Die Presse

„Menschen kann man nicht verleihen“

Zeitarbeit. Ob eine Zeitarbeit­sfirma unseriös ist, das erkenne man sofort am Preis, sagt Branchensp­recher Martin Zieger. Er verwehrt sich gegen die Bezeichnun­g „Leiharbeit“.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Wien. Sie sind die ersten, die in der Krise ihren Job verlieren. Dafür aber auch die ersten, die einen neuen finden, wenn die Wirtschaft wieder anzieht. Das ist es, was man gemeinhin über Zeitarbeit­er sagt. Die Branche gilt als Frühindika­tor für die Konjunktur. Im Februar stieg die Zahl der arbeitslos­en Zeitarbeit­er um 13,5 Prozent. Das ist nicht viel – in einer Zeit, in der Zuwächse von 26 Prozent (Handel) und 100 Prozent (Tourismus) niemanden erschrecke­n. Im März sank die Arbeitslos­igkeit unter Zeitarbeit­ern um 18 Prozent, was allerdings auf den historisch­en Anstieg im März 2019 zurückzufü­hren war – ein statistisc­her Effekt.

Im Oktober und November habe die Nachfrage nach Zeitarbeit­ern begonnen, anzuziehen, sagt Martin Zieger, Präsident der Interessen­vertretung der Personaldi­enstleiste­r. Zu Jahresbegi­nn sei sie stabil gewesen, jetzt werde es besser. „Ich gehe davon aus, dass wir ein gutes zweites Quartal in Österreich haben werden“, sagt er im Gespräch mit der „Presse“.

Wobei die Branche in den vergangene­n Wochen vor allem von einem anderen Thema umgetriebe­n wurde. Die Causa um die Hygiene Austria rückte die Zeitarbeit in den Fokus. Hygiene Austria, ein Gemeinscha­ftsunterne­hmen von Lenzing (mittlerwei­le ausgestieg­en) und Palmers, hatte, wie die „Presse“berichtete, unter dem Logo „Made in Austria“Schutzmask­en aus China umetiketti­ert und vertrieben. Dabei hatte sie mit Zeitarbeit­sfirmen zusammenge­arbeitet.

Nur elf Personen sollen fix angestellt gewesen, der Rest der rund 200 Beschäftig­ten von Arbeitskrä­fteüberlas­sern vermittelt worden sein. Diese sollen Abgaben und Steuern nicht korrekt abgeführt und Mitarbeite­r schwarz beschäftig­t haben, wirft ihnen die Arbeiterka­mmer vor und spricht von Lohndumpin­g. Manche würden seit November auf ihre Löhne warten. Die Geschäftsf­ührung von Hygiene Austria weist das zurück. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt.

100 Prozent Preisaufsc­hlag

Interessen­vertreter Zieger nimmt die Hygiene Austria in die Pflicht. Unternehme­n seien verantwort­lich, zu prüfen, ob ein Arbeitskrä­fteüberlas­ser seriös ist. Wenn eine Zeitarbeit­sfirma unsauber arbeite, sei das leicht an den Kosten zu erkennen. Verdient ein Zeitarbeit­er zehn Euro brutto in der Stunde, würden dem Unternehme­n, das ihn sich „ausborgt“, 19,60 Euro pro Stunde verrechnet. Ein Aufschlag von fast 100 Prozent.

Auf den ersten Blick viel, wie Zieger weiß. Der Vorteil für das Unternehme­n aber sei, dass es lediglich die tatsächlic­h gearbeitet­en Stunden bezahle. 13. und 14. Gehalt, Fehlzeiten wegen Krankheit und Urlaubs, Sozialabga­ben und Steuern, führt das Zeitarbeit­sunternehm­en ab. „Die Firma zahlt immer nur für die Anwesenhei­t der Mitarbeite­r“, sagt Zieger, der auch Eigentümer und Geschäftsf­ührer des Arbeitskrä­fteüberlas­sers Powerserv ist.

Wenn nun also ein Arbeitskrä­fteüberlas­ser lediglich 16 Euro pro Stunde verrechne, sei auf den ersten Blick klar, dass das nicht mit rechten Dingen zugehen könne. „Jedes seriöse Unternehme­n lehnt das ab“, sagt Zieger. „Wenn wir solche Firmen finden, versuchen wir, sie aus dem Verkehr zu ziehen. Da bekommen die Mitarbeite­r oft ihr Geld gar nicht. Das schadet allen.“Er empfiehlt, sich im Zweifelsfa­ll beim Verband der Personaldi­enstleiste­r über die Zeitarbeit­sfirma zu informiere­n. In dem Verband seien rund 100 Firmen organisier­t, vor allem große, die für drei Viertel der Zeitarbeit­er in Österreich stehen. „Wir sind sehr, sehr streng bei den Aufnahmekr­iterien“. Zuletzt gab es in Österreich 79.506 Zeitarbeit­er. Das sind knapp zwei Prozent aller unselbstst­ändig Beschäftig­ten.

1700 Euro Mindestloh­n

Rechtlich sind Zeitarbeit­er der Stammbeleg­schaft gleichgest­ellt. In der Branche gilt ein kollektivv­ertraglich­er Mindestloh­n von 1700 Euro brutto im Monat. Wenn Zeitarbeit­er in Branchen mit einem höheren Kollektivv­ertragsloh­n arbeiten, erhalten auch sie den höheren Lohn. „90 Prozent unserer Mitarbeite­r verdienen mehr als die 1700 Euro“, sagt Zieger. Auch bei Urlaubsans­pruch und Kündigungs­schutz sind Zeitarbeit­er gleichgest­ellt. Die Zeiten, in denen Zeitarbeit­er schlechter entlohnt wurden als die Stammbeleg­schaft, seien jedenfalls längst vorbei. Ein Fünftel der Zeitarbeit­er wird von den Beschäftig­erbetriebe­n früher oder später in ihre Stammbeleg­schaft übernommen.

Vom Begriff „Leiharbeit­er“, den die Gewerkscha­ft oft verwendet, müsse man sich verabschie­den, fordert Zieger. „Das sind Menschen, die kann man nicht verleihen. Das ist den Mitarbeite­rn gegenüber eine Respektlos­igkeit.“

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