Die Presse

Wie Wirecard Anleger und Finanz bloßstellt­e

Neuerschei­nung. Der „Handelsbla­tt“-Journalist Felix Holtermann arbeitet in seinem Buch „Geniale Betrüger“den größten Wirtschaft­sskandal Deutschlan­ds auf – und bringt brisante neue Details. Die Achse nach Wien spielt eine zentrale Rolle.

- VON ANNA THALHAMMER

Wien. Es dauerte nur sieben Tage und sieben Nächte, bis der DAXKonzern Wirecard unterging. Es ist eine Geschichte von brillanter kriminelle­r Energie – aber auch von höchst bedenklich­em Systemvers­agen. „Wirecard hat ein System betrogen, das betrogen werden wollte“, sagt der „Handelsbla­tt“Journalist Felix Holtermann zur „Presse“. Er hat den Wirtschaft­skrimi in seinem Buch „Geniale Betrüger“akribisch aufgedröse­lt.

Holtermann hat Zigtausend­e Seiten an Unterlagen analysiert – darunter auch bisher unbekannte Chats zwischen Ex-Vorstand Jan Marsalek und einem Vertrauten. „Ihr habt die vergangene­n Jahre Milliarden geklaut. Die Marionette­n wie ich haben euch einen offizielle­n Touch gegeben, jetzt lasst ihr alle fallen“, schreibt Marsaleks Freund an diesen – und zwar nachdem er im Sommer 2020 geflüchtet ist. Marsalek antwortet: „Außerdem finde ich es befremdlic­h, dass du dich als Marionette bezeichnes­t. Du warst der Erste, der gern Consulting Fees von Wirecard angenommen hat, der an Geldwäsche­lösungen gebastelt hat, etc. Von der Finanzieru­ng deines Hauses mal ganz zu schweigen.“Marsalek will wieder Zugriff auf seine Millionen – sein Vertrauter weigert sich. Die Freunde werden zu Feinden – beide sind heute Beschuldig­te in der Causa.

Sein Chat-Partner V. ist Geschäftsf­ührer der IMS-Capital, die im Herzen des Wirecard-Skandals steht. Die Firma war in Marsaleks Villa in der Münchner Prinzregen­tenstraße 61 beheimatet und hatte offiziell nur wenig mit Marsalek zu tun. Es soll aber Treuhandve­rträge mit Marsalek gegeben haben – auch das deckt Holtermann auf. Offiziell finanziert­e die IMS-Capital Start-ups, wo die Millionen versiegt sein könnten, wird ermittelt.

Die Wiener Achse

Einer, der das wissen könnte, ist W., bis Ende 2017 mächtiger Abteilungs­leiter im Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT). W. war bei der IMS-Capital beschäftig­t und war einer der engsten Vertrauten von Marsalek. Der „Presse“liegen Fotos von gemeinsame­n illustren Abenden vor. W. verhalf Marsalek zur Flucht, organisier­te einen Privatflie­ger von Bad Vöslau nach Minsk – unter anderem deswegen ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Wien gegen ihn. Aber auch gegen zwei seiner Ex-BVTKollege­n – sie stehen gemeinsam mit W. im Verdacht, an Marsalek sensible Personenab­fragen aus Polizeidat­enbanken verkauft zu haben. Alle Beschuldig­ten bestreiten das – und W., der durfte das Land sogar wieder verlassen. Er verweilt wieder in Dubai, wo er arbeitet und wo der Wirecard-Skandal einen Dreh- und Angelpunkt der vermuteten Betrügerei­en von Marsalek und Ex-Vorstand Markus Braun hat. Übrigens sind beide Österreich­er, ebenso wie die Vorständin Susanne S. oder der Ex-Aufsichtsr­at Stefan K.

Aber auch die Aufdeckung des Skandals kam von Wien aus ins Rollen: Die Wiener Anlegersch­utzorganis­ation European Funds Recovery Initiative (Efri) nimmt den Zahlungsdi­enstleiste­r schon früh ins Visier. Sie stellt eine Strafanzei­ge wegen Geldwäsche gegen Wirecard, die zu der Durchsuchu­ng der Staatsanwa­ltschaft führt. Die Anlegersch­ützer haben das Treiben des Konzerns akribisch aufgearbei­tet. Dieser habe „Finanztran­sfers in Zusammenha­ng mit mutmaßlich­en betrügeris­chen Online-Trading-Webseiten sowie für illegale Online-Gambling-Webseiten in beträchtli­chem Ausmaß“abgewickel­t, heißt es da.

Öffentlich bekannt wurde das internatio­nale Betrugsnet­zwerk mit Trading-Portalen im Februar 2019, als das österreich­ische Innenminis­terium über die Erfolge europäisch­er Ermittler informiert­e. Der Wirecard-Konzern war für viele dieser Plattforme­n tätig.

Auch Holtermann hat die dubiosen Geschäfte Wirecards schon früh bemerkt. Er recherchie­rte 2015 zum Thema illegales Glücksspie­l, Wirecard fiel ihm da ebenso als Zahlungsab­wickler wie für zwielichti­ge Pornoseite­n auf. Warum der Konzern dennoch so lang von der Politik hofiert wurde? „Deutschlan­d ist ein Land der Schraubenh­ersteller, der Autos, wir sind Old Economy. Wirecard hatte den Geruch des Silicon Valley. Es war das Verspreche­n, dass wir den Anschluss in eine digitalisi­erte Wirtschaft finden. Das ist mit vielen aufgeblase­nen Geschichte­n der Vorstände am Leben erhalten worden“, sagt Holtermann.

Aber nicht nur die WirecardCh­efs müsse man kritisch hinterfrag­en, es habe viele Akteure gegeben, auf die sich die Anleger verlassen haben: Wirtschaft­sprüfer, Finanzaufs­icht, die Aufsichtsr­äte, die Politik – „und auch uns Journalist­en. Hätten einige genauer hingesehen, wäre dieser Fall definitiv zu verhindern gewesen“.

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[ APA/DPA/Kay Nietfeld ] Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek flüchtete im Sommer 2020. Sein Aufenthalt­sort wird in Russland vermutet.
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[ Frank Beer ] Felix Holtermann.
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