Wie der Lockdown im Osten wirkt
Zwischenbilanz. Von einer Entspannung der Lage kann noch keine Rede sein, vor allem mit Blick auf die Spitäler. Aber es gibt fragile Zeichen einer Stabilisierung.
Wien. 1943 Neuinfektionen, 19 Todesfälle, und die Zahl der Covid-Patienten auf Intensivstationen steigt und steigt. Vor allem im Osten Österreichs wird ein Höchststand nach dem anderen überschritten. Die 24-Stunden-Bilanz der Coronalage vom Montag bringt keine Entspannung. Auch wenn sich die Zahlen nach zwölf Tagen Lockdowns in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland teilweise zu stabilisieren beginnen.
1 Welche Zwischenbilanz lässt sich nach zwölf Tagen Ost-Lockdowns ziehen?
Bereits Ende vergangener Woche ist die effektive Reproduktionszahl für Sars-CoV-2 in ganz Österreich zum ersten Mal seit Wochen auf 0,95 und damit unter die kritische Größe von eins gesunken. Das bedeutet, eine infizierte Person steckt statistisch weniger als eine weitere Person an, die Zahl der Infizierten sinkt in Summe. Zeigt der Lockdown also Wirkung? Es sei noch zu früh, um ver
lässliche Aussagen zu treffen, heißt es von der Ages, die die Lage analysiert.
Auch Komplexitätsforscher Peter Klimek von der Med-Uni Wien, der seit Beginn der Pandemie die Effizienz der Lockdowns erforscht, sagt, es sei schwierig und zu früh, um zu sagen, wie wirksam dieser Lockdown ist und ob der jüngste Rückgang nachhaltig ist. Noch sei zu wenig Zeit vergangen, viele Unsicherheitsfaktoren spielten mit: die Osterfeiertage, mögliche vermehrte private Treffen in dieser Zeit, eine geringere Zahl der Testungen usw. „Solide
Daten dazu, ob die Dynamik rückläufig ist, werden wir im Laufe dieser Woche haben.“
2 Bleibt der R-Wert unter eins, kann man dann wieder öffnen?
Auch wenn sich zeigt, dass der R-Wert unter eins bleibt und die Zahl der Infizierten in Summe sinkt, ist das längst kein Grund zum Aufatmen. „Die Lage auf den Intensivstationen wird im gesamten April sehr angespannt bleiben, egal, wie schnell wir die Kurve jetzt abflachen. Hier zeigen sich Effekte mit ein, zwei Wochen Verzögerung“, so Klimek. „Die Frage ist: Was ist das Ziel? Sollten die Schließungen von Schulen und Handel ähnlich wirksam wie in der Vergangenheit sein, sollte der R-Wert demnächst auf einen Bereich von um die 0,9 herum sinken. Öffnen wir, bewegt sich R wieder in Richtung eins und damit ziehen wir die Belastung in die Länge. Wenn wir eine Entlastung der Intensivstationen wollen, brauchen wir länger einen rückläufigen Trend.“
3 Kann eine Öffnung im April dann überhaupt ein Thema sein?
Hier gibt es viele Unsicherheitsfaktoren: Wie stabil die Lage ist, lässt sich aktuell aus Expertensicht kaum sagen. Die Variante B.1.1.7, die im Osten Österreichs für hohe Zahlen, mehr schwere Verläufe und mehr Jüngere, die schwer erkranken, gesorgt hat, ist mittlerweile in ganz Österreich dominant. „Gesamt gesehen wird es im Mai einfacher sein, eine Reduktion der Fallzahlen zu erzielen. Wir sehen insgesamt auch bereits eine Verlangsa
mung durch die Impfung. Öffnet man im Osten noch im April, ist die Frage: Wie viele Menschenleben wollen wir darauf verwetten, dass es im Mai dann durch die Impfung und das wärmere Wetter von allein besser wird?“, sagt Klimek. Hier stehen einander zwei bekannte Effekte gegenüber: Je schneller die Zahlen reduziert werden können, umso rascher sind auch Öffnungen möglich, die dann hoffentlich von Dauer sind. Aber auch: Je länger ein Lockdown dauert, umso mehr nutzt sich dessen Effekt ab.
4 Wie unterscheidet sich die Entwicklung nach Bundesländern?
Die Lage in den Regionen unterscheidet sich seit Beginn des Lockdowns Ost mit 1. April deutlich anhand der Sieben-Tage-Inzidenzen. Aktuell (Stand 11. 4., es handelt sich um laborbestätigte Fälle) liegt diese österreichweit bei 213, der Vergleichswert vom 1. April war 247. In den Lockdown-Bundesländern ist die Inzidenz seit 1. April deutlich gesunken. In Wien von 331 auf 300, in Niederösterreich von 274 auf 191, im Burgenland von 254 auf 179. Auch in Oberösterreich, Salzburg und der Steiermark ist die Inzidenz in dieser Zeit leicht gesunken, in Kärnten ist sie leicht gestiegen (207 auf 212), in Vorarlberg ist sie aber, wenn auch auf geringem Niveau, deutlich von 131 auf 149 gestiegen, in Tirol indes klar von 244 auf 184 gesunken.
5 Wie erklärt sich der aktuelle Sonderweg im Westen?
In Tirol dürfte sich die Abschottung durch Ausreisetestungen oder die verstärkte Impfaktion (der Bezirk Schwaz wird bekanntlich mit einer Sonderration Biontech/Pfizer vorzeitig durchgeimpft) bemerkbar machen. Vorarlberg hatte lang eine Sonderstellung: Die Variante B.1.1.7 hatte sich vor allem vom Osten ausgehend ausgebreitet, das westlichste Bundesland war auch durch die Ausreisetestungen in Tirol vom Rest Österreichs und damit der Mutante etwas abgeschottet. Ob die nun steigende Vorarlberger Inzidenz eher daran liegt, dass nun auch in Vorarlberg die sogenannte britische Mutation B.1.1.7 dominiert, oder an der offenen Gastronomie, das könne man nicht eindeutig sagen. Nach wie vor weiß man zu wenig darüber, wo sich die Menschen anstecken, wie das Virus von Haushalt zu Haushalt gelangt und sich dann vor allem dort verbreitet. „Was wir aber aus der internationalen Studienlage klar wissen: Die Infektionen in der Gastronomie spielen eine wesentliche Rolle, auch wenn wir noch keine Daten zu Vorarlberg haben“, sagt Klimek.