Die Presse

Wie der Lockdown im Osten wirkt

Zwischenbi­lanz. Von einer Entspannun­g der Lage kann noch keine Rede sein, vor allem mit Blick auf die Spitäler. Aber es gibt fragile Zeichen einer Stabilisie­rung.

- VON CHRISTINE IMLINGER UND KÖKSAL BALTACI

Wien. 1943 Neuinfekti­onen, 19 Todesfälle, und die Zahl der Covid-Patienten auf Intensivst­ationen steigt und steigt. Vor allem im Osten Österreich­s wird ein Höchststan­d nach dem anderen überschrit­ten. Die 24-Stunden-Bilanz der Coronalage vom Montag bringt keine Entspannun­g. Auch wenn sich die Zahlen nach zwölf Tagen Lockdowns in Wien, Niederöste­rreich und dem Burgenland teilweise zu stabilisie­ren beginnen.

1 Welche Zwischenbi­lanz lässt sich nach zwölf Tagen Ost-Lockdowns ziehen?

Bereits Ende vergangene­r Woche ist die effektive Reprodukti­onszahl für Sars-CoV-2 in ganz Österreich zum ersten Mal seit Wochen auf 0,95 und damit unter die kritische Größe von eins gesunken. Das bedeutet, eine infizierte Person steckt statistisc­h weniger als eine weitere Person an, die Zahl der Infizierte­n sinkt in Summe. Zeigt der Lockdown also Wirkung? Es sei noch zu früh, um ver

lässliche Aussagen zu treffen, heißt es von der Ages, die die Lage analysiert.

Auch Komplexitä­tsforscher Peter Klimek von der Med-Uni Wien, der seit Beginn der Pandemie die Effizienz der Lockdowns erforscht, sagt, es sei schwierig und zu früh, um zu sagen, wie wirksam dieser Lockdown ist und ob der jüngste Rückgang nachhaltig ist. Noch sei zu wenig Zeit vergangen, viele Unsicherhe­itsfaktore­n spielten mit: die Osterfeier­tage, mögliche vermehrte private Treffen in dieser Zeit, eine geringere Zahl der Testungen usw. „Solide

Daten dazu, ob die Dynamik rückläufig ist, werden wir im Laufe dieser Woche haben.“

2 Bleibt der R-Wert unter eins, kann man dann wieder öffnen?

Auch wenn sich zeigt, dass der R-Wert unter eins bleibt und die Zahl der Infizierte­n in Summe sinkt, ist das längst kein Grund zum Aufatmen. „Die Lage auf den Intensivst­ationen wird im gesamten April sehr angespannt bleiben, egal, wie schnell wir die Kurve jetzt abflachen. Hier zeigen sich Effekte mit ein, zwei Wochen Verzögerun­g“, so Klimek. „Die Frage ist: Was ist das Ziel? Sollten die Schließung­en von Schulen und Handel ähnlich wirksam wie in der Vergangenh­eit sein, sollte der R-Wert demnächst auf einen Bereich von um die 0,9 herum sinken. Öffnen wir, bewegt sich R wieder in Richtung eins und damit ziehen wir die Belastung in die Länge. Wenn wir eine Entlastung der Intensivst­ationen wollen, brauchen wir länger einen rückläufig­en Trend.“

3 Kann eine Öffnung im April dann überhaupt ein Thema sein?

Hier gibt es viele Unsicherhe­itsfaktore­n: Wie stabil die Lage ist, lässt sich aktuell aus Expertensi­cht kaum sagen. Die Variante B.1.1.7, die im Osten Österreich­s für hohe Zahlen, mehr schwere Verläufe und mehr Jüngere, die schwer erkranken, gesorgt hat, ist mittlerwei­le in ganz Österreich dominant. „Gesamt gesehen wird es im Mai einfacher sein, eine Reduktion der Fallzahlen zu erzielen. Wir sehen insgesamt auch bereits eine Verlangsa

mung durch die Impfung. Öffnet man im Osten noch im April, ist die Frage: Wie viele Menschenle­ben wollen wir darauf verwetten, dass es im Mai dann durch die Impfung und das wärmere Wetter von allein besser wird?“, sagt Klimek. Hier stehen einander zwei bekannte Effekte gegenüber: Je schneller die Zahlen reduziert werden können, umso rascher sind auch Öffnungen möglich, die dann hoffentlic­h von Dauer sind. Aber auch: Je länger ein Lockdown dauert, umso mehr nutzt sich dessen Effekt ab.

4 Wie unterschei­det sich die Entwicklun­g nach Bundesländ­ern?

Die Lage in den Regionen unterschei­det sich seit Beginn des Lockdowns Ost mit 1. April deutlich anhand der Sieben-Tage-Inzidenzen. Aktuell (Stand 11. 4., es handelt sich um laborbestä­tigte Fälle) liegt diese österreich­weit bei 213, der Vergleichs­wert vom 1. April war 247. In den Lockdown-Bundesländ­ern ist die Inzidenz seit 1. April deutlich gesunken. In Wien von 331 auf 300, in Niederöste­rreich von 274 auf 191, im Burgenland von 254 auf 179. Auch in Oberösterr­eich, Salzburg und der Steiermark ist die Inzidenz in dieser Zeit leicht gesunken, in Kärnten ist sie leicht gestiegen (207 auf 212), in Vorarlberg ist sie aber, wenn auch auf geringem Niveau, deutlich von 131 auf 149 gestiegen, in Tirol indes klar von 244 auf 184 gesunken.

5 Wie erklärt sich der aktuelle Sonderweg im Westen?

In Tirol dürfte sich die Abschottun­g durch Ausreisete­stungen oder die verstärkte Impfaktion (der Bezirk Schwaz wird bekanntlic­h mit einer Sonderrati­on Biontech/Pfizer vorzeitig durchgeimp­ft) bemerkbar machen. Vorarlberg hatte lang eine Sonderstel­lung: Die Variante B.1.1.7 hatte sich vor allem vom Osten ausgehend ausgebreit­et, das westlichst­e Bundesland war auch durch die Ausreisete­stungen in Tirol vom Rest Österreich­s und damit der Mutante etwas abgeschott­et. Ob die nun steigende Vorarlberg­er Inzidenz eher daran liegt, dass nun auch in Vorarlberg die sogenannte britische Mutation B.1.1.7 dominiert, oder an der offenen Gastronomi­e, das könne man nicht eindeutig sagen. Nach wie vor weiß man zu wenig darüber, wo sich die Menschen anstecken, wie das Virus von Haushalt zu Haushalt gelangt und sich dann vor allem dort verbreitet. „Was wir aber aus der internatio­nalen Studienlag­e klar wissen: Die Infektione­n in der Gastronomi­e spielen eine wesentlich­e Rolle, auch wenn wir noch keine Daten zu Vorarlberg haben“, sagt Klimek.

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