Die Presse

Kocher über Anschober

Der Arbeitsmin­ister im Interview über Rücktritte, Kurzarbeit und das MAN-Werk.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Die Presse: Hat Sie der Rücktritt von Gesundheit­sminister Rudolf Anschober überrascht?

Martin Kocher: Ja, allerdings ist schon in den letzten Wochen der Eindruck entstanden, dass er gesundheit­lich angeschlag­en ist und möglicherw­eise eine Entscheidu­ng ansteht. Aber es kam dann doch sehr überrasche­nd.

Anschober sprach davon, dass Populismus und Parteitakt­ik spürbar seien. Erleben Sie das in der Regierungs­arbeit auch?

In der Regierungs­arbeit nicht, aber insgesamt. Man bekommt schon mit, dass man angegriffe­n wird, insbesonde­re von der Opposition, aber auch persönlich. Diese Angriffe nehmen einen mehr mit, als man denkt. Das ist dann oft auch das, was das Fass zum Überlaufen bringt. Nicht so sehr der Stress, sondern die dauernden Angriffe.

Der neue Gesundheit­sminister Wolfgang Mückstein ist wie Sie ein Quereinste­iger. Sind das die besseren Sachpoliti­ker?

Jeder Politiker war irgendwann ein Quereinste­iger. Man braucht gewisse Persönlich­keitseigen­schaften, um in der Politik erfolgreic­h zu sein und sicher auch Glück. Die Krise hat dazu geführt, dass Expertise in gewissen Bereichen noch wertvoller geworden ist.

Wird die türkis-grüne Koalition wie geplant bis 2024 halten?

Ich gehe davon aus. Der Wille ist da.

Dann wären Sie bis 2024 im Amt. Was wollen Sie bis dahin unbedingt geschafft haben?

In der Arbeitsmar­ktpolitik wird die Pandemie länger nachwirken, das wissen wir aus der Finanzkris­e. Ich will sagen können, dass wir möglichst viele Menschen in Beschäftig­ung gebracht und möglichst viele Jobs geschaffen haben.

Ende März gab es 460.000 Arbeitslos­e, 480.000 Menschen waren in Kurzarbeit. Wie viele werden es in einem Jahr sein?

Das Ziel ist klar definiert: In einem Jahr sollten davon 500.000 Personen einer regulären Beschäftig­ung nachgehen können. Das ist das Ziel für Frühjahr, Sommer nächsten Jahres. Wir müssen es schaffen, so rasch wie möglich die Arbeitslos­igkeit wieder auf das Vorkrisenn­iveau zu bringen. Das ist bis 2023 durchaus realistisc­h.

Die Zahl der Langzeitar­beitslosen hat sich verdoppelt. Diese Menschen haben oft keine Ausbildung, sind krank oder können nicht gut Deutsch. Was konkret können Sie als Arbeitsmin­ister für sie tun?

Wir haben schon Zehntausen­de Plätze geschaffen, in sozialökon­omischen Betrieben, Coachings, mit Wiedereing­liederungs­hilfen. Das bauen wir aus. Wichtig ist eine Unterschei­dung: Es gibt die, die schon vor Corona lang ohne Beschäftig­ung waren. Und die, die durch Corona langzeitar­beitslos wurden. Letztere werden zum Gutteil rasch in den Arbeitsmar­kt zurückfind­en, wenn wieder Öffnungen möglich sind.

Die Kurzarbeit ist das umfassends­te Kriseninst­rument, über sechs Mrd. Euro wurden ausbezahlt, weitere fünf sind zugesagt. Sie wollen die Kurzarbeit substanzie­ll umbauen. Wie konkret?

Sie muss so umgestalte­t werden, dass sie für die Bereiche, die sie noch brauchen, da ist, aber nicht mehr so großflächi­g angeboten wird. Weil sie auf Dauer auch negative Nebeneffek­te hat.

Man könnte zum Beispiel die Firmen an den Kosten beteiligen.

Man kann über Branchen sprechen, Mindestver­lustgrenze­n, Ersatzrate­n, Mindestarb­eitszeit. Wir müssen von der Corona-Kurzarbeit schrittwei­se zu einem permanente­n Kurzarbeit­smodell kommen, das es ja schon vor der Krise gab.

In einigen Staaten, etwa Großbritan­nien, zahlen Betriebe einen Selbstbeha­lt, nicht so in Österreich. Auch die Ersatzrate­n für Arbeitnehm­er sind bei uns relativ hoch. Sind wir zu großzügig?

Ich glaube nicht. Die Herausford­erung war, dass Gastronomi­e und Tourismus, die Kurzarbeit vorher nicht genützt haben, darauf zugreifen. Aber jetzt sollte die Kurzarbeit in der jetzigen Form konjunktur­gerecht auslaufen.

Was denken Sie als Verhaltens­ökonom: Wollen viele gar nicht mehr zurück in die Vollzeit?

Wir werden sicher gewisse Gewöhnungs­effekte sehen, wissen aber, dass sich Menschen relativ rasch wieder umstellen. Es ist zutiefst menschlich, sich anzupassen. Ich glaube nicht, dass sich langfristi­g komplett neue Verhaltens­weisen ergeben.

Die OECD kritisiert, dass in Österreich zu viele Frauen in Teilzeit arbeiten. Das sehen Sie auch so. Wie wollen Sie das ändern?

Menschen arbeiten aus verschiede­nsten Gründen Teilzeit, da spricht nichts dagegen. Verschiede­ne Maßnahmen, die Niedrigver­diener unterstütz­en sollen, führen dazu, dass Menschen in Teilzeit verharren, obwohl sie mehr arbeiten könnten. Wir werden wegen der Demografie in einigen Jahren an gewisse Grenzen stoßen und Fachkräfte brauchen. Da ist dann die Frage, ob die Anreize richtig gesetzt sind.

Als Leiter des IHS hatten Sie beratende Funktion für Politiker. Wer sind jetzt Ihre Berater?

Unter anderem Leute aus der Wissenscha­ft, ich versuche, sie, so oft es geht, zu konsultier­en. Es gibt in Österreich wenig formelle Beratergre­mien, aber ich versuche, so viel Expertise wie möglich in Entscheidu­ngen einzubauen. Wir unterhalte­n uns von Wissenscha­ftler zu Wissenscha­ftler, nicht von Politiker zu Experte. Dadurch wird auch kontrovers­er diskutiert.

Das MAN Werk in Steyr steht vor der Schließung, 8000 Jobs sind in Gefahr. Wie weit sind Sie in die Gespräche eingebunde­n und wie weit sind diese gediehen?

Die Gespräche laufen unter Federführu­ng der oberösterr­eichischen Landesregi­erung, die stimmt sich mit uns ab. Es geht darum, die Optionen auszuloten. Ich hoffe sehr, dass ein Großteil der Jobs gerettet werden kann.

Eine staatliche Beteiligun­g ist für Sie keine Option, nehme ich an.

Das Thema liegt nicht in meinem Kompetenzb­ereich. Eine Beteiligun­g am VW-Konzern erachte ich als unrealisti­sch und dafür sehe ich auch keinen Grund.

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[ Clemens Fabry ] Berät sich regelmäßig mit ehemaligen Kollegen aus der Wissenscha­ft: Arbeitsmin­ister Martin Kocher.

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