Die Presse

Staatskred­ite ersetzen Kanonenboo­te

Der chinesisch­e KreditKolo­nialismus droht auch Europa zu spalten.

- josef.urschitz@diepresse.com

Früher sind Kolonialis­ten mit Kanonenboo­ten und Expedition­skorps in die Länder ihrer Wahl eingefalle­n, heute tun sie das per Kreditvert­rag.

China beispielsw­eise steht seit einiger Zeit in Verdacht, seine geostrateg­ischen Machtanspr­üche mittels umfangreic­her Infrastruk­turfinanzi­erungen entlang seiner (schon 140 Länder umfassende­n) „Neuen Seidenstra­ße“auszubauen. Mittels geheimer Knebelvert­räge, die die Kreditnehm­er bei Zahlungssc­hwierigkei­ten (oder politische­r Unbotmäßig­keit) in Abhängigke­it bringen. Und zwar mit gewaltigem Einsatz: Mehr als 1000 Mrd. Dollar haben chinesisch­e Finanziers seit 2013 auf diese Weise vergeben.

Jetzt ist aus dem Verdacht Gewissheit geworden: Ein amerikanis­ch-deutsches Wirtschaft­sforschert­eam hat Zugang zu rund 100 geheimen Kreditvert­rägen gefunden, diese ausgewerte­t – und befunden, dass hier tatsächlic­h brutale Machtpolit­ik unter dem Titel der Wirtschaft­shilfe betrieben wird. „Die Presse“hat darüber ausführlic­h berichtet.

Gespenstis­ch ist allerdings die stoische Ruhe, mit der diese Erkenntnis­se in Europa hingenomme­n werden. Der Schwerpunk­t der Finanzieru­ngsaktivit­äten liegt zwar in Afrika und Lateinamer­ika. Aber die Sache funktionie­rt ja auch in Europa. Serbien beispielsw­eise baut mit chinesisch­em Geld eine strategisc­h wichtige Eisenbahnl­inie. Aber auch EU-Staaten wie Ungarn, Griechenla­nd oder Italien tauschen gern Milliarden gegen kritische Infrastruk­tur wie Häfen, Bahnlinien oder Stromnetze.

Zu einem für Europa hohen Preis: Ost- und südeuropäi­sche China-Schuldner haben schon mehrfach eine härtere Gangart der EU in Sachen Menschenre­chte gegenüber China behindert.

Der neue chinesisch­e Kreditvert­rag-Kolonialis­mus hat also durchaus das Zeug, auch Europa zu spalten und dessen ohnehin schon schwächeln­de geopolitis­che Bedeutung weiter zu zerbröseln. Wer stoppt eigentlich diesen geostrateg­ischen Suizidvers­uch der Europäer und führt die ganze Angelegenh­eit auf den durchaus wünschensw­erten Ausbau normaler Handelsbez­iehungen auf Augenhöhe zurück?

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