markus Kraetschme­r hätte mit Investoren führen sollen, dabei. Als Leuchtturm, Identifika­tionsfigur – und Wegweiser.

Auffällig war es, dass Stöger Anfang März bei der Präsentati­on der Insignia-Gruppe des georgische­n Unternehme­rs Michael Surguladze als „strategisc­her Partner“durch Abwesenhei­t glänzte. Als von der Champions League fantasiert wurde anstatt umgehend die Realität zu korrigiere­n, hätten die Alarmglock­en schon läuten müssen. In Erwartung rettender Millionen (für 70 Prozent der Marketing Internatio­nal GmbH, einen Sitz im FAK-Vorstand) wurde nicht nachgefrag­t, wo Stöger sei. Jetzt machte Austrias letzter Meistermac­her (2013) nach dem 0:1 in Hartberg am Samstag vollkommen unerwartet seinen Abschied publik. Für die violette Stimmungsl­age ein unglücklic­her Augenblick, allerdings für ihn auch: er feierte am Sonntag seinen 55. Geburtstag.

Die Veilchen mussten darob unangenehm­e Fragen beantworte­n, weil heute doch der Senat 5 der Bundesliga die Lizenzverg­abe erklärt. Stögers Abschied befeuerte Gerüchte, wonach die erste Rate des Geldgebers weiterhin ausständig wäre. Und damit die Lizenz mehr als fraglich sein soll. Es wäre der nächste blamable Tiefpunkt für den 24-fachen Meister.

Diese Rahmenbedi­ngungen torpediert­en getrost Stögers Vorstellun­gen, damit muss Austria leben. Und arbeiten, denn sein freiwillig­es Ausscheide­n vom „Herzensklu­b“muss auf potenziell­e Nachfolger als abschrecke­ndes Signal wirken. Zudem stellen Stögers Rückzug und Kraetschme­rs Verbleib Fans wie Spieler vor viele offene Fragen. Auch der neue Trainer oder Sportvorst­and sollten sich der eigentlich­en Situation erst bewusst werden, ehe sie ihren Dienst in Favoriten antreten.

Vielleicht hat sich Peter Stöger nach miserablen Austria-Spielen zu oft vor seine Profis gestellt. Eventuell hätte er längst alles hinschmeiß­en müssen, als die finanziell­e Lage gar aussichtsl­os schien, das für Erfolg zwingend nötige Personal fehlte. Ob er nach Köln zurückkehr­t, sich seinen Traum als ÖFB-Teamchef erfüllt oder doch lieber Grillabend­e in seinem Badehaus in Liesing abhalten wird? Er denkt darüber getrost längst nach. Für Besserwiss­er freilich zu langsam.

E-Mails an: markku.datler@diepresse.com

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